Die Kreativität, die unserer Leserschaft entspringt, versetzt mich gelegentlich in Erstaunen. So schreibt uns dieser Tage eine Dame aus dem Raum Würzburg:
„212 zu 259. Dies ist kein ungewöhnliches Sportergebnis sondern in Gramm das Verhältnis Samstagszeitung zu Werbebeilagen – wobei Ihre Zeitung leider verloren hat, sie wog weniger. Wenn Ihre Zeitung 'nur' noch als Verpackung für unerwünschte Werbung dient, dann müssen wir uns in Bälde trennen!“
Das würden wir wahrhaftig sehr bedauern. Deshalb habe ich der Dame geantwortet:
„Verehrte Frau XXX, ich gehe davon aus, dass Sie sehr gut wissen, dass sich der Wert einer Zeitung nicht in Kilogramm aufwiegen lässt. Auch unser Preis basiert schließlich nicht auf dem Gewicht. Es sind andere, nämlich inhaltliche Kriterien, denen Sie ihre Aufmerksamkeit schenken sollten. Das wissen Sie sehr gut. Dennoch ist uns Ihre originelle Betrachtungsweise eine Antwort wert, weil sich dahinter auch ein verbreitetes Missverständnis verbergen könnte.
Werbung ist für die Zeitung und viele ihrer Leser nämlich unverzichtbar, gleich in welcher Form sie transportiert wird. Ohne die Werbung müsste der Verkaufspreis deutlich höher ausfallen. Auch mit der von Abonnenten bezahlten Gebühr – dafür, dass ihnen das Produkt auch noch täglich ins Haus geliefert wird – ist nur ein geringer Teil der Kosten gedeckt. Denken Sie nur an die Arbeitsplätze, die erwirtschaftet werden müssen.
Ihr Gewichtsvergleich wäre zudem anders ausgefallen, wenn sich die Werbekunden entschieden hätten, ihre Angebote direkt in der Zeitung zu platzieren. Das aber ist alleine die Entscheidung der Kunden.
Schließlich, verehrte Frau XXX, ist für die deutliche Mehrzahl unserer Leser auch Werbung als zusätzliche Information unverzichtbar. Dafür bitte ich Sie um Ihr Verständnis. Gönnen Sie anderen Menschen das, was Sie vielleicht verschmähen.
Bleiben Sie uns als kritische Leserin gewogen.“
ich versuche wirklich, Ihre Interessen und Argumente zu verstehen. Das fällt mir aber reichlich schwer. Aus folgenden Gründen:
1. Ein Medium kann keine Werbung ablehnen, frei nach dem Motto, "so jetzt ist es aber mal genug für unsere Abonnenten."
2. Die Werbung ist wirtschaftlich von immenser Bedeutung. Da hat @grayjohn eben Recht. Wir müssten für das Abo sehr viel Geld verlangen, um einen Verzicht auf Werbeinnahmen zu kompensieren.
3. Fehlende Werbung wäre zudem ein schmerzlicher Verlust für die Mehrzahl der Abonnenten, die diese zusätzliche Information wünschen. Das zeigen repräsentative Umfragen.
4. Werbung war und ist wichtig für die Wirtschaft. Sie schafft und erhält Arbeitsplätze - gerade in Zeiten wie unseren.
5. Werbmöglichkeiten sind ein unverzichtbares Angebot das jedes Medium machen muss, das wirtschaftlich arbeiten muss. Nur die öffentlich rechtlichen Stationen sind anders finanziert.
6. Werbung in der Zeitung und ihre Werbebeilagen haben Erfolg. Das kann ich schon deshalb festhalten, weil diese Möglichkeit von Unternehmen sonst in dieser Größenordnung nicht genutzt würden. Die dafür Verantwortlichen in den Firmen können es sich nicht leisten, ihre Werbebudgets zu verschleudern.
6. Das Bundesverfassungsgericht hat das wirtschaftliche Arbeiten von Medien als notwendig erachtet - zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit.
7. Leider ist die Branche technisch noch nicht so weit, dass sie Zeitungen individuell nach Wunsch ausliefern kann: Einmal mit viel und einmal mit wenig Werbung, je nach Bestellung.
8. Man kann Werbung ablehnen oder übersehen. Sie als Müll zu bezeichnen ist Ignoranz gegenüber den Gesetzen des Marktes.
Werbung kennzeichnet die Kultur von Zeiträumen. Sie verändert sich mit dem Zeitgeist. Es lohnt sich, darauf zu achten.
9. Der redaktionelle Umfang wird nicht durch die Masse der mitgelieferten Werbebeilagen beeinflusst. Er ist festgeschrieben.
So bitte ich um Toleranz für die Notwendigkeit von Werbebeilagen für eine jede Tageszeitung. Das schreibe ich als Leseranwalt, der zwar Lesern immer dann zustimmt, wenn er bei Ihnen berechtigte Interessen erkennt.
Die hier beschriebenen Interessen freilich gefährden eine Tageszeitung existenziell. Das kann ich im Interesse der Masse ihrer Leser nicht wünschen.
Anton Sahlender
Leseranwalt
Über das dem allem zugrunde liegende Problem: jede/r will innerhalb möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld verdienen, wenn nötig auch auf Kosten seiner Mitmenschen, ist es aber vielleicht besser, wenn Sie sich mit einem Pfarrer Ihres Vertrauens unterhalten...
Ich werfe hier jetzt aber nicht den ersten Stein und krame lieber in der Hoffnung auf die ultimative Werbung weiter munter das ganze Papier aus dem Briefkasten. Denn auch dessen Herstellung sichert Arbeitplätze, vielleicht auf Umwegen sogar meinen. (Dass man die dafür verbratene Knete vielleicht auch zur Steigerung der Qualität der beworbenen Produkte einsetzen könnte, die dann für sich selber spräche, steht schon wieder auf einem anderen Blatt.)
Man muss das viele Papier optimistisch sehen: vielleicht ist eines Tages genau das Ding drin für einen bezahlbaren Preis, was man schon immer haben wollte, ohne es genau zu wissen .
Was die Formulierung der Stellungnahme angeht: hätte Herr Sarrazin die verfassen müssen, hätte wahrscheinlich halb WÜ incl. Umkreis einen empörten Aufschrei losgelassen. Gut dass ich den Job nich machen muss (krieg wahrscheinlich genug Schimpfe für diesen Kommentar)...
Ihr Kommentar zum Einwand, dass die Werbebeilage mehr wiegt als die eigentlich vom Leser gekaufte Zeitung geht wohl entschieden zu weit. Als sogenannter Leseranwalt sollten Sie nicht nur die Interessen der Zeitung vertreten, dann müssten Sie sich ja Zeitunsanwalt heißen und den verleihenen Preis als Leseranwalt zurückgeben, sondern gelegtlich auch die Interessen des Lesers bzw. der Leserin.
Wie Sie darfauf kommen, dass ein Abonent es sich ohne Kommentar gefallen lassen muß mehr Werbung als Informaton zu erhalten (und sei es gemessen an Gewicht) ist mir vollkommen unverständlich. Dass Sie aber die Leserin auch noch in die Asoziale Ecke drängen grenzt an eine Unverschämtheit. Oder wie soll ich verstehen, wenn eine Leserin keine Werbung haben möchte, dass Sie unterstellen Sie gefährde damit Arbeitsplätze und hindere andere Leserinen und Leser an Informationen zu kommen.
Noch dazu kommt dass eine nicht unerhebliche Anzahl der Leser/in der Zeitung extra an ihrem Briefkasten vermekt hat, dass Sie keine Werbung erhalten möchten. Über diesen berechtigten Wunsch setzen Sie sich einfach hinweg und versuchen der Leserin ein schlechtes Gewissen deswegen einzureden.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass Ihr Kommentar vollkommen unangebracht ist und Sie mit dieser Art sicherlich den Namen "Leseranwalt" nicht verdienen.
Mit freudliche Grüßen
Wolfgang Eisenmann