Botschaften aus Überschriften prägen sich leicht ein. Bei oberflächlichem Lesen bleiben nur sie haften – und das auch undifferenziert. Dazu zwei Beispiele: Samstag, 9. Mai, heißt es fragend "Hat Unterfranken Corona bald besiegt?" Diese Schlagzeile überhöht die Information aus einem sachlichen Artikel. Zur Hoffnung auf einen Sieg über das Virus gehört zweifellos mehr als die zu diesem Zeitpunkt deutlich geringeren Neu-Infektionen in einem bayerischen Bezirk.
Zumindest ist das Bemühen um positive Aspekte in diesen Tagen wohltuend. Anders die Überschrift auf der Titelseite vom 11. Mai. Sie ist eher geeignet, Furcht einzuflößen: "Corona-Politik spaltet das Land", stellt sie ganz ohne Fragezeichen fest. Im Bericht (Kopie am Ende dieses Beitrages) geht es um deutschlandweite Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, aber auch um ein – wie es heißt – zunehmendes tiefes Misstrauen gegenüber der Corona-Politik von Bund und Ländern. Es wachse ein Graben auch innerhalb der Bevölkerung.
Im Bericht wird gefragt
Später wird im Bericht zumindest gefragt, ob der Umgang mit dem Coronavirus das Potenzial habe, die Gesellschaft weiter zu spalten. Und der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Konstantin von Notz, fühlt sich an eine gesellschaftliche Spaltung erinnert, wie sie mit der Zeit der Flüchtlingskrise einhergegangen sei.
Ich meine, das reicht nicht aus für eine Überschrift, die pauschalisierend zuspitzt. Sie interpretiert den Bericht zu weitreichend. Das ist überflüssig. Einordnungen und Interpretationen sollten dem Leitartikel überlassen bleiben, der sich am selben Tag mit demselben Thema beschäftigt. "Gerade Journalisten müssen nun aufpassen, dass sie nicht unnötig pauschalisieren – und es den Extremen damit allzu leicht machen", wird dieser Tage in einemBeitrag des Branchendienstes Meedia gewarnt.
Die Verhältnismäßigkeit
Autor Ben Krischke schreibt bei Meedia zum journalistischen Umgang mit den "Hygiene-Demos" und "Widerstand2020". Der erinnere ihn an die Berichterstattung über die Pegida-Anfänge. Das Problem liege in der Verhältnismäßigkeit: Es gehe unter, dass sich unter die Extremisten wohl auch relative Normalos mischten. Manch einer habe demonstriert, weil für ihn die Corona-Gefahr vielleicht weniger real ist als die Gefahr, im Zuge der Maßnahmen vor die Trümmer seiner Existenz gestellt zu werden. Schlagzeilen sind nicht alles: Immerhin sagt auch der Text, dass die Unsicherheit vieler Menschen von denen gekapert werde, die grundsätzlich mit dem System fremdeln.
Kaum ein Journalist, so Krischke, habe mit den Demonstranten über ihre individuellen Beweggründe gesprochen. Deshalb sollte man sie nicht einfach über einen Kamm scheren und darüber gleich das Land spalten. Die Überschrift wird so zur unbewiesene Behauptung. Die kann als solche Angst verbreiten. Oder wie es Monitor-Chefredakteur Georg Restle formuliert hat: "Journalisten sollten es den Extremen nicht so einfach machen."
Hinzuzufügen ist, dass die Berichterstattung an den Folgetagen die Vielfalt der Protestgründe, für welche die Demonstranten auf die Straße gingen, aufzeigte.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch: www.vdmo.de