Immer mehr Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Würzburger FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann und seiner Fraktion hervor. Demnach ist die Einsamkeitsquote bei den 45- bis 84-Jährigen von 2011 bis 2017 um rund 15 Prozent gewachsen. Im Jahr 2017 fühlten sich 9,2 Prozent der Menschen dieser Altersklasse einsam, heißt es in dem Papier der Bundesregierung unter Berufung auf das Deutsche Zentrum für Altersfragen.
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Die Bundesregierung sei sich "nicht im Klaren, welche gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen Einsamkeit hat und es besteht offenbar auch nicht die Absicht, eine Folgenabschätzung einzuleiten", so Ullmann gegenüber dieser Redaktion. Die Regierung erklärte in ihrer Antwort mit Verweis auf wissenschaftliche Studien, dass insbesondere soziale Isolation Auftreten und Verlauf chronischer Krankheiten ungünstig beeinflusse. So zeigten sich Zusammenhänge für Bluthochdruck und andere wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen sowie psychische Erkrankungen und Demenz.
Auch Jüngere sind schon betroffen
Das Thema Einsamkeit "muss endlich angegangen werden und braucht eine eindeutige Zuständigkeit", fordert Ullmann. Die Antwort der Regierung zeige, "dass es diese nicht gibt und dass das Thema deshalb nicht konzertiert angegangen wird." Offenbar sei man sich nicht einig, "ob Einsamkeit ein gesamtgesellschaftliches Problem ist oder doch nur das subjektive Wohlbefinden älterer Menschen betrifft".
In der Antwort erklärt die Bundesregierung allerdings, dass es Probleme auch schon bei Elf- bis 17-Jährigen gibt: In einer Langzeitstudie gaben 4,2 Prozent an, sich oft oder immer einsam zu fühlen. 27,6 Prozent sagten, dass sie dies manchmal oder selten verspürten – Mädchen häufiger als Jungen.
"Die Bundesregierung ist blank, wenn es um die Einsamkeit junger Menschen geht", kommentiert Ullmann. Es gehe ihr vor allem um ältere Menschen. Einsamkeit sei jedoch "ein Zukunftsthema und kann jeden betreffen". Der Mediziner warnt, man dürfe "nicht so naiv sein zu glauben, dass radikale Umwälzungen wie die Digitalisierung sich nicht auf der psychosozialen Ebene auswirken".
Daher brauche es "eine Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit", verlangt Ullmann. Dazu gehörten innovative Wohn- und Mobilitätskonzepte sowie die Förderung von Gesundheitskompetenz. Die Regierung verweist in ihrer Antwort unter anderem auf das Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus, für das bis 2020 jährlich 17,5 Millionen Euro bereit stünden. Insgesamt gebe es in Deutschland rund 540 Mehrgenerationenhäuser, von denen rund 250 gezielte Angebote für einsame Menschen aus allen Altersgruppen machten.
Lauterbachs Forderung nach Regierungsbeauftragtem geht Ullmann nicht weit genug
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte bereits Anfang Mai einen Regierungsbeauftragten gefordert, der sich um das Problem anhaltender Einsamkeit in der Gesellschaft kümmert. Für Ullmann "reine Symbolpolitik, weil die Bundesregierung nicht einmal weiß, wie sie das Thema überhaupt einsortieren soll". Er fordert "dringend eine Expertenkommission, die das Thema wissenschaftlich evaluiert und Empfehlungen vorlegt".
Ein Team um die Psychologin Maike Luhmann von der Ruhr-Uni Bochum, hat schon 2016 festgestellt, dass Einsamkeit keineswegs ein sich langsam auftürmendes Altersphänomen ist. Zwar hätten die Ältesten am meisten Probleme mit Einsamkeit. Ab 86, wenn körperliche Gebrechen und der Tod von Wegbegleitern oft Realität sind, klage jeder Fünfte darüber. Aber: Auch Menschen in der Lebensmitte (46-55 Jahre, 14 Prozent) und jüngere Erwachsene (26-35 Jahre, 14,8 Prozent) fühlen sich ihren Angaben zufolge häufig einsam.