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LESERANWALT
Warum es in der Redaktion selten nur eine Meinung geben kann
News Desk 2       -  Ein Blick in die Redaktion.
Foto: Ruppert | Ein Blick in die Redaktion.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 02.08.2018 14:31 Uhr

Gibt es zu allen Themen, Entwicklungen und Ereignissen nur eine Meinung der Redaktion? Ich antworte auf die Frage, weil sie sich öfter stellt. Wird doch in Medien zuweilen vorbeugend mitgeteilt, dass Leserbriefe und Leserkommentare nicht die Meinung der Redaktion oder des Mediums wiedergeben. Diese formale Feststellung ist nichts Neues. Leser können daraus aber leicht ableiten, dass es eine gemeinsame Meinung der Redaktion gibt.

Wer nicht dafür ist, ist dagegen 
Aber man muss schon sehr verärgert sein, wenn man glaubt, weit mehr als 100 festangestellten Mitarbeitern einer Redaktion und noch viel mehr freien Journalisten eine Meinung unterstellen zu können. Und doch wird es für Redaktionen kritisch bei Einseitigkeit, ob sichtbar oder nur gefühlt. Es kann sein dass, überwiegend Leser-Meinungen von nur einer Seite veröffentlicht wurden, weil nicht genug andere eingegangen sind. Wenn diese eine Seite dann der Einstellung von besonders engagierten Leute widerspricht, richten die massive Vorwürfe an die Redaktion: Sie steuere diese Einseitigkeit gezielt im Sinne ihrer eigenen Meinung oder gar der ihres Mediums. Man glaubt, dort eine grundsätzlich einseitige Interessenslage ausgemacht zu haben. Das heißt, dass man annimmt, in der Redaktion sei nur eine Meinung vertreten.
Verschwörungstheoretiker treten zuweilen hinzu. Die wähnen dann ohnehin alle unter einer Decke - unter welcher auch immer. Aber auch seriöse Bürgerinitiativen kämpfen um ihre Ziele. Auch für sie gilt als Gegner, wer nicht mit ihnen mitzieht. Das trifft dann Redaktionen, die sich bemühen, ausgewogen zu berichten. Und die Unabhängigkeit zeigen wollen.

Menschichkeit gehört zum Journalismus
Selbst wenn manches darauf hindeuten könnte, dass es eine Redaktionsmeinung gibt: Diese Folgerung ist falsch! Die Meinungen sind oft von Redakteur zu Redakteur unterschiedlich. Das führt regelmäßig zu internen Diskussionen über Veröffentlichungen.
Freilich reicht diese Erklärung nicht ganz aus, weil sie nicht alle Aspekte erfasst.
Eine Ausnahme von der unterschiedlichen Meinungslage füge ich sehr bewusst hier ein. Sie ist aktuell hervorzuheben. Es gibt in der Redaktion wohl niemanden, der sich mit Pegida-Inhalten, soweit die erkennbar sind, gemein gemacht hat. Fremdenfeindlichkeit oder Feindseligkeiten gegenüber Menschen auf der Flucht finden einhellig Ablehnung. Das bedarf jedoch keiner eigenen Meinungsbildung. Denn Menschlichkeit und Fairness dürfen bei Journalisten in einem demokratischen Staatswesen unterstellt werden. Bei der Main-Post lässt sie sich aus den   journalistischen Leitlinien für die Redaktion   verpflichtend herauslesen.

Die Meinung eines Journalisten
Zurück zur Eingangsfrage: Journalisten verbreiten Meinung indem sie Kommentare schreiben. Stehen dann etwa nicht alle Mitarbeiter hinter dem, was da auch in ihrem Medium verbreitet wird? Diese Frage sollte nur im Hinblick auf das journalistische Handwerk mit einem "Ja" beantwortet werden können. Ansonsten handelt es sich bei Kommentaren um die Betrachtung und Deutung eines Journalisten, dem, der als Autor gezeichnet hat. Es gibt also nicht die eine Meinung, die etwa von der Chefredaktion zu einem Thema festgeschrieben wird, wie es von Interessengruppen unterstellt wird. Das geschieht tatsächlich nie. Es wäre undenkbar.

Orientierung an journalistischen Leitlinien
Es wäre natürlich falsch, dabei den Eindruck zu erwecken, dass von Jedermann munter drauflos geschrieben werden kann. Der Auftrag, zu kommentieren, ergeht in der Regel nämlich an sachkundige Redaktionsmitglieder, Korrespondenten oder freie Mitarbeiter, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt und recherchiert haben sollten. Dazu gibt es die journalistischen Leitlinien der Redaktion, an denen man sich zu orientieren hat.

Augenmaß und Fairness
Meinungsbeiträge werden in der Redaktion untereinander gegengelesen, nicht alleine um die Einhaltung der Leitlinien zu sichern. Es wird darauf geschaut, dass schlüssig und verständlich argumentiert worden ist. Auch auf Augenmaß und Fairness wird geachtet. Eine Ansicht soll verbreitet werden, die kompetent zu einer Diskussion beiträgt oder eine notwendige Debatte eröffnet. Ziel sollte es dabei sein, zu überzeugen. Scheitern müsste, wer versucht, die Leserschaft damit auf seine Linie zu bringen. Deshalb zielt auch ins Leere, wer diesen Versuch dem Autor oder der der Redaktion vorwirft.
Und  Kommentare , überhaupt Meinungsbeiträge aller Art (Satiren, Karikaturen, Glossen oder Lokalspitzen) gehören wie die Berichterstattung zum Journalismus, das wird auch in Urteilen des Bundesverfassungsgericht immer wieder deutlich. 

Erfüllung der Wächterrolle
Oft ist es so, dass Meinungsbeiträge anprangern: das Handeln eines Politikers oder eine Maßnahme von öffentlichem Interesse. Dann ist es gerade in Lokalteilen unerlässlich, ausreichend recherchiert zu haben, damit Fakten für die Kritik sprechen. Es kann dabei als journalistischer Erfolg betrachtet werden, wenn etwas Negatives im Sinne der Bürger verhindert oder eine Verbesserung für das Gemeinwohl herbeigeführt werden konnte. Das gehört zur Erfüllung der Wächterrolle, die dem Journalismus zugeschrieben wird.

Soll sich die Redaktion auf eine Seite schlagen?
Erwähnenswert ist ein viel diskutierter Aspekt: Eine Redaktion könnte aufgrund ihrer Kenntnisse zu der Überzeugung gelangen, eine gemeinsame Haltung für eine Sache einzunehmen. Das wäre eine Möglichkeit, die die Pressefreiheit gestattet. Und wenn es nur um die Unterstützung einer guten oder wichtigen Sache geht, gerät darüber die Überparteilichkeit nicht in Gefahr.
Regionale Beispiele dafür könnten die weitere Nutzung des Mozart-Areals in Würzburg sein, der Bau von Windrädern oder die sogenannte Westumgehung. Dann ginge es nicht mehr nur um Meinung, sondern zuvor um eine publizistische Grundsatzfrage: Ist es richtig, sich in solchen und vergleichbaren Fällen redaktionell auf eine Seite zu schlagen?
Bei diesen Beispielen war das nicht Fall. Ausschlaggebend sind nicht Furcht vor dem Unmut und den Widerständen von Lesern, von Betroffenen oder Beteiligten. Schwierig ist auch die überaus komplexe Sachlage. Zudem sind oft Geschmacksfragen damit verbunden. Es mangelt gelegentlich auch an ausreichender eigener Kompetenz, einer, die Experten widerlegen kann. Insgesamt fehlt die Sicherheit, sich für nur eine Variante einzusetzen. Denn die sollte dann schließlich die beste für die betroffenen Menschen und das Gemeinwohl sein. Wer könnte bei den genannten Beispielen dafür schon eine Garantie geben.

Unterschiedliche Gesichtspunkte gegenüberstellen
Folglich gibt es nur in klaren Fällen eine grundsätzliche Unterstützung für nur eine Seite. Meist ist vorwiegend eine informierende und kritische journalistische Begleitung von Entwicklungen und Maßnahmen zu erkennen. Ganz abgesehen davon, ist es umstritten, ob es als Aufgabe des Journalismus anzusehen ist, selbst Politik aktiv mitzubestimmen. Die Grenzen hin zum engagierten Journalismus sind ohnehin fließend. Wer mit Journalismus zur Demokratie und zum Gemeinwohl beiträgt, der wird aus meiner Sicht auch politisch aktiv. Und das ist vom Journalismus in seiner Wächterrolle gewollt.
Der beste Weg - nicht nur bei schwierigen Sachlagen - ist es allemal, unterschiedliche Gesichtspunkte erklärend gegenüber zu stellen, um Lesern eine eigene fundierte Meinungsbildung zu ermöglichen. Das gilt dann gleichermaßen für Journalisten, die dabei ebenfalls zu unterschiedlichen Ansichten kommen können. Von Zeit zu Zeit kommt das in Pro- und Kontrakommentaren aus der Redaktion zum Ausdruck. Und es gab schon andere und neue Argumente zum selben Thema, wenn der Kommentator gewechselt hat.

Nein, es gibt sie nicht, die eine Meinung der Redaktion. Wenn doch, so ist es ein seltener Zufall. Und das ist gut so. Journalismus braucht Offenheit und Vielfalt. Dazu gehören selbstbewusste, verantwortliche und unabhängige Journalisten. Und die müssen durchaus nicht alle mit diesem Beitrag einverstanden sein. Immerhin bin ich sehr von idealen Vorstellungen ausgegangen. Unzulänglichkeiten sind zuweilen aber unvermeidlich.

Die journalistischen Leitlinien der Redaktionen erreichen Sie online über das Impressum. Hier der komplette Link:


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