Am 10. September will der gebürtige Würzburger Thomas Bach (59) in Buenos Aires zum neuen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewählt werden. Er wäre dann der mächtigste Mann im Weltsport und Chef eines Milliardenunternehmens rund um die Olympischen Spiele.
Ausgerechnet jetzt verlangt die Öffentlichkeit in seiner Heimat vom Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) Antworten auf unbequeme Fragen: Die Studie „Doping in Deutschland“ sorgt für heftige Diskussionen, am 2. September befasst sich der Sportausschuss des Bundestages in einer eigenen Sitzung damit.
Doch detailliert äußert sich Bach bislang nicht zu den Ergebnissen der Studie. Im Gegenteil: Auf Anfrage der Main Post, wie das war, im Sport zu seiner aktiven Zeit als erfolgreicher Fechter in den 70er und 80er Jahren und später als Funktionär, erhielt sie stattdessen Antwort von Bachs Presse-Anwalt Christian Schertz: Er drohte mit rechtlichen Schritten – nicht die einzige Merkwürdigkeit in einer Aufarbeitung, mit der sich die Deutschen offenbar schwertun.
Doping in Westdeutschland? Richtig, da war doch was. Knapp ein Monat ist vergangenen, seit den Enthüllungen über systemisches Doping in Deutschland, über vom Bund finanzierte Dopingforschung in Freiburg mit Anabolika, Wachstumshormonen und Insulin.
Es gab Merkwürdigkeiten bei der Aufarbeitung. Etwa den Eiertanz um einen Termin für eine Sondersitzung des Sportausschusses im Bundestag. Abgeordnete wie Viola von Cramon (Grüne) oder Martin Gerster (SPD) sprachen sich trotz Sommerpause für ein schnelles Treffen aus – geplant war der 29. August. Die neuen Erkenntnisse lieferten ja auch jede Menge Fragen.
Nicht nur solche zu den geheimen Praktiken in der BRD, sondern auch aktuelle: Warum beispielsweise wurde der Studie „Doping in Deutschland“ der Geldhahn abgedreht, so dass die Berliner Forschergruppe ihre Aufarbeitung nicht auf die Zeit nach 1990 ausdehnen konnte? War den Auftraggebern im – dem Bundesinnenministerium unterstellten – Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISp) die Phase zu heiß?
Oder das politische Gezeter um eine Veröffentlichung der Studie, die erst nach öffentlichem Druck Anfang August vom BISp ins Netz gestellt wurde: Sollte da etwas verheimlicht werden? Warum wurden – wie unter anderem von dieser Zeitung enthüllt – dopingbezogene Akten des Bundes vernichtet?
Antworten erhoffen sich die Mitglieder vom DOSB-Präsidenten Bach. „Er muss sich der Verantwortung stellen“, fordert Viola von Cramon. Allerdings wurde die Sitzung – in der man sich Aufklärung erhoffte – auf Antrag von CDU/CSU und FDP verschoben. Der Ausschuss tagt erst am Montag, 2. September, zum Thema Doping – dann aber ohne Bach. Das FDP-Mitglied weilt da bereits zur Vorbereitung des IOC-Kongresses in Argentinien. Am 10. September will er dort seine Funktionärskarriere mit der IOC-Präsidentschaft krönen.
Wer den imposanten Lebenslauf des promovierten Juristen liest, kriegt ein Gefühl dafür, wie alles in Bachs Leben auf den Wahltag zugelaufen ist. So ist der sich im Wahlkampf gegen fünf Konkurrenten befindende Ex-Fechter in extremer Angriffsstellung und offenbart dabei einen zumindest fragwürdigen Umgang mit dem Grundrecht der Pressefreiheit.
Recherchen dieser Zeitung konnten erstmals bundesfinanzierte Dopingforschung Anfang der 70er Jahre an der Uni Freiburg durch die Sportmediziner Herbert Reindell und Joseph Keul mit Originalakten belegen. Deshalb richteten wir über DOSB-Sprecher Christian Klaue schriftlich einen Fragenkatalog (siehe unten) an Thomas Bach. Es ging um Bachs Zeit in Tauberbischofsheim. Am dortigen Fechtzentrum war Emil Beck lange unumschränkter Herrscher. Nach unseren Informationen hat er Ende der 80er Jahre Kontakt zu DDR-Trainern gesucht.
Im Deutschlandfunk ist ein Interview mit Dietrich Behrendt belegt. Der Arzt flüchtete vor dem Mauerfall aus der DDR, wo er zuvor ins System des Zwangsdopings eingebunden gewesen war. Dem Deutschlandfunk sagte Behrendt über Beck: „Der suchte natürlich den östlichen Sachverstand für seine Zwecke einzubinden und hat mich eingeladen, mal sein Trainingszentrum anzuschauen. Ihm schwebte da vor, dass er jemanden hat, der da auch so ein bisschen unterstützende Maßnahmen – das lege ich ihm jetzt in den Mund, das hat er nicht offen ausgesprochen – machen kann, die er auch in Tauberbischofsheim selbst kontrollieren kann, das wäre natürlich schön . . .“
Insider bestätigen Becks Interesse am Training im Osten. Wir wollten von Bach wissen, ob er sich an Gespräche mit DDR-Trainern oder den Besuch von Behrendt in Tauberbischofsheim erinnern könne. Und ob damals an der Tauber über Doping gesprochen wurde. Auch interessiert uns, wie Bach die Ergebnisse der Studie dem IOC vorstellt und was der internationale Sport daraus lernen könne.
Post bekamen wir. Aber nicht von Bach. Auch nicht von seinem Sprecher Christian Klaue. Sondern von Bachs Anwalt Christian Schertz aus Berlin. Er schrieb in einer E-Mail vom 20. August und rückte bereits in der Betreffzeile die Verhältnisse klar: „Dr. Thomas Bach ./. Main-Post GmbH & Co. KG – CS/MO 1397/13“. Eine Presseanfrage wird mit einem anwaltlichen Verfahrenskürzel beantwortet, statt Antworten wird gemauert und gedroht.
Nach einer langen Einleitung mit vielen Worten wie „Verdachtsberichterstattung“, „Mandant“, „Berichterstattungsanlass“ schreibt Schertz schließlich: „Zu Ihren Fragen kann festgestellt werden, dass sich hier jegliche Verbindung zu unserem Mandanten in einem etwaigen Bericht verbietet.“
Welche Verbindung gemeint ist, steht nicht da: Zum Fechtsport? Zu Emil Beck? Zu Gesprächen über Doping? Schertz fährt fort: „Fest steht, dass unser Mandant Dr. Thomas Bach immer eine klare Haltung gegen Doping hatte und diese auch in derartigen von Ihnen in Bezug genommenen Gesprächen vor mehr als 20 Jahren vertreten hätte, wenn es solche Gespräche gegeben hätte.“
Auch die Journalistin Grit Hartmann bekam bei einer Anfrage an Thomas Bach für die „Berliner Zeitung“ nur eine Schertz-Antwort. Sie wollte wissen, ob Bach als aktiver Sportler mal von den Freiburger Sportärzten Armin Klümper oder Joseph Keul behandelt worden ist. Auch da schickte Anwalt Bach – statt einfach mit „ja“ oder „nein“ zu antworten – den Anwalt Schertz vor. Der drohte vorbeugend – wie in der „Berliner Zeitung“ zu lesen ist – mit einer „Strafanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung“. Schlussfolgerung des Blattes: „Der Meister des Floretts zückt den Säbel.“
Die Drohung von Schertz gegenüber dieser Zeitung hätten eine sofortige Veröffentlichung gerechtfertigt. Doch im Vorfeld der Wahl des IOC-Präsidenten war seit längerem ein Gespräch mit Bach zu anderen Themen ausgemacht.
Die Redaktion wollte Bach aus Gründen der Fairness Gelegenheit geben, Fragen zum Thema Doping selbst zu beantworten. Er verwies erneut auf seinen Anwalt.
Medienanwalt Johannes Weberling verwahrt sich gegen Versuche, journalistische Fragen für eine Berichterstattung verhindern zu wollen: „Weder Herr Bach, noch sein Anwalt, sondern allein die Presse entscheidet nach eigener pflichtgemäßer Abwägung, ob das vermutete öffentliche Interesse an der Nachricht ein mutmaßliches persönliches Interesse an deren Nichtverbreitung überwiegt.“ Die Bewertung Weberlings, der diese Zeitung medienrechtlich vertritt: „Das offenbar hinter dem Vorgehen von Herrn Bach stehende Verständnis des Grundrechts der Pressefreiheit in einer freien Gesellschaft hat mich regelrecht erschreckt.“
Bachs Haltung verwundert, schließlich heftet er sich die Studie „Doping in Deutschland“ ans eigene Revers. Aufgearbeitet werden sollte ursprünglich die Zeit von 1950 bis zur Gegenwart. Die Forscher haben – unter anderem in vielen Gesprächen mit Zeitzeugen – ein bislang unbekanntes Bild des dopenden Deutschland gezeichnet. Und ist Bach nicht genau das: ein Zeitzeuge?
Als Sportler gewann er mit der Florettmannschaft 1976 in Montreal Gold, war Athletensprecher des Fechterbundes, Vorsitzender der Athletenkommission des Bundesausschusses für Leistungssport im Deutschen Sportbund, Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee, schließlich seit 1992 Mitglied im IOC, dessen Vorsitz er nun anstrebt.
Ausgerechnet er will sich nicht äußern zu jener Zeit, in der Dopingforschung auch im Auftrag des Bundes geschah und Doping viel weiter verbreitet war als angenommen? Dabei gelten gerade die Olympischen Spiele 1976 von Montreal (auch das ist eine Erkenntnis der Studie) als anabolikaverseucht. „Bach muss mehr gewusst haben, als er jetzt zugibt. Er kann doch auch lesen“, sagte die ehemalige Leichtathletin Heidi Schüller, 1972 Sprecherin des Eides in München.
Sechs unbeantwortete Fragen
Standpunkt: Bach macht sich selbst verdächtig