LESERANWALT
Journalismus braucht immer öfter eine Packungsbeilage
Dieses Zitat übernehme ich wörtlich aus einem Interview mit dem Züricher Journalistik-Professor Vinzenz Wyss, das kürzlich im St.Galler Tagblatt erschienen ist. Seine Aussage gilt längst in der Gegenwart und kann für die Zukunft des Journalismus stehen."Der Journalismus sollte mehr als bis anhin zu einem Bericht auch noch so etwas wie eine Packungsbeilage stellen, in der er im Sinne einer Metakommunikation erklärt, weshalb man sich entschieden hat, so und nicht anders zu berichten."
Zeiten, die vorbei sind
Wyss hat mit dem (schweizerischen) "bis anhin" wohl ein „lange zurückliegendes Bisher" gemeint. Auf das greife ich zurück. Ich erinnere an Zeiten, in denen das, was Medien berichtet, und Zeitungen schwarz auf weiß gedruckt haben, meist kommentarlos hingenommen wurde. Man hat ihnen vertraut. Redaktionen konnten – zugespitzt gesagt – fast nach dem Motto "Friss oder stirb" veröffentlichen. Das ist lange vorbei.Die Getriebenen
Dass Medienmacher nun auch Getriebene sind, bestätigt Wyss. Die sogenannten sozialen Medien im Internet sitzen ihnen im Nacken. Da wird Aktualität zuweilen über Richtigkeit oder Einordnung gestellt. Das führe unweigerlich zu dem Vorwurf, dass Medien Dinge verschweigen, weil sie ebenfalls in Jetztzeit Informationen verbreiten, die mit Verantwortungsethik besser zu validieren (überprüfen/erklären) gewesen wären. Dazu freilich, so füge ich hinzu, muss man sich Zeit nehmen.Die Unterscheidung
Der Journalismus ist nach den Worten des Professors noch eine Institution. Wenn das so bleiben solle, er sich also unterscheiden wolle von geschwätzigen Teilöffentlichkeiten im Internet, müsse er Folgen seines Handelns bedenken und sich an Verantwortungsregeln orientieren. Die müsse er kommunizieren. Es gelte zu erklären, weshalb er bestimmte Dinge tut oder unterlässt. Ich verweise an dieser Stelle auf die Leitlinien der Main-Post Redaktionen und den Kodex des Deutschen Presserates.Die Leitlinien
Um Erklärungen für einzelne Beiträge und von Leitlinien bemühe auch ich mich als Leseranwalt. Gibt es doch meist mehrere Möglichkeiten, Ereignisse oder Themen journalistisch darzustellen. Man muss Lesern und Nutzern auf der Basis dieser Leitlinien auch im einzelnen begründen können warum man sich für eine entschieden hat. Siehe auch „Metakommunikation“ oder "Packungsbeilage".Das Dilemma
Was in Paris, Orlando, Nizza und München passiert ist, hat laut Wyss das Scheitern des Jetztzeit-Journalismus vor Augen geführt. Der schüre Gerüchte, vermittle Halbwahrheiten, gar Verschwörungstheorien. Das Dilemma sei mittlerweile der Druck, auf Ereignisse mit hohem Nachrichtenwert sofort reagieren zu müssen. Hier ist können Sie meine Beurteilung anklicken, die ich nach der Berichterstattung der Main-Post zum Axt-Terroristen von Heidingsfeld geschrieben habe oder jene zum Umgang mit seinem Droh-Video.
Zum Nachdenken
Mit meiner Beschreibung eines Spannungsfeldes rege ich Journalisten und Leser zum Nachdenken an. Auch ich tue das und verabschiede mich in eine zweiwöchige Pause.Hier können Sie selbst das ganze Interview mit Professor Wyss nachlesen: Nicht Werkzeug der Täter sein. Es lohnt sich.
Anton Sahlender, Leseranwalt
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