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LESERANWALT
Bekenner-Videos können zur Gefahr werden
Attacke in Regionalzug       -  Polizei auf der Suche nach dem Attentäter, der nach seiner Bluttat aus dem Regionalzug geflüchtet war. Ich verzichte bei der Illustration dieses Beitrages bewusst auf ein Bild, das ihn verpixelt auf den Video zeigt.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa) | Polizei auf der Suche nach dem Attentäter, der nach seiner Bluttat aus dem Regionalzug geflüchtet war. Ich verzichte bei der Illustration dieses Beitrages bewusst auf ein Bild, das ihn verpixelt auf den Video zeigt.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:01 Uhr
Als Bürger will man wissen, warum ein junger Mann fünf Menschen in Würzburg niedersticht, schreibt mir Leser R.F.. Das verstehe ich. Er rückt damit aber eine Frage ins Blickfeld, die sich Redaktionen wieder vermehrt stellen: Tragen Medien mit intensiver Berichterstattung zu derartigen Taten bei?


Bekenner-Video ist weg

R.F. bezog sich nämlich auf das Bekenner-Video des Axt-Täters von Würzburg, das auf main-post.de im Internet über die Video-Plattform „YouTube“ vorübergehend abrufbar gewesen ist. Er kritisiert, dass es verschwunden ist, denn: „Unangenehme Wahrheiten müssen genannt werden, das gehört zur Pressefreiheit.“ Da hat er grundsätzlich Recht.
 

Die Abwägung

Aber zur Pressefreiheit gehört auch Verantwortung. Und im speziellen Fall galt es abzuwägen, ob die nicht schwerer wiegt. Denn das Drohvideo selbst, so meine ich, trägt nichts zur Aufklärung der Bluttat bei. Sein Inhalt ist hinreichend kommuniziert, ebenso wie alle gesicherten Hintergründe zur Tat. So muss man mit der Video-Verbreitung den Täter nicht noch posthum zu erschreckender Publicity verhelfen. Gerade die könnte Nachfolgetaten fördern. Die Möglichkeit einer solchen Darstellung kann auf psychisch instabile Menschen einen gefährlichen Reiz ausüben. Über diese Gefahren diskutieren Journalisten schon seit dem Amoklauf von Oslo. Zudem befürchtet man nun auch noch, dass in IS-Videos Botschaften stecken, die an Sympathisanten oder wartende Attentäter gerichtet sind.
 

Aufforderung des BKA

Wohl deshalb hat das Bundeskriminalamt (BKA) „YouTube“ aufgefordert, das Bekennervideo zu löschen. Es solle wegen seines strafbaren Inhalts aus dem Netz genommen werden. Ursprünglich hatte nämlich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Film verbreitet. Die Redaktion der Main-Post ist – wie wahrscheinlich die meisten Redaktionen – der Argumentation des BKA gefolgt. Sie hat das Video aus ihrem Online-Angebot entfernt.
Ich bin der Meinung, dieses Video hätte eigentlich von Medien garnicht erst weiter verbreitet werden sollen.
 

Keine Wahrheiten

Journalistische Verantwortung gebietet, keine Verschärfung einer Gefahrenlage zu riskieren. Das Video hat keine Wahrheiten vermittelt, die seine Verbreitung notwendig gemacht hätten. Das Bekenner-Video konnte durch seine Wirkung selbst zur Gefahr werden. Grundsätzlich muss aber stets an den Umständen des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden, wie weit Berichterstattung und Darstellung von Terroristen oder Amokläufern gehen kann.
 

"Le Monde" verzichtet auf Bilder von Attentätern

Die französische Zeitung „Le Monde“ will aber konsequent sein. Sie will von Attentätern zumindest keine Bilder mehr veröffentlichen, um nicht zu deren Glorifizierung beizutragen. Eine lobenswerte Entscheidung, die aber ziemlich wenig nutzt, wenn sie damit alleine bleibt.

Hier mehr zu der Diskussion, die aktuell zur Darstellung von Terroristen und Amokläufern in den Medien in Gang gekommen ist.

Und hier: "Tagesanzeiger" (Schweiz) folgt nach interner Diskussion dem Beispiel von "Le Monde".

Zu diesem Thema sagt Miriam Merkel: Zwischen Informationspflicht und Instrumentalisierung

Dr. Melanie Verhovnik erforscht an der Uni Eichstätt die Darstellung von Gewalt in den Medien und hat in ihrer Dissertation die Berichterstattung zu Amokläufen untersucht
. Hier ist ein Video dazu erreichbar ...


Der Philosoph Sloterdiyk spricht gar über eine Nachrichtensperre.

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