Worte können verletzen, manchmal deshalb, weil sie für eine andere Ansicht stehen. Ein Leser hat mich erzürnt auf ein Beispiel gestoßen. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff setzte sich am 25. Juni mit dem Vorschlag von Linksparteichef Oskar Lafontaine auseinander, alles Militär sofort aus Afghanistan zurückzuziehen und lieber mehr für den zivilen Aufbau zu tun. Kolhoff argumentierte dagegen und bezeichnete diesen Vorschlag als „eine intellektuelle Beleidigung jedes denkenden Menschen.“
Heftig protestiert dagegen bei mir ein Leser aus dem Schweinfurter Raum. Er will sich beim Deutschen Presserat beschweren, weil Kolhoff jedem, der eine andere Meinung vertrete, die Fähigkeit zu denken abspreche. Darin erkennt er eine ungeheuerliche Beleidigung. Er erwartet eine Entschuldigung.
Ich gebe meinem ersten Impuls nicht nach, die Wertung des Berliner Korrespondenten ebenfalls als zu hart einzustufen. Stattdessen will ich herausfinden, was er denn mit einer „intellektuellen Beleidigung“ gemeint haben kann. Bewusst frage ich nicht Herrn Kolhoff selbst. Ich begebe mich in Ihre Situation als Leser.
Nehmen wir intellektuell: Das gilt als abgeleitet vom lateinischen intellegere – verstehen. Letzteres versuche ich mittels Duden, der sich auf eine französische Herkunft beruft. Verstandesgemäß, geistig steht da, einordnend noch einseitig. Bei Wikipedia im Internet erfreut mich unter vielen Erklärungen eine Passage über Intellektuelle, die ich versuche verständlich wiederzugeben: Für die Soziologie (dem Wirtschaftswissenschaftler Joseph Alois Schumpeter/1883-1950 folgend) verstehen sie zu reden und zu schreiben und mit ihrer Kritik öffentlich Dinge zur Sprache zu bringen, die an sich außerhalb ihrer Sachkompetenzen und Verantwortungsbereiche liegen. Ihre Erfolgschance beruhe erstens darauf, dass sie durch die in der Gesellschaft verbindlichen Grundwerte legitimiert werden und zweitens vor allem auf ihrem Störpotenzial. Außerdem heißt es, dass intellektuelles Kritisieren auch ohne Fachwissen erfolgen könne, während akademische Bildung durch harte Lernarbeit erlangt werde.
Das ist zwar schwere Kost, aber schon etwas erhellender. Hatte doch unser Korrespondent am 25. Juni herausgearbeitet, dass Lafontaine seinen Rückzugsvorschlag gemacht hat, ohne selbst in Afghanistan gewesen zu sein – im Gegensatz zu einigen der von ihm kritisierten Regierungspolitiker.
Fehlt die Beleidigung, die abgeleitet ist von Leid. Solches hat laut Kolhoff Lafontaine allen denkenden Menschen zugefügt, indem er sie geistig verletzt hat, wahrscheinlich noch einseitig. Ziehe ich dabei Schumpeters Soziologie zu Rate, so hat es der Linke außerhalb seiner Kompetenzen getan und auf sein Störpotenzial für diese Gesellschaft gezählt.
Lieber Leser aus dem Schweinfurter Raum, ich glaube, ich verstehe jetzt. Dafür, dass Sie Herrn Kolhoff in anderem Sinne interpretiert haben, muss er sich nicht entschuldigen. Ich habe das Gefühl, dass seine Worte denkende Menschen nicht verletzen, selbst wenn sie seine Meinung nicht teilen.