Als Alexis Tsipras am Sonntagnachmittag in Brüssel eintraf, hatte er sich einen besonders historisch klingenden Satz für die Medienvertreter zurechtgelegt: „Wir wollen einen ehrlichen Kompromiss“, sagte der griechische Regierungschef. „Das schulden wir den Völkern Europas, die Europa vereint wollen und nicht gespalten.“ Wenn „alle es wollen“, sei eine Einigung erreichbar. Sein gerne gezeigtes Siegerlächeln hatte der Premier zu Hause gelassen.
Der Tag der Entscheidung, an dem das von der Euro-Familie gesetzte Ultimatum ablief, begann nämlich keineswegs friedlich. Nach über neunstündigen Beratungen bis zum Sonntagmorgen und weiteren fünf Stunden am gestrigen Tag hatten sich die Finanzminister des Euroraums auf ein karges Papier einigen können, dem vor allem eines anzumerken war: das tiefe Misstrauen gegenüber der Athener Führung, zu ihrem Wort zu stehen.
Es war Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der die Verhandlungen bis tief in die Nacht regelrecht aufmischte. Entweder die griechische Regierung verbessert ihre Liste mit Reformvorschlägen zügig und bringt sie durch das Parlament oder das Land muss den Euro für fünf Jahre verlassen – diese Alternative brachte viele Kollegen regelrecht auf die Palme. In der Nacht zum Sonntag sei der Ton zeitweise „völlig eskaliert“, sagten Beobachter. „Ich bin doch nicht dumm“, habe Schäuble dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, auf einen Einwand hin entgegengeschleudert. Daraufhin unterbrach Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem die Gespräche bis zum Morgen. Doch die Verärgerung über den deutschen Vorstoß war noch längst nicht verraucht. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi schimpfte Richtung Deutschland „Genug ist genug“. „Die Nerven liegen blank“, befand Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie zum Euro-Gipfel in Brüssel eintraf. „Die wichtigste Währung, das Vertrauen und die Verlässlichkeit, ist verloren gegangen“, betonte sie. Man werde keiner „Einigung um jeden Preis“ zustimmen.
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Zu diesem Zeitpunkt hatte Ratspräsident Donald Tusk bereits ordnend eingegriffen und das eigentlich geplante Treffen mit allen 28 Staats- und Regierungschefs am Abend abgesagt. „Der Euro-Gipfel wird so lange dauern, bis die Diskussionen über Griechenland abgeschlossen sind“, meinte der Pole. Damit war klar: Ein Grexit schien so gut wie vom Tisch, weil die, die ihn hätten beschließen können, nicht vor Ort waren. Dennoch hatte Schäuble mit seinem Papier erreicht, was er wollte: Es sollte eine Drohkulisse sein. Schließlich waren in der Diskussion immer neue Zahlen über den tatsächlichen Finanzbedarf des maroden Landes gefallen. Nicht 53,5 Milliarden, wie Tsipras noch vor Tagen gesagt hatte, brauchen die Hellenen, sondern möglicherweise 72 oder sogar 100 Milliarden. Für ein drittes Hilfspaket dieses Umfangs erschienen den Finanzministern die angebotenen Reformen zu wenig. Sie forderten einen Primärüberschuss im Haushalt von 3,5 Prozent im Jahre 2018, einen Umbau des Rentensystems und des Arbeitsmarktes sowie weitreichende Privatisierungen von bis zu 50 Milliarden Euro innerhalb von drei Jahren.
Aber nicht diese Zielmarken waren überraschend, sondern die klare Erwartung, sie verbindlich festzulegen. Soll heißen: Schon am heutigen Montag solle Tsipras beginnen, die entsprechenden Gesetze durchs Parlament in Athen zu bringen. Eine, höchstens zwei Wochen wollte man ihm Zeit geben. Dann könnten die Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket auf „verlässlicher Basis“ stattfinden. Doch damit waren längst nicht alle Hürden auf dem Weg zu einem Durchbruch überwunden. Ratspräsident Tusk wusste, dass er am Abend in zahlreichen Zweiergesprächen mit dem einen oder anderen Staatenlenker auch noch andere Schwierigkeiten würde besprechen müssen: Die slowakische Regierung sieht große Probleme, ihr Parlament zu einer Zusage zu bewegen. Der finnische Premier Juha Sipilä war praktisch mit dem Auftrag seines Koalitionspartners, der rechtslastigen Partei „Wahre Finnen“, gekommen, ein Hilfspaket abzulehnen. Andernfalls würde die Koalition in die Brüche gehen. Und auch die Bundeskanzlerin muss befürchten, dass ihr bei einer eventuellen Sondersitzung des Bundestages große Teile ihrer eigenen Parteien die Gefolgschaft versagen. „Die Lage ist extrem schwierig“, räumte Merkel ein, noch bevor die Beratungen begonnen hatten.
Denn man wolle eine Einigung nur, „wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen – für Griechenland, aber auch für den Euroraum“.
Der muss sich, wenn er denn die Hellenen halten will, beeilen. Bereits in diesen Tagen werden die nächsten Rückzahlungen an den Internationalen Währungsfonds und die EZB fällig. Ohne Überbrückungsfinanzierung durch die Frankfurter Euro-Bank scheint eine Einhaltung der Fristen kaum denkbar.