Der Bamberger Kriegsreporter Till Mayer dokumentiert seit 2017 den Krieg in der Ostukraine. Rund ein Dutzend Reisen führten ihn bis zur dritten russischen Invasion am 24. Februar 2022 bereits an die Front im Donbas. Auch im vergangenen Jahr war der 50-Jährige viel in dem Land unterwegs. Ein Gespräch über die Lage dort, über die Angst im Kriegsgebiet - und die Frage, wie er selbst als Journalist mit den Gefahren vor Ort umgeht.
Till Mayer: Ich war in mehreren Orten und Städten. Lwiw, Borodjanka, Kyjiw, Odessa, Mykolajiw und Kherson. Die Lage ist vor Ort völlig unterschiedlich. Es hängt ganz davon ab, wo man sich im Land befindet. Nahe der Front, zum Beispiel im Donbas, wird hart gekämpft – mit Artilleriegefechten und schweren Waffen. Die ukrainischen Streitkräfte hatten mit ihren Offensiven viel Erfolg. Kherson im Süden ist befreit, und zuvor die Region Charkiw. Ich konnte erleben, wie im gerade befreiten Kherson Menschen vor Freude weinten, während in der Ferne noch Explosionen zu hören waren. Hart umkämpft ist derzeit Bachmut. Letztendlich ist der Krieg aber im ganzen Land allgegenwärtig. Die gezielten russischen Drohnen- und Raketenangriffe auf die Infrastruktur der Energie- und Wasserversorgung erfolgen landesweit. Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainer haben nur noch eine begrenze Energie- und Wasserversorgung. Der gezielte Angriff auf zivile Versorgungseinrichtungen ist übrigens ein Kriegsverbrechen.
Mayer: Eines beeindruckt mich immer wieder: Der Wille der Ukrainerinnen und Ukrainer für ihr Land, Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Das sind für die Menschen dort keine leeren Worthülsen. Viele sind dafür bereit sehr, sehr viel zu opfern. Putin fährt auf dem Schlachtfeld Niederlagen ein. So versucht er die Menschen mit Raketen- und Drohnenangriffen mürbe zu machen. Es wird ein harter Winter für die Menschen in der Ukraine. Sie werden Unterstützung brauchen, um durch diese extrem schwere Zeit zu kommen. Aber sie werden sich nicht kleinkriegen lassen. Sorgen mache ich mir eher, wie solidarisch die Menschen in Deutschland reagieren. Das große Verdrängen hat schon wieder begonnen. Doch letztendlich war es genau dieses Verdrängen und Wegsehen, das uns jetzt mit in diese Situation gebracht hat.
Mayer: Das ist schwer zu sagen. Viele Protagonistinnen und Protagonisten meiner Reportagen sind Menschen, die ich seit Jahren kenne. Ich verbrachte mit ihnen Nächte in Luftschutzräumen, erlebte mit ihnen den Beschuss ihrer Stadt, wie in Charkiw im April. Freunde von mir kämpfen an der Front. Sie alle lassen mich nahe an sich heran, um ihre Geschichten zu erzählen. Die Zerstörung in den Kampfgebieten ist erschreckend. Einmal war ich mit meiner Kamera mit der Internationalen Legion unterwegs. Da habe ich schon die Granaten pfeifen hören. Am Ende des Einsatzes war ein Soldat gefallen und drei verwundet. Es gibt Augenblicke, da sehe ich Unfassbares: Eine Mutter, die ihren Sohn in einem Granattrichter vor ihrem kleinen Haus nahe Kupjansk begraben hat. Ich traf sie einen Tag, nachdem sie das Grab angelegt hatte. Ihr gerade befreites Dorf war weitgehend zerstört. Aus den Trümmerteilen stieg vereinzelt Rauch auf, Tote in schwarzen Plastiksäcken lagen noch auf der Straße. Es war ein Albtraum. Was schmerzt: Menschen, die ich kenne, sind an der Front gefallen oder schwer verwundet worden.
Mayer: Noch als Volontär sprang ich auf einen Hilfsgüter-Konvoi auf und kam so das erste Mal in ein Kriegsgebiet: Bosnien. Dann berichtete ich viel über Kriege in Afrika: Angola, Kongo, Somalia, Liberia, Äthiopien, Sierra Leone hießen damals die Kriegs- und Krisenschauplätze. Später war ich dann beispielsweise in Palästina, im Irak, in Libyen, Kolumbien oder im Süd-Sudan. Ich habe mittlerweile aus rund 30 Kriegs- und Krisengebieten berichtet. Oft arbeitete ich dabei auch mit Hilfsorganisationen zusammen. Ich bin aber eigentlich nicht der übliche Kriegsreporter. Ich sehe mich eher als Foto-Journalisten, der sich sozialen Themen widmet, und dabei oft in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs ist. Vor allem dann, wenn sie und damit die betroffenen Menschen in Vergessenheit geraten. So wie es bis Anfang dieses Jahres auch mit der Ukraine der Fall war.
Mayer: Das Überleben ist wichtigste Thema überhaupt. Wegschauen ist nicht nur empathielos. Wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gerade zeigt, kann Wegschauen auch sehr, sehr gefährlich für unseren Frieden sein.
Mayer: Angst habe ich vor allem, dass ich durch einen Fehler andere gefährden könnte. Würde zum Beispiel ein Foto von mir verraten, wo genau sich eine Stellung der Armee oder der Luftabwehr befindet, könnte das für die Soldaten den Tod durch einen russischen Raketenangriff bedeuten. Vor den Gefahren des Krieges habe ich Respekt. Mein ukrainischer Kollege, der mich begleitet, hat 2014 selbst gekämpft. Wir entscheiden immer zusammen, welches Risiko wir eingehen und wo für uns beide die Grenze ist.
Mayer: So einen Moment gab es einmal bei einer schweren Dürre in Äthiopien, bei der ich Menschen an dem Folgen von Unterernährung sterben sah. Es gibt schon Momente, da ist das Erlebte eine schwere Bürde.