Nicht einmal im heißesten Wahlkampf wurden bei uns die Kandidaten so beleidigt und so in ihrer Persönlichkeit verletzt, wie in diesem tiefsinnigen Selbstgespräch“, heißt es in einer Leserzuschrift in einem unserer 13 Lokalteile. Es ist die scharfe Kritik eines Bewerbers aus der Nachbarschaft – eine Kritik unter vielen. Alle richten sie sich gegen einen satirisch-ironischen Beitrag, ein fiktives Selbstgespräch über Gott und die (lokale) Welt, wie es in jener Lokalausgabe öfter zu lesen ist.
Doch diesmal ward unter dem ziemlich eindeutigen Serientitel „Schräg“ die Fantasiegestalt Siggi zu den sehr realen Kandidaten der Bürgermeisterwahl einer Stadt interviewt – veröffentlicht nach dem Wahltag, noch vor der Stichwahl. Einer von den Bewerbern, der als Chef ins Rathaus einziehen wollte, aber die fällige Stichwahl nicht erreichte, hatte unseren Siggi wenig überzeugt. Er habe was gegen „Warmduscher“, hat der im Hinblick auf den Gescheiterten wissen lassen. Empörung über die Respektlosigkeit floss nun aus den Zuschriften, meist aus der Feder von Parteifreunden des so Gescholtenen.
Zumindest dann, wenn ich mich in die Rolle des Kandidaten und seiner Parteifreunde hineindenke, bringe ich Verständnis für sie auf. Lese ich doch: „Der Mann hat außer Mut nit viel. Ke Eck'n, ke Kant'n. Der kommt mir vor wie'n Wackel-Pudding – aber enner ohne Geschmack un ohne Farb'“. So Siggis mundartliche Einschätzung. Mit, „dann lieber kenn' als so enn'“ endet seine freche Beurteilung.
Zugegeben, das ist hart. Und doch geht es nicht, wie es in einer Zuschrift heißt, über die Grenzen der Pressefreiheit hinaus. Es ist aus meiner Sicht nicht ehrabschneidend, wie ein weiterer Vorwurf lautet. Mit einer öffentlichen Entschuldigung des Autors, die gefordert worden ist, würde man den Beitrag überhöhen. Es wäre eine unangemessene Reaktion auf Satire. Denn die ist eben „in ihrem tiefsten Wesen ungerecht“, hat 1919 schon der große Satiriker Kurt Tucholsky festgehalten.
Und das ist legitim, noch heute. So urteilen Gerichte in diesem Lande. Begründung: Satiren sind für den normalen, unvoreingenommenen und vernünftigen Betrachter als solche erkennbar und durchschaubar. Man weiß, dass sie überzeichnen, dass sie in grotesker, verzerrender Weise pointieren.
Ach ja, solche Beiträge sollen nicht die Leute stärken, die unsere Demokratie ablehnen, wie es ein Leser befürchtet. Im Gegenteil: Sie zählen zu den Freiheiten, die nur eine Demokratie gewährt. Demokrat ist, wer sie will und erträgt.
Auch wenn einige Kritiker in jenem schrägen Interview keine Satire erkennen mögen, würde das noch kein Veröffentlichungsverbot rechtfertigen. Denken Sie nur daran, um wie viel schonungsloser Kabarettisten mit Politikern umspringen. Dagegen erscheinen „Warmduscher“ oder „Wackel-Pudding“ homöopathisch.
Zugegeben: Wer gerade in die Lokalpolitik einsteigt und enttäuscht wird, hat längst nicht das dicke Fell derer, die in Berlin die Geschicke dieses Landes bestimmen sollen. Bei ihnen gilt Satire gar als Indikator für ihre Bedeutung.
Niemand muss nun das Geplauder des Siggi über die kommunalen Kandidaten für gelungen halten. Das erwarte weder ich, noch die Redaktion – schon gar nicht von mitfühlenden Parteifreunden. Aber lassen Sie sich doch bitte dadurch nicht gleich wieder entmutigen. Wir brauchen Ihr Streben nach Verantwortung und Ihre politische Leistung. Denken Sie einfach daran, womit uns Tucholsky stärkt: „Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann ...“