Um drei Uhr nachmittags hat es Hubert Aiwanger endlich geschafft: Der frisch gebackene stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister steigt im Hof des Landtags zum ersten Mal strahlend in seine nagelneue Dienstlimousine. Noch vor gut zwei Wochen, auf einem Parteitreffen in Regensburg, hatte der Freie-Wähler-Chef die möglichen Privilegien als Regierungsmitglied noch klein geredet: Es habe schon auch seine Nachteile, wenn man den Zündschlüssel im Auto nicht mehr selbst umdrehen könne, hatte er damals noch beteuert. Jetzt sitzt er stolz auf dem mit weißem Leder bezogenen Beifahrersitz – bei seiner ersten Dienstfahrt in sein neues Ministerium.
Nichts außer wilde Gerüchte
Kabinettsberufungen sind immer ein Tag, an dem Freude und Stolz auf der einen Seite, sowie Enttäuschung und Verbitterung auf der anderen Seite eng beieinander liegen. Diesmal gilt dies vor allem bei der CSU, wo Ministerpräsident Markus Söder die super-geheime Auswahl seiner Mannschaft inzwischen zu höchster Profession geführt hat. Während bei den Freien Wählern ohnehin niemand ausscheiden muss und zumindest intern schon länger klar war, wer denn die fünf Kabinettsposten besetzten wird, hütet Söder sein Geheimnis so gut, dass sogar der neue Freie-Wähler-Kultusminister Michael Piazolo wenige Minuten vor der entscheidenden CSU-Fraktionssitzung die über CSU-Besetzung absolut nichts weiß. „Gibt's schon was“, fragt er die vor dem Fraktionssaal wartenden Journalisten. Nein, außer wilden Gerüchten gibt es nichts.
Beim Eintreffen der CSU-Abgeordneten lassen sich allerdings bereits erste Thesen erhärten: Der bisherige Umweltminister Marcel Huber etwa schaut sehr grimmig – was seinem freundlichen Wesen so gar nicht entspricht. Michaela Kaniber hat dagegen wie im Frühjahr wieder ihr schönsten Dirndl angezogen und lächelt gelöst – klare Indizien, dass sie das Landwirtschaftsressort behalten darf. Auch der bisherige Kultus- und künftige Wissenschaftsminister Bernd Sibler hat seinen Vereidigungs-Anzug an: „Alles gut“, sagt er und lächelt. Der bisherige Baustaatssekretär Josef Zellmeier lässt sich dagegen ein grimmiges „Ich bin Realist“ entlocken. Auch sein Gesicht verrät: Er ist raus.
„Missetat vollbracht“?
Der unterfränkische Justizminister Winfried Bausback wiederum outet sich als Vertreter der digitalen Generation – und verkündet sein Ausscheiden aus dem Kabinett wenige Minuten vor Söder über das soziale Netzwerk Facebook: „Liebe Freunde“, schreibt er dort, „dem neuen Bayerischen Kabinett werde ich nicht mehr angehören.“ Er bedankt sich bei den Mitarbeitern im Ministerium, im Stimmkreis und seinen CSU-Kollegen „für das tolle Zusammenarbeiten“ in den letzten fünf Jahren – und schließt eindeutig vieldeutig mit einem Harry-Potter-Zitat: „Missetat vollbracht.“ Meint er seine eigene als Minister? Oder seine Abberufung durch Söder?
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt marschiert die künftige Digitalministerin Judith Gerlach noch völlig unbemerkt an die Kameras und Mikrofonen vorbei. Die 33-Jährige aus Aschaffenburg ist diesmal Söders Überraschungs-Joker: Gerlach ist jung, intelligent, einsatzwillig, loyal und teamfähig – Qualifikationen, die der Regierungschef schon bei früheren Berufungen zu schätzen wusste. Zudem ist Gerlach weiblich, was am hundertsten Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts ebenfalls von großer Bedeutung ist.
FW-Frauen zappenduster? Nicht Anna Stolz
Schließlich haben die Freien Wähler von fünf Regierungs-Posten nur einen mit einer Frau besetzt – die Unterfränkin Anna Stolz wird Staatssekretärin im Kultusressort. Weil zudem Ilse Aigner nun Landtagspräsidentin ist und die Quereinsteigerin Marion Kiechle von Söder offenbar als zu leicht für ein Ministeramt befunden und ausgewechselt wurde, fühlte der Ministerpräsident sich offenbar unter weiblichem Zugzwang: Söder besetzt deshalb letztlich vier der zehn CSU-Ministerposten mit Frauen. Insgesamt sind – wie im letzten Söder-Kabinett – sechs der 17 Kabinettsposten mit Frauen besetzt.
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„Das ist kein Fortschritt, sondern stabiler Stillstand“, wird später in der Landtagsdebatte der neue SPD-Fraktionschef Horst Arnold spitz anmerken. Söder präsentiert dort allerdings eine ganz andere Rechnung: „Frauen sind im neuen Kabinett so stark, wie nie“, behauptet er – und verweist als Beleg auf die der CSU zustehenden Ministerposten: Dort sind in der Tat vier der zehn neuen Ressortchefs weiblich – neben Gerlach, Kaniber und Gesundheitsministerin Melanie Huml noch die Sozialministerin Kerstin Schreyer. „Vierzig Prozent Frauenanteil“, jubelt Söder deshalb: „Das ist die stärkste Quote aller Zeiten.“
Das kann man natürlich auch anders sehen, wie etwa Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann: Die CSU sei ja immerhin noch bemüht „den Frauenanteil hoch zu bekommen“, lobt er: Beim „Männerbund“ Freie Wähler schaue es dagegen in Sachen Frauen „zappenduster aus“. Da hatte Hartmann vor der Sitzung offensichtlich nicht die neue FW–Staatssekretärin Anna Stolz getroffen. Die Stimmung der 35-jährigen Ex-Bürgermeisterin aus Arnstein war jedenfalls alles andere als zappenduster: Natürlich sei sie überrascht, als Landtagsneuling gleich ins Kabinett zu kommen, räumte sie dort bester Stimmung ein: „Aber die Freude war groß.“
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Ebenfalls über das ganze Gesicht strahlte dort der neue CSU-Bauminister Hans Reichart: Der JU-Chef und bisherige Finanzstaatssekretär war als Listenkandidat am Wiedereinzug in den Landtag gescheitert – und musste deshalb auch um seinen Kabinettsposten bangen: „Ich habe damit nicht gerechnet“, fällt dem 36-Jährigen zu seiner Beförderung ein. Erst am Sonntag in der CSU-Zentrale habe Söder ihm das Ressort angeboten: „Es ist ein tolles Haus, da ist sehr viel Zukunft drin“, sagt er noch – bevor er in der Menschenmenge seinen kleinen Sohn entdeckt, den er sofort Freude strahlend auf den Arm nimmt.
Die Ausgemusterten bleiben zurück
Als die neuen Kabinettsmitglieder im Plenarsaal schließlich zur Vereidigung einzeln nach vorne gerufen werden, bleiben in den beiden CSU-Reihen, in denen das bisherige Kabinett geschlossen Platz genommen hatte, am Ende Winfried Bausback, Marcel Huber und der schwäbische Ex-Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer ziemlich einsam zurück. Er habe seinem Facebook-Post nichts hinzuzufügen, blockt der sonst gesprächige Bausback ab, als er nach der Sitzung den Plenarsaal verlässt: „Heute will ich dazu nichts mehr sagen.“