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LESERANWALT
Leseranwalt: Was der Presserat auch Seehofer erklärt hat 
Heftig diskutierte Kolumne in der "taz": Warum die bitterböse Satire gegen die Polizei zu einer Geschmacksfrage werden musste.
Die Polizei gewährt oft Sicherheit, muss sich aber auch bitterböse Kritik  gefallen lassen. Dieses Archivbild steht zeigt, wie Polizisten am 12. September in Hannover eine Demonstration gegen die Corona-Auflagen vor Gegendemonstranten gesichert haben.
Foto: Hauke-Christian Dittrich | Die Polizei gewährt oft Sicherheit, muss sich aber auch bitterböse Kritik  gefallen lassen. Dieses Archivbild steht zeigt, wie Polizisten am 12.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 08.02.2024 18:13 Uhr

Begründungen ethischer Urteile über Journalismus kommen der Rechtsprechung zuweilen nahe. Beispiel ist die jüngste Entscheidung des Deutschen Presserates zu Beschwerden über eine öffentlich heftig diskutierte Kolumne der Berliner Zeitung "taz" mit dem Titel "Abschaffung der Polizei: All cops are berufsunfähig".

Darin war zur Suche nach einer neuen Verwendung für die Polizei zu lesen: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten." Das folgerte die Autorin der Kolumne, nachdem sie sich eingangs gefragt hatte: "Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen?"

Gut beratener Seehofer

Für diesen bitterbösen satirischen Beitrag ernteten "taz" und Autorin öffentlich Kritik. Mit einer Strafanzeige wollte Bundesinnenminister Horst Seehofer dagegen vorgehen. Das hat er – wahrscheinlich gut beraten – unterlassen, sich stattdessen aber den mehr als 380 Beschwerden an den Presserat angeschlossen. Der hat aber sie nun allesamt als unbegründet zurückgewiesen.

Wörtlich erklärt der Presserat somit auch dem Bundesinnenminister: "Das Gedankenspiel der Autorin, der als geeigneter Ort für Ex-Polizisten nur die Mülldeponie einfällt, ist von der Meinungsfreiheit gedeckt." Nicht zwingend sei die Interpretation, Polizisten würden mit Müll gleichgesetzt. Es sei ein drastisches Gedankenspiel mit Raum für unterschiedliche Interpretationen.

Bezug auf eine Berufsgruppe

Die Polizei müsse es sich als Teil der Exekutive gefallen lassen, von der Presse scharf kritisiert zu werden. In dieser Aussage kann man einen Verweis der Presseräte auf die Wächterrolle der Medien sehen. Schließlich beziehe sich die Satire im Kern auf die gesellschaftliche Debatte über strukturelle Probleme bei der Polizei wie Rechtsradikalismus, Gewalt und Rassismus.

Die Kolumne, so der Presserat, verstoße auch nicht gegen Menschenwürde, das habe man mehrheitlich festgehalten. Die Begründung der freiwilligen Selbstkontrolle-Organisation Presserat könnte auch der Rechtsprechung entnommen sein: Die Kritik beziehe sich auf eine ganze Berufsgruppe und nicht auf einzelne Polizisten. Siehe auch die Verteidigung des taz-Anwaltes: "Wieso soll das verboten sein?" Der verweist unter anderem auf die Entscheidung zu "Soldaten sind Mörder" des Bundesverfassungsgerichts. Seither wisse man, dass "einer Bestrafung wegen derartiger Äußerungen (…) stets die Gefahr überschießender Beschränkungen der Meinungsfreiheit inne(wohnt)".

Kein Qualitätsurteil

Auch Diskriminierung kommt für den Presserat als Vorwurf nicht in Frage, weil die Polizei eine gesellschaftlich anerkannte Berufsgruppe ist, anders als etwa Angehörige von religiösen oder ethnischen Minderheiten. Grundsätzlich hält er fest, dass der Begriff "Mülldeponie" als einziger Ort für die Polizei eine Geschmacksfrage berührt, über die er nicht entscheidet. Damit ließ er zu seiner nachvollziehbaren Beschwerde-Ablehnung durchblicken, dass er damit nicht über die Qualität des Beitrages geurteilt hat. Das bleibt - siehe Meinungsfreiheit – der Leserschaft überlassen.

Die Mitteilung des Presserates: "taz-Kolumne verstößt nicht gegen den Pressekodex"

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Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute

 
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