Mal abgesehen von den früheren Ministern Wolfgang Bötsch und Michael Glos (Prichsenstadt) ist kaum ein deutscher Spitzenpolitiker so eng mit Mainfranken verbandelt gewesen wie Helmut Kohl. Nicht erst seit er 1982 Bundeskanzler wurde, war er regelmäßig in der Region zu Besuch. Erste Adresse seiner Besuche war Greußenheim, ein kleines Dorf westlich von Würzburg. Dort wurde 1887 Hans Kohl, der Vater von Helmut Kohl, geboren. Hier liegen die Großeltern auf dem Friedhof begraben. Kohl selbst verlebte während des Krieges glückliche Kindheitstage bei seinem Onkel Philipp in Greußenheim, schreiben seine Biografen. Als Kanzler kam er noch regelmäßig zu Familientreffen.
Der ehemalige Greußenheimer Bürgermeister Bruno Scheiner hatte sogar ein Archiv zum Thema Kohl-Besuche aufgebaut. Darin fand sich ein Bericht, wie der damalige Bundeskanzler beim Spaziergang durch den Ort alte Bekannte begrüßte, Hände schüttelte und mit Leuten plauderte. Die Besuche waren im Vorfeld meist geheim gehalten worden. Kohl legte Wert auf den privaten Charakter und kam ohne Sicherheitsbeamte.
Kindheit in Unterfranken
In seiner Autobiografie „Erinnerungen 1930 bis 1982“ schrieb Helmut Kohl: „Mein Vater, Hans Kohl, stammte aus Unterfranken in Bayern, aus einer bäuerlichen Familie mit elf Kindern. Er wurde 1887 in Greußenheim bei Würzburg geboren.“ Ludwigshafen, wo der CDU-Politiker am 3. April 1930 zur Welt kam, ist die Heimat seiner Mutter Cäcilie.
Bevor die Familie an den Rhein zog, lebte sie von 1921 bis 1929 in Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt). Hier wurde 1922 die ältere Schwester von Helmut Kohl, Hildegard, geboren. Sie starb im Jahr 2003. Der Bruder Walter kam 1926 auf die Welt. Walter fiel als Soldat bei einem Tieffliegerangriff im Jahr 1944. Die Kohls wohnten ab 1921 zu Miete in einem großen weißen Haus mit Eckturm in der Dreimühlenstraße gegenüber der evangelischen-lutherischen Erlöserkirche in Gerolzhofen. Das Haus ist nicht mehr erhalten.
Ferien auf dem Bauernhof
In Gerolzhofen und Brünnau (Lkr. Kitzingen) verbrachte die Familie regelmäßig Ferien auf dem Bauernhof. Das Gehalt des Finanzbeamten Hans Kohl erlaubte keine ausgedehnten Urlaubsreisen. In seinen „Erinnerungen“ schwärmte Kohl von einem „Paradies“. „Dort war ich von 1936 bis 1941 jeden Sommer in den Ferien.“ Zunächst waren der Vater und der Bruder dabei, später fuhr der junge Helmut allein mit dem Bummelzug. Er habe auf dem Bauernhof immer eine wunderbare Zeit verbracht, mit Pferden, Kühen, Schweinen, Tauben, Gänsen und Enten. Nach dem Krieg wäre der Teenager Helmut Kohl fast ein richtiger Unterfranke geworden. Er sah seine Zukunft in der Landwirtschaft, und seine Verwandten hatten ihm eine landwirtschaftliche Lehre auf dem Gutshof der Süddeutschen Zucker AG in Düllstadt (Lkr. Kitzingen) vermittelt. Lehrling Kohl stand um 5 Uhr auf, lernte das Vieh zu versorgen und Zuckerrüben anzubauen. Er pflügte auch mit Zugochsen – ein „äußerst mühevolles Tagwerk“. Immerhin: An den Umgang mit sturen Ochsen habe er sich in seinem späteren Leben öfter erinnert gefühlt, merkte er launig an.Doch bald zeichnete sich ab, dass es in der Landwirtschaft kaum Arbeitsplätze geben wird. Kohl brach die Lehre ab und fuhr mit dem Rad – versehen mit einem Schinken und einer gemästeten lebenden Gans – nach Ludwigshafen zurück, um dort das Abitur zu machen und Rechtswissenschaft zu studieren. Die enge Beziehung zu Unterfranken jedoch blieb.
Stunden der Stille in Münsterschwarzach
Während seiner Lehre hatte Kohl die Benediktinerabtei Münsterschwarzach in sein Herz geschlossen – und besuchte sie auch später immer wieder. Vornehmlich in der Adventszeit zog sich der Kanzler regelmäßig für einige Stunden in die Stille der Abtei zurück. Doch es kam auch zu ganz spontanen Besuchen.
Von Beginn der 1970er Jahre an bis ins Jahr 2000 fuhr Helmut Kohl mit Frau und Kindern jeden Sommer für vier Wochen an den Wolfgangsee im österreichischen Salzkammergut. Auf der Fahrt nach Österreich machte die Familie 1975 spontan in Gerolzhofen Rast und kehrte in der Gaststätte „Wilder Mann“ ein. Dass Kohl, der damals bereits Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz war, wieder mal in der Stadt ist, verbreitete sich wie ein Lauffeuer und viele Bekannte kamen zum Händeschütteln vorbei.
Eintrag ins Goldene Buch
Von diesem Treffen wird folgende Anekdote überliefert: Beim Besuch waren neben Gattin Hannelore auch die beiden damals halbwüchsigen Söhne von Kohl, Walter und Peter, dabei. Einer der Buben hatte Kloß mit Soß gegessen. Als er mit dem Essen fertig war, stellte der Bub seinen Teller vom Tisch runter auf die Sitzbank neben Kohl. Und als Kohl, völlig im Gespräch vertieft, sich auf der Bank kurz abstützen wollte, griff er mit seiner Hand mitten in die Bratensoße auf dem Teller. Für den Filius gab es eine saftige Ohrfeige vom Vater. Könnte sein, dass zumindest der Sohn Gerolzhofen deshalb in nicht so guter Erinnerung behalten hat. „Gerolzhofen ist mit dem Bild meiner Eltern verbunden“, stellte aber zumindest der Altkanzler noch im Jahr 2002 bei einem privaten Kurzbesuch fest, wo er sich auch ins Goldene Buch der Steigerwaldstadt eintrug.
Im Archiv dieser Redaktion finden sich zudem zahlreiche Berichte und Bilder von Besuchen Kohls in der Würzburger Fußgängerzone, auf dem Weihnachts- oder dem Grünen Markt: Der Kanzler kostete Glühwein, eine „Geknickte“ oder kaufte Rotgelegten.