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Fußball: WM
Unterwegs in Katar: Ein Blick hinter die Kulissen der umstrittensten Fußball-WM aller Zeiten
In gut drei Wochen startet die umstrittenste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten. Reporterin Susanne Fetter blickte in Katar hinter die perfekte Fassade.
Glitzernde Arena: Im Lusail-Stadion finden sechs Gruppenspiele statt, dazu ein Achtel-, ein Viertel-, ein Halbfinale und das Endspiel dieserWM. Die Arena fasst 80000 Zuschauer.
Foto: Susanne Fetter | Glitzernde Arena: Im Lusail-Stadion finden sechs Gruppenspiele statt, dazu ein Achtel-, ein Viertel-, ein Halbfinale und das Endspiel dieserWM. Die Arena fasst 80000 Zuschauer.
Susanne Fetter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:23 Uhr

Klack, klack, klack. Jede Sekunde dreht sich auf dem großen Bildschirm im Eingangsbereich der Aspire Academy in Doha eine kleine Tafel um. Hier, wo Katar seine Sportler von morgen formt, wird die Zeit heruntergezählt, die noch bleibt bis zum Start der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Winter. Der ersten in einem arabischen Land.

Vieles ist fertig, einiges noch nicht. Fast exakt einen Monat vor dem Start des Großereignisses gibt es noch zahlreiche Baustellen, auf denen Arbeiter aus Bangladesh, Nepal, Indien, Pakistan  oder von den Philippinen Tag und Nacht hämmern und bohren. Sie sollen den Sportstätten, Hotels und Straßen des WM-Gastgebers den letzten Schliff verleihen. Und was nicht rechtzeitig fertig wird? Da will es der Katari machen wie der Deutsche mit der Bügelwäsche, wenn überraschend Besuch kommt – was nicht hübsch ist,  wird abgedeckt.

Die Großeltern der heutigen Kataris lebten vom Perlenhandel

Doch wie schnell sie Dinge hier im Emirat hochziehen können, hat Katar in den vergangenen 30 Jahren eindrucksvoll belegt. Finanziert mit Milliarden aus dem Handel mit Öl und Gas. Die imposante Skyline, der  moderne Stadtteil „The Pearl“ –  benannt nach dem Nationalsymbol des Landes, den Perlen, von dessen Handel die Großelterngeneration der heutigen Kataris noch überwiegend gelebt hat –  all das ist in wenigen Jahren entstanden und hat dem einst kargen, staubigen Land am Golf ein glanzvolles Antlitz verliehen.  

In diesem Winter soll es – geht es nach dem Emirat und dem Fußball-Weltverband  –  in die ganze Welt  strahlen. „Das wird definitiv die beste WM aller Zeiten“, verkündet FIFA-Präsident Gianni Infantino seit Monaten. „Die Stadien sind schön, schön, schön – alles ist vorbereitet“, betonte der Schweizer kürzlich und strahlte zufrieden.

Der moderne Stadtteil „The Pearl“ in Doha ist eine künstlich aufgeschüttete Insel, die stark an Venedig erinnert. 
Foto: Susanne Fetter | Der moderne Stadtteil „The Pearl“ in Doha ist eine künstlich aufgeschüttete Insel, die stark an Venedig erinnert. 

Vermutlich hofft auch er auf eine Gesetzmäßigkeit, die viele umstrittene Sportveranstaltungen der Vergangenheit kennzeichnete. Gehen die Scheinwerfer erst einmal an, leuchten sie meist vor allem auf den Sport. Das Drumherum versinkt dann im Schatten,  irgendwann gerät es ganz in Vergessenheit. Das war bei den Winterspielen in Peking und Sotschi nicht anders als bei der Fußball-WM in Russland, um die prominentesten Beispiele der jüngeren Geschichte für dieses Phänomen anzuführen.

Doch gilt dies auch für diese WM? Nie wurde die Vergabe eines Turniers in ein Land kontroverser diskutiert. Die Gerüchte um Summen, die  für den Stimmenkauf geflossen sein sollen, um Deals, die in Hotelzimmern und sogar Regierungsgebäuden geschlossen worden sein sollen,  waren selbst für Fifa-Verhältnisse ungeheuerlich und stürzten den Weltverband in eine seiner größten Krisen. Auch wenn bis heute undurchsichtig bleibt, was bei der Doppelvergabe der Turniere 2018 nach Russland und 2022 nach Katar wirklich hinter den Kulissen lief – der Beigeschmack bleibt bitter.

Nie war eine WM umstrittener. Nie wurde mehr über schlechte Arbeitsbedingungen, Verstöße gegen Menschenrechte und staatliche Diskriminierung der LGBTQ-Gesellschaft in einem Gastgeberland gesprochen. Außerhalb Katars und der Fifa. Im Land und bei den Organisatoren des Turniers scheint alles in bester Ordnung. Da wird es gerne gemacht wie bei den Baustellen, die nicht fertig werden. Decke drüber, sieht schon keiner. Und wenn doch, dann zeigt man mit dem Finger auf andere. Im modernen Sprachgebrauch gibt es dafür einen Begriff. „Whataboutism“ – schaut euch doch mal um, andernorts ist es noch schlimmer.

Funktioniert das nicht, ist Unverfänglichkeit ein  Ausweg. So wie bei der Frage, wie man denn nun umgeht mit Menschen, die zur WM ins Land kommen und die Regenbogenfahne tragen. In den Stadien könnte man sie herausfiltern. Im Aspire Controll & Command Center haben sie alles im Blick. Auf jeden einzelnen Sitz der Stadien können sie hier ranzoomen. Wird man es tun?
Hamad Ahmed Al-Mohannadi, Direktor des Zentrums,  zögert erst etwas bei der Antwort. Am Ende verweist er wie viele andere auch auf einen Satz des Emirs. „Alle sind willkommen“, hatte Tamim bin Hamad Al Thani  vor einigen Wochen eine Antworthilfe vorgegeben, die nun brav alle wiederholen, die auf das Thema angesprochen werden.

"Das Interesse an Katar und auch an seiner Geschichte ist in den letzten Monaten vor der WM enorm gestiegen."
Jassim Al-Kuwari, katarischer Touristen-Führer 

Gute PR ist eine der wichtigsten katarischen Kernkompetenzen neben der Diplomatie – und oft gehen beide Hand in Hand. Entwickelt hat es sich aus der Geschichte des Landes, das von jeher eine Sandwichposition einnimmt. Oder das, wie es der Islamwissenschaftler Sebastian Sons nennt,  „stets im Auge des Sturms“ lag. Immer bedacht, sich gegen die starken Nachbarn  Iran und Saudi-Arabien zu behaupten, die argwöhnisch beobachten, wie rasant sich der Emporkömmling entwickelt.
Im Nationalmuseum sieht man, was Katar schon immer tat, um sich abzusichern. Fein säuberlich sind dort die wichtigsten Bündnis-Verträge aufgelistet, die das Emirat in seiner Geschichte schloss. Jassim Al-Kuwari führt seit eineinhalb Jahren Gruppen durch das moderne Bauwerk. Stolz zeigt der gebürtige Katari die Verträge – vor allem den Bund mit den Engländern von 1916.  „Das Interesse an Katar und auch an seiner Geschichte ist in den letzten Monaten vor der WM enorm gestiegen“, sagt er. Der 30-Jährige hofft, dass sich noch mehr Menschen damit befassen. Auch, um sein Volk und was es antreibt, besser zu verstehen.

Katar träumt von den Olympischen Spielen – 2036 soll es klappen

Heute macht Katar auch mit dem Sport Politik. Ein großes Tennis-Turnier der ATP war  1993 der Anfang. Es folgten massenweise Wettbewerbe und Rennen. Die vorläufigen Höhepunkte: die  Weltmeisterschaften im Handball 2015 und in der Leichtathletik 2019. Nun die Fußball-WM. Und dann gibt es da ja noch den großen Traum von Olympia. Zweimal schon hat Katar sich beworben. 2036 soll es klappen. So will Katar sein Image schönen. Eine gängige Praxis vieler Autokratien,  für die extra ein Wort entwickelt wurde: „Sportswashing“. Nicht immer klappt es so, wie die Staaten sich das wünschen. Und Katar geht es um mehr. Wer auf der internationalen Sportbühne derart Gewicht hat, der hat auch mächtige Verbündete, die ihm im Zweifel zur Seite stehen.

Ein Großteil der Gastarbeiter lebt in Katar mitten im staubigen Industriegebiet auf engstem Raum. Viele von ihnen haben die hübschen Fassaden des Landes und dieser WM errichtet.
Foto: Susanne Fetter | Ein Großteil der Gastarbeiter lebt in Katar mitten im staubigen Industriegebiet auf engstem Raum. Viele von ihnen haben die hübschen Fassaden des Landes und dieser WM errichtet.

Dafür werden dann schon einmal acht Stadien gebaut auf einer Fläche, die kleiner ist als Schleswig-Holstein. Selbst wenn man langsam fährt, braucht man nicht mehr als eineinhalb, zwei Stunden, um das Land zu durchqueren. Drei Millionen Menschen leben in dem Emirat, das zu großen Teilen aus einer steinigen, staubigen Wüste besteht. Nur 300.000 von ihnen sind Kataris. Fast alle von ihnen sind reich, dank der Vergünstigungen des Staates. Jedes Paar versorgt er mit Grund und Geld. Kataris zahlen keine  Steuern. Medizinische Versorgung, Strom und Wasser –  das  alles ist kostenlos. 

Der Rest der im Emirat lebenden Menschen  kommt aus dem Ausland. Gastarbeiter – vom hoch bezahlten Experten bis zum Bauarbeiter mit einem Mindestlohn von nicht einmal 300 Euro im Monat. Sie haben nicht nur die WM-Stadien gebaut. Sie haben in den letzten Jahrzehnten dieses Land errichtet, das bald im Fokus der Weltöffentlichkeit  steht und sich von seiner besten Seite zeigen will. Doch so glänzend die Fassaden der Hochhäuser auch sind, so imposant die Stadien und so herzlich die Gastfreundschaft der Menschen auch sein mag –  die Kritik wird bleiben.

Denn im Gegensatz zum rasanten Wachstum der Gebäude hinkt die Entwicklung hin zu einer modernen, aufgeschlossenen Gesellschaft in diesem Land  hinterher. Nach wenigen Tagen in Katar beschleicht einen das Gefühl, diese WM kommt zu früh.

Und nun sogar einen Tag früher. Um das ursprünglich nicht als Eröffnungsspiel angesetzte Duell zwischen Katar und Ecuador doch noch an den Beginn zu stellen, startet das Turnier jetzt eben  am 20. November. Wer in der Aspire Academy genau hinschaut, sieht noch das alte Startdatum am Tag darauf. „Nicht filmen“, ruft der Sicherheitsmann am Eingang des Sportzentrums. Zu spät. So perfekt man in Katar und bei der Fifa auch glaubt, auf diese WM  vorbereitet zu sein – nicht alle Fehler lassen sich kaschieren.

Unterwegs im Land des WM-Gastgebers

Susanne Fetter ist Sportchefin der Neuen Osnabrücker Zeitung, die wie die Main-Post Teil der Sportkooperation G14 ist. Deshalb erscheinen ihre Texte auch in dieser Zeitung. Die Journalistin hat sich vor dem Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft eine Woche lang im Emirat Katar umgesehen, auf das bald die ganze Welt schaut. Unterwegs war sie mit einer kleinen Gruppe von Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, organisiert wurde die Reise von der Wiener Journalistenakademie fjum.
Während der Reise hat Fetter Stadien besucht, mit Gastarbeitern und Einheimischen gesprochen, mit Studierenden und Sportlern, mit Expertinnen und Experten  für Arbeiter- und Menschenrechte und für islamische Geschichte, mit Professorinnen und Professoren, Vertretern des Organisationskomitees und mit Menschen, die auf vielfältige Art und Weise an der WM beteiligt sind. Sie hat einen Blick ins Quartier der deutschen Mannschaft gewagt und auch noch Dubai besucht, wo ein Großteil der deutschen Fans untergebracht sein wird.
Viele Fragen taten sich auf. Ist diese WM wirklich so nachhaltig, wie Katar in seiner Bewerbung versprach? Wie wird die Situation für die Spieler sein und ist man überhaupt auf diese Massen an Fans vorbereitet? Hat sich für die Gastarbeiter des Landes durch die erhöhte Aufmerksamkeit tatsächlich etwas verbessert, wie Katar und die Fifa  stets betonen? Und wieso richtet ein Land, das kleiner ist als Schleswig-Holstein eigentlich so viele Sportereignisse aus?
Bis zum Start der WM am 20. November werden wir in einer Serie  diesen Fragen nachgehen und versuchen, so viele Antworten wie möglich zu geben. Vor allem aber wollen wir zeigen, wie es aussieht – in einem Land, auf das in wenigen Tagen die ganze Welt schaut und über das viele längst sprechen, das die meisten  aber noch nie gesehen haben.
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