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LESERANWALT
Leseranwalt: Journalistenmeute lungert vor dem Adenauer-Haus in Berlin
Die Frage einer Leserin nach einem kritischen Nebensatz beantwortet Berlin-Korrespondent Stefan Lange mit einem Blick auf die Kulisse der Medien in der Bundeshauptstadt.
Wartende Journalisten vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Eine lungernde Meute? Das Archivbild wurde im Februar 2018 aufgenommen. 
Foto: ArchivBritta Pedersen, dpa | Wartende Journalisten vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Eine lungernde Meute? Das Archivbild wurde im Februar 2018 aufgenommen. 
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 11:02 Uhr

Hatte die Leserin Mitleid, die mir ihr Erstaunen über eine Journalisten-Darstellung in einem Bericht aus der Zeitung vom 13. April übermittelte? Zitat: „Vor dem Konrad-Adenauer-Haus lungert die Journalistenmeute (…)“

Auf diese Tonart vorbereitet hat die Überschrift des Artikels „Sticheln und Stänkern“ (Kopie Textende). Denn das was folgt, lässt die Stimmungen nach dem so wörtlich „sonntäglichen Laschet-Söder-Spektakel“ nachempfinden. Es geht um das denkwürdige Kandidaten-Duell in der Union, nicht aber um die Journalisten, die darüber berichten sollen. Die haben vor der CDU-Zentrale in Berlin offenbar lange warten müssen, um nach einer Sitzung des Parteipräsidiums über eine auch von der Öffentlichkeit mit Spannung erwartete Antwort auf die K-Frage informieren zu können.

Stunden- und nächtelanges Warten auf politische Entscheidungen

In die ganzseitige Schilderung in der Zeitung zur K-Frage in der Union platzt die vor dem Gebäude lungernde Meute hinein. Diese mitleidlose Darstellung von Journalisten in nur einem Satzteil, die prägt sich ein. Warum diese Momentaufnahme des eigenen Berufsstandes, der sich selbst häufig als systemrelevant beschreibt? Das wollte ich vom Korrespondenten Stefan Lange, der den Artikel mitverfasst hat, wissen.

Ausschnitt aus dem Main-Post Artikel vom 13. April 2021
Foto: Repro: Sahlender | Ausschnitt aus dem Main-Post Artikel vom 13. April 2021

Aus seiner Berliner Perspektive, so erklärt Lange, findet er sie nicht falsch. Er schreibt mir, „sie hätten nur sehen müssen, wie die Kolleginnen und Kollegen hier am Sonntag auf Markus Söder zugestürzt sind. Da war nichts mehr mit Corona-Abstand.“ Masken hätten nur wenige aufgehabt. Das Wort „lungern“ habe er nicht despektierlich gebraucht. Es beschreibe jedoch ziemlich gut, „was wir hier tun, wenn wir stunden- und nächtelang auf politische Entscheidungen warten“.

Tiefe Einblicke in die Arbeit von Journalisten

Stefan Lange hat also für einen Moment einen wahrhaftigen Blick auf die journalistische Kulisse des Politikbetriebes in der Bundeshauptstadt gewährt. Speziell dazu erinnert er noch an einen ARD-Dokumentarfilm der Fotografin Herlinde Koelbl, ebenfalls mit dem Titel „Die Meute - Macht und Ohnmacht der Medien“. Koelbl gibt darin schon 2001 tiefe Einblicke in die Arbeit von Journalisten, Fotografen und Kameraleuten in Berlin. Sie hatte dazu die Kamera um 180 Grad gedreht und aus der Perspektive von Politikern und Prominenten lange die eigene Branche bei ihrer Jagd auf Interviews, Statements und Bilder beobachtet. Man erkennt Szenen, die im lokalen Journalismus Seltenheitswert besitzen.

Koelbl beschreibt auch in einem gleichnamigen Buch ein "Haifisch-Geschäft". Vertreter der schreibenden und fotografierenden Zunft äußern sich darin zu Arbeit, Selbstverständnis und Selbstwert. In Rezensionen jener Zeit ist die Rede von erhellenden Einblicken in Rang- und Hackordnungen, Eitelkeiten und Neurosen. Der Zuschauer sehe im Fernsehen einen Politiker ein Statement geben. Aber was alles passiere, wie lange ein Journalist warte für ein solches oft lausiges Statement - das sieht er nicht. Herlinde Koelbl aber zeigt es.

Wenn ich Stefan Lange richtig interpretiere, hat sich daran kaum etwas geändert.                     

Empirische Studie zum Hauptstadtjournalismus

Aktuelle Einblicke in den Hauptstadtjournalismus bietet eine empirische Studie des Netzwerks Recherche. Danach haben sich politische Kommunikation und die Recherchebedingungen unter dem enormen Berichterstattungstempo, dem Zwang zur Exklusivität und neuen Kommunikationsmitteln wie Video-Podcasts von Politikern gravierend verändert. Autoren der Studie sind der Medienforscher Leif Kramp und der Kommunikationswissenschaftler Dr. Stephan Weichert vom Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik. Der Titel lautet: "Journalismus in der Berliner Republik – Wer prägt die politische Agenda in der Bundeshauptstadt?".

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute

Ein kleiner Ausschnitt aus einem langen Beitrag eröffnet einen wahrhaftigen Blick auf die Arbeit der Journalisten in Berlin.
Foto: Repro: Sahlender | Ein kleiner Ausschnitt aus einem langen Beitrag eröffnet einen wahrhaftigen Blick auf die Arbeit der Journalisten in Berlin.

Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:

2008: "Denkende Menschen und intellektuelle Beleidigungen"

2008: "Der vergebliche Versuch, einen Satz ins rechte Licht zu rücken"

2018: "Analysen sind Meinung"

2020: "Warum ich auf das Wohl eines nachdenklichen Lesers anstoßen muss"

 
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