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BERLIN
Kanzler der Einheit: Helmut Kohl ist tot
Helmut Kohl ist tot       -  Bundeskanzler Helmut Kohl winkt 1990 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt vor einem Meer von Deutschlandfahnen der Menge zu.
Foto: Heinz Wieseler (dpa) | Bundeskanzler Helmut Kohl winkt 1990 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt vor einem Meer von Deutschlandfahnen der Menge zu.
dpa
,  Benjamin Stahl
,  Manfred Schweidler
,  Alice Natter
 und  Michael Nöth
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:53 Uhr

Helmut Kohl ist tot. Der Altkanzler starb im Alter von 87 Jahren, wie sein Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner der Deutschen Presse-Agentur am Freitag mitteilte. Die „Bild“-Zeitung hatte zuvor berichtet, Kohl sei am Morgen in seinem Haus in Ludwigshafen gestorben. Seit einem Sturz und Schädel-Hirn-Trauma 2008 war Kohl schwer krank und saß im Rollstuhl. 2015 hatte sich sein Zustand deutlich verschlechtert, nach monatelangem Klinikaufenthalt kam er aber wieder zu Kräften. Im April 2016 hatte er zuhause in Oggersheim Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban empfangen.

  • Weltweite Trauer um Altkanzler Kohl

Kanzler der Einheit

Kohl hat Deutschland von 1982 bis 1998 als Bundeskanzler regiert - 16 Jahre, so lange wie bisher niemand vor und nach ihm. Er war Wegbereiter der Europäischen Union und einer gemeinsamen Währung.

Als sein größter Erfolg gilt die deutsche Wiedervereinigung. Kohl erkannte nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989, dass das Fenster für die deutsche Einheit nur kurz geöffnet sein würde. Unter Hochdruck handelte er mit den Staats- und Regierungschefs der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens, Frankreichs sowie den Verantwortlichen der Europäischen Union die Modalitäten dafür aus.

Von 1969 bis 1976 war der geborene Ludwigshafener Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, von 1973 bis 1998 war er CDU-Bundesvorsitzender. Anfang der 90er Jahre war Kohl Ziehvater von Angela Merkel in Bundesregierung und Partei. Wegen einer Spendenaffäre, in die Kohl maßgeblich verwickelt war, forderte Merkel Ende der 90er Jahre als damalige CDU-Generalsekretärin die Partei zur Loslösung vom Übervater auf. Ihr Verhältnis zu Kohl blieb bis zuletzt belastet.
 
 

Besonderer Bezug zu Unterfranken

Bestürzt reagiert die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) auf den Tod von Altkanzler Helmut Kohl (CDU). „Mit ihm ist eine Persönlichkeit von uns gegangen, der wir viel zu verdanken haben“, so die Würzburgerin in einer ersten Stellungnahme. Kohl habe „konsequent“ die deutsche Wiedervereinigung und das Projekt Europa vorangetrieben.

Stamm hob aber nicht nur die politischen Verdiente des Kanzlers der Einheit hervor, sondern auch Kohl „besonderen Bezug zu Unterfranken“. Sie erinnerte daran, dass Kohls Vater aus Greußenheim (Lkr. Würzburg) stammte. Den Ort habe sie mehrfach mit Helmut Kohl besucht. Besonders kurz vor Weihnachten sei Kohl gerne in die Region gekommen. Der Besuch des Weihnachtskonzerts in Münsterschwarzach sei für ihn Tradition gewesen, so Stamm.

  • Trauer um einen großen Staatsmann: Helmut Kohl ist tot

"Helmut Kohl hat seine Wurzeln nie vergessen“

„Er war vor allem Unterfranken sehr verbunden, Helmut Kohl hat seine Wurzeln nie vergessen“ – das ist die erste Reaktion von Michael Glos am Freitagabend. Oft werde vergessen, dass der Altbundeskanzler sieben Jahre lang in Gerolzhofen gelegt habe. „In der schlechten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war er in Düllstadt als Praktikant auf dem Gutshof, er wollte ja Landwirt werden, aber eine eigene Scholle hat er nicht gehabt“, erzählt der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und CSU-Landesgruppenchef. Es kam bekanntlich anders – und die Wege von Glos und Kohl kreuzten sich erstmals 1976, als der junge CSU-Politiker aus Prichsenstadt (Lkr. Kitzingen) für den Bundestag kandidierte. „Er hat mich sehr früh unterstützt“, sagt der 72-Jährige im Rückblick.
 

Enge Freundschaft zu Frankreich nicht selbstverständlich

Für Glos ist die historische Leistung Helmut Kohls unbestritten: „Der Glaube an die deutsche Wiedervereinigung. Dafür, dass sie möglich ist, dafür hat er gekämpft.“ Für den Kanzler sei immer klar gewesen, „dass das nur über Europa geht“, sagt Glos. „Und über die Freundschaft mit Frankreich.“ Dass Kohl eine enge Beziehung mit François Mitterrand pflegte sei nicht selbstverständlich gewesen.

Er habe zu Kohl „ein sehr gutes Verhältnis“ gehabt, sagt Glos. Der Kanzler sei Gast bei ihm in Prichsenstadt gewesen, zuletzt habe er Kohl vor drei Jahren in Ludwigshafen besucht.

Fotoserie

"Einer der bedeutendsten deutschen Politiker"

Auch der ehemalige Postminister und CSU-Politiker Wolfgang Bötsch würdigte Kohl am Freitag: „Ich halte ihn für einen großen Staatsmann und einen der bedeutendsten deutschen Politiker nach dem Krieg“. Er erinnere sich noch exakt, wann und wo er Kohl erstmals traf: beim Deutschlandtag der Jungen Union 1967 in Berlin. Auch Bötsch sind besonders Kohls Besuche am 23. Dezember in Kloster Münsterschwarzach in Erinnerung. Bei der Gelegenheit sei er mit ihm auch gerne über den Würzburger Weihnachtsmarkt geschlendert, so Bötsch.
Der 78-jährige Würzburger hat viele Auftritte des Kanzlers in Würzburg in Erinnerung, vor allem aber jenen 1985 zum 40. Todestag des CSU-Mitbegründers Adam Stegerwald zusammen mit Franz Josef Strauß. „Dann sind wir zum Mittagessen nach Greußenheim gefahren, ich vorne im Auto, Strauß und Kohl hinten drin,“ erinnert er sich. „Damals war es noch nicht so wild mit dem Thema Sicherheit“.
 

Mehr Weitblick als viele andere

Bötsch ist ein langjähriger Weggefährte des Kanzlers „Elf Jahre lang habe ich mit Kohl jede Woche am Tisch gesessen, wenn er zur Koalitionsrunde bat.“ Damals war Bötsch Vorsitzender der CSU-Landesgruppe und Erster Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Und dann saß ich fünf Jahre bei ihm am Kabinettstisch“ als Minister für Post und Telekommunikation. Doch über den Inhalt dieser Runden wahrt Bötsch auch weiterhin Vertraulichkeit. Eines ist ihm aber in Erinnerung: „Am Anfang hat der Helmut Kohl den Autotelefonen nicht getraut und Angst gehabt, dass da jemand mithört, der das nicht sollte. Wenn Kohl da ein dringendes Telefonat hatte, ließ er den Wagen anhalten, zückte den Geldbeutel und telefonierte in einer Telefonzelle.“ In der Hinsicht – wie in vielen anderen – habe der Kanzler mehr Weitblick als viele andere gehabt, erinnert sich Bötsch lachend.

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Häufiger Besuch in Greußenheim

Walter Kolbow, der SPD-Verteidigungsexperte, erinnert sich an die Hilfsbereitschaft des Kanzlers über Parteigrenzen hinweg. „Natürlich haben wir uns über die Verteidigungspolitik immer wieder inhaltlich auseinandergesetzt, aber im persönlichen Umgang war er sehr sympathisch.“ An Weihnachten sei Kohl häufig vom früheren Regierungssitz Bonn nach Giebelstadt geflogen, um die Familie seines Vaters im nahen Greußenheim (Lkr. Würzburg) zu besuchen. Dabei habe er Kolbow mehrfach angeboten, mitfliegen zu können, um nach Hause zu kommen. „Dabei hat er aber häufig nicht viel geredet, sondern sich auf den nächsten Termin vorbereitet,“ erinnert sich Kolbow.
 

Ein ewiger Verdienst

Paul Lehrieder erfuhr am Freitagabend per SMS von Kohls Tod. Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete aus Würzburg würdigte die Leistung Kohls, „in einer günstigen Situation der Geschichte“ die deutsche Einheit realisiert zu haben: „Das ist sein ewiges Verdienst.“ Einige Male habe er dem Altkanzler die Hand schütteln dürfen, erzählt Lehrieder. Zuletzt haber er Kohl vor einigen Jahren im Bundestag getroffen, wo er auch ein Foto mit ihm habe machen lassen.

"Er hätte uns sicherlich noch vieles sagen können"

Eduard Lintner, Innen-Staatssekretär unter Helmut Kohl, wurde von der Nachricht überrascht: "Das trifft mich schon, Helmut Kohl war eine bedeutende Persönlichkeit in der Nachkriegsgeschichte. Er hätte uns sicherlich noch vieles sagen können, obwohl er gesundheitlich angeschlagen war." Bei einem zu erwartenden Staatsakt werde der Münnerstädter versuchen dabei zu sein.
 
 
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