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Bonn
Virologe Streeck: "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben"
Prof. Hendrik Streeck ist ein Pionier der deutschen Corona-Forschung. Seine Erfahrungen des Pandemie-Jahres hat der Virologe nun in einem Buch zusammengefasst.
Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn, in einem Labor seines Institutes. 
Foto: Federico Gambarini, dpa | Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn, in einem Labor seines Institutes. 
Andrea Herdegen
 |  aktualisiert: 09.02.2024 03:12 Uhr

Der Virologe Hendrik Streeck leitete im vergangenen Jahr die Covid-19 Case-Cluster-Studie ("Heinsberg-Studie") am Universitätsklinikum Bonn über Ausbreitung und Verlauf von Sars-CoV-2 in der Gemeinde Gangelt. Im Interview erklärt er, warum wir es nicht schaffen werden, Corona auszurotten und weshalb er mit vielen Medien unzufrieden ist.

Frage: Herr Streeck, Sie sagen: "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben!" Wie kann so eine Koexistenz aussehen?

Hendrik Streeck: Vielleicht kann ich es anhand einer Anekdote erklären. Die Russische Grippe 1891, die weltweit rund eine Million Todesopfer forderte, wurde vom Coronavirus OC43 verursacht. Dieses Virus war von einer Kuh auf den Menschen übergegangen. Heute, 130 Jahre später, verursacht es lediglich einen typischen grippalen Infekt mit Fieber, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schnupfen, Husten.

Es ist also nicht mehr lebensgefährlich?

Streeck: Nein. Obwohl es vereinzelt schon mal zu einer Lungenentzündung kommen kann, die dann – in seltenen Fällen – auch tödlich verlaufen kann. Wir haben vier heimische Coronaviren. Einige davon sind vor Tausenden von Jahren vom Tier auf den Menschen übergegangen. Seitdem leben wir mit ihnen in einer Koexistenz. Sie machen uns immer mal wieder krank. Aber da wir gegen sie eine Grundimmunität aufgebaut haben, sind sie nicht mehr so schädlich.

Und dahin werden wir mit Sars-CoV-2 auch kommen?

Streeck: Genau. Wenn man das verinnerlicht, merkt man, dass das Reden über erste Welle und zweite Welle keinen Sinn macht. Auch nach der zweiten Welle wird das Virus nicht weg sein. Wir gehen von der ersten Welle in die zweite, in die dritte, in die vierte – wir haben eigentlich eine Dauerwelle. Das Beispiel von OC43 zeigt uns, dass die Menschheit immer mal wieder solche Naturereignisse erlebt hat.

Wir müssen schlicht lernen, wie wir unser Leben so anpassen können, dass wir dem Virus keine Chance geben, sich allzu stark zu verbreiten.
Hendrik Streeck, Virologe
Dann ist es also ein Wunschgedanke, das Virus ausrotten zu können?

Streeck: Das wird nicht zu schaffen sein. Wir müssen schlicht lernen, wie wir unser Leben so anpassen können, dass wir dem Virus keine Chance geben, sich allzu stark zu verbreiten.

Und wenn es weiter mutiert?

Streeck: Natürlich kann das Virus Varianten bilden, die die Immunität abschwächen. Trotzdem besteht eine Grundimmunisierung, so dass man statt eines schweren Verlaufs nur noch eine milde Symptomatik entwickeln wird. So wird Sars-CoV-2 langfristig zu einem der Coronaviren, die jeden Herbst und Winter zehn bis dreißig Prozent der grippalen Infekte auslösen...

… und mit denen wir auch jetzt schon leben.

Streeck: Richtig. Aber ein Leben mit dem Virus bedeutet auch zu verstehen, was wir machen können und was nicht. Und: Sich darauf einzulassen, dass diese Pandemie kein Kurzstreckenlauf ist, sondern ein Marathon. Wer einen Marathon läuft, muss lernen, smart mit seinen Kräften umzugehen.

Sie fordern einen "neuen Umgang mit der Pandemie". Wünschen Sie sich also ein bisschen weniger Aufgeregtheit?

Streeck: Ja, ganz genau. Schauen Sie sich doch nur einmal die Kommunikation zu den Mutationen an. Dass Viren mutieren, ist nichts Ungewöhnliches. Natürlich muss man die neuen Varianten ernst nehmen. Aber: Es gibt nicht das gefährliche britische Virus, das noch gefährlichere südafrikanische und das total gefährliche brasilianische.

Aber mit jeder neu entdeckten Mutation wird eine neue mediale Panik-Welle losgetreten. Sie haben beklagt, dass sich gleichzeitig mit der Pandemie eine Infodemie entwickelt hat. Warum sind Sie mit den Medien so unzufrieden?

Streeck: Einige Medien sorgen sehr gut für Information. Was den meisten aber fehlt, ist leider häufig die Einordnung. Wir sind an einem Punkt, an dem wir besser Bescheid wissen über die potenziellen Nebeneffekte des Virus als darüber, wie viele Menschen einen komplett harmlosen Verlauf hatten. Das ist nicht mehr verantwortungsvoll. Nicht nur in der Medienberichterstattung, auch bei allen anderen, die darüber reden, Politiker zum Beispiel.

Sind die Maßnahmen der Regierung aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll?

Streeck: Die Pandemie-Bekämpfung im Moment ist ja der Lockdown. Dass wir das machen, ist erst einmal gut und richtig. Wir wissen nicht, wie sich das Infektionsgeschehen verhält, aber der Lockdown scheint zu wirken. Wir haben bislang keine anderen Instrumente entwickelt. Da fehlt uns ein bisschen die Forschung. Damit wir einschätzen können, wer sich wie, wo und wann noch infiziert.

Die Zustimmungsrate der Menschen zu den Maßnahmen ist gesunken. Haben die Menschen das Hangeln von einem Lockdown zum nächsten satt?

Streeck: Ich denke, vielen Menschen fehlt der Langfrist-Ausblick. Ein weiteres Problem ist, dass es mit dieser Impf-Strategie so nicht weitergehen kann.

Wie sinnvoll ist es, Maßnahmen allein vom Inzidenzwert abhängig zu machen?

Streeck: Wir sollten auch auf andere Parameter zurückgreifen. Das können wir doch viel dezidierter machen: Wir könnten die stationäre Belegung der Intensivmedizin einbeziehen, das Alter der Erkrankten und so weiter. So könnte man bessere Vorhersagen machen, wann wir an welche Belastungsgrenzen herankommen.

Um dann auch die Maßnahmen passgenauer zuzuschneiden.

Streeck: Genau.

Welches Land am besten durch die Pandemie kommt, kann man jetzt noch gar nicht sagen.
Hendrik Streeck, Virologe
War es notwendig, die Grundrechte der Menschen so weit einzuschränken? Oder wäre es auch anders gegangen? So wie in Schweden, zum Beispiel?

Streeck: Das ist eine Spekulation, auf die ich mich gar nicht richtig einlassen kann. Wir sind nun mal diesen Weg gegangen. Im Nachhinein hätte man wahrscheinlich auch viele Sachen anders machen können. Welches Land am besten durch die Pandemie kommt, kann man jetzt noch gar nicht sagen.

Sie schreiben, man müsse den Mut haben, notfalls auch Fehler zu machen. Das sei immer noch besser, als gar nichts zu unternehmen.

Streeck: Ja. Das hat übrigens gerade erst auch WHO-Exekutivdirektor Michael Ryan gesagt: Im Kampf gegen so einen Virus muss man schnell sein und Mut haben. Man darf keine Angst haben, Fehler zu machen.

Sie haben ganz persönlich Mut bewiesen, als Sie für Ihre Studie in Gangelt, dem "deutschen Wuhan", vor Ort waren und ständig Kontakt zu Infizierten hatten. Was geht einem durch den Kopf, wenn man sich wissentlich in solche Gefahr begibt?

Streeck: Ich habe das gar nicht so als Gefahr empfunden, muss ich sagen. Ich habe schon andere Situationen in meinem Leben mitgemacht, die viel deutlicher eine Gefahr waren. Ich habe das Virus damals als ernst zu nehmend eingeschätzt, aber nicht als etwas, das für mich wirklich lebensbedrohlich ist. Wir haben uns alle jeden Tag testen lassen. Und bis heute habe ich mich noch nicht infiziert. Übrigens auch niemand aus meinem Team.

Nach der Vorstellung Ihrer Zwischenergebnisse aus Gangelt, darunter die von Ihnen ermittelte Infektionssterblichkeitsrate von 0,37 Prozent, waren Sie einem Shitstorm ausgesetzt. Es hieß, sie würden die Pandemie verharmlosen.

Streeck: Was in den sozialen Medien geschrieben wurde, habe ich als enorm verletzend empfunden. Es hat mich schockiert: Ich bin doch Arzt geworden, weil ich das Beste für die Menschen erreichen möchte, weil ich Schaden abwenden möchte.

Wir diskutieren viel zu emotional und nicht anhand der Faktenbasis.
Hendrik Streeck, Virologe
Ist eine offenere Diskussion über die Corona-Maßnahmen in Deutschland nicht erwünscht?

Streeck: Es kommt mir in der Tat so vor, dass jede kontroverse Debatte unterbunden wird. Anstatt eine vorbehaltlose Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen zu fördern, denkt die Politik in Lagern und grenzt kritische Stimmen aus. Anderslautende Einschätzungen sind nicht gefragt. Wir diskutieren viel zu emotional und nicht anhand der Faktenbasis.

Zu Ihrem Statement "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben" gehört also auch, dass wir lernen müssen, Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus zu akzeptieren.

Streeck: Wir werden nicht ausschließen können, dass wir auch weiterhin Covid-19-Todesfälle haben werden. Aber wir können die Menschen besser schützen, die das höchste Risiko haben, einen schweren Verlauf zu erleiden. Durch direkte Schutzmaßnahmen am Patienten. Und durch großflächige Impfung der Bevölkerung.

Sie bezeichnen sich selbst als Impf-Fan. Haben Sie sich schon gegen Corona impfen lassen?

Streeck: Nein, bisher noch nicht. Ich habe aber heute erfahren, dass ich mich für die Impfung anmelden darf.

Welche Erwartungen verbinden Sie mit der Impf-Kampagne?

Streeck: Ich hoffe, dass wir damit einen weiteren Baustein haben auf unserem Weg durch die Krise. Und dass wir so ein Stück mehr Normalität erlangen.

Obwohl es noch gar nicht sicher ist, ob man nicht als Geimpfter dennoch das Virus haben und auch weitergeben kann?

Streeck: Das kann sein, ja. Aber selbst wenn es nicht so wäre, kann man nicht einem – geimpften – Teil der Bevölkerung Grundrechte zurückgeben, die man einem anderen – ungeimpften – Teil weiter vorenthält. Damit kann ich nicht übereinstimmen.

Hendrik Streeck und die Entstehung seiner Buches

Der Virologe Hendrik Streeck, geboren am 7. August 1977 in Göttingen, ist Direktor der Institute für Virologie und HIV-Forschung an der Universität Bonn. Er begann seine medizinische Laufbahn an der Charité in Berlin, promovierte in Bonn, war Fellow an der Harvard Medical School in Cambridge/USA und Assistenzprofessor am Ragon Institute of MGH, MIT und Harvard sowie Assistant Immunologist am Massachusetts General Hospital. Zugleich übernahm er Lehraufträge an der Johns Hopkins University in Baltimore. Auch in Südamerika und Afrika arbeitete und forschte der Virologe. 2015 übernahm Streeck in Essen den Lehrstuhl für medizinische Biologie und gründete im selben Jahr das Institut für HIV-Forschung.
Anfang März 2020 gab es einen ersten großen Ausbruch von Covid-19 im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg. Hendrik Streeck und sein Team des Universitätsklinikums Bonn ergriffen die Gelegenheit, das dortige Infektionsgeschehen mit dem neuartigen Sars-CoV-2-Virus zu erforschen. In seinem Buch erzählt Streek von seinen Erfahrungen mit dem Virus und in der Pandemie. So zeichnet er deren Entwicklung in Deutschland nach, erläutert Testverfahren, Infektionswege und die Auswirkungen auf das Immunsystem. Das Buch "Hotspot - Leben mit dem neuen Coronavirus", ist im Piper-Verlag erschienen.
 
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