Kritik am Casting
Um diese journalistischen Mitarbeiter, wie man sie nur bei Lokalzeitungen kennt, geht es hier. Noch mehr darum, wie man sie gewinnen kann. Das Angebot eines "Castings", das einige Main-Post Lokalredaktionen gemacht haben, ist nämlich in die Kritik geraten. Namentlich Vertreter von Journalistenverbänden haben diesen Casting-Aufruf scharf kritisiert und daran gleich weitere Vorwürfe geknüpft. Und auch das Medienmagazin „Zapp“, des NDR, hat (etwa ab Min. 23) darüber gesendet. Letzteres könnte man auch als satirische Betrachtung einordnen, weil es wenig Informationen lieferte. Auf die Vorwürfe komme ich zurück.
Respektierte Gemeinde-Chronisten
Zunächst ist festzuhalten, dass es mittlerweile an Leuten mangelt, die sich für die Berichterstattung aus ihren Dörfern journalistisch engagieren. Wer mag, kann darin einen Bedeutungsverlust von Lokalzeitungen sehen. Waren und sind diese freien Mitarbeiter doch die personifizierte Nähe zu den Lesern.
2008 habe ich schon einmal über sie geschrieben. Mittlerweile hat sich die Interessenlage verändert. Manch einem Schriftführer reicht die Aufgabe in seinem Verein aus. Und andere Zeitgenossen verbreiten ihre Kenntnisse und Informationen lieber über das Internet. Das geschieht dann außerhalb journalistischer Regeln und ohne professionelle Betreuung.Erinnerungen
Größere Bedeutung gewannen die Freien vor etwa vierzig Jahren als die Zeitungen das Lokale so richtig als ihre Stärke entdeckten. Damals wurden die Lokalteile umfangreicher, aber auch die Schar der Freien wuchs dabei. Ich erinnere mich an Lehrer, an Poststellenleiter, an Finanzbeamte, an einen Frisör, an Schüler, Studenten und an Rentner. Sie leisteten als Ortsberichterstatter etwas für die Gemeinschaft, in der sie engagiert lebten. Das trug ihnen deren Respekt ein. Sie waren zuweilen dazu offiziell Gemeindechronisten. Und das Beste: Diese Leute mussten nicht gesucht werden. Die boten sich von selbst an. Da bedurfte es keines Castings.Einige von den Jüngeren, haben bei ihrer Mitarbeit den Journalismus kennengelernt. Sie trafen daraus eine Lebensentscheidung. Sie haben sich um ein Volontariat beworben. Nicht wenige bekamen diese Ausbildung zum Redakteur. Viele, die noch heute in der Redaktion arbeiten, sind so in den Journalismus gestartet.
Flächendeckende Präsenz
Es gibt eben kein anderes Medium, das solche Mitarbeiter braucht und sucht. Keines, dass damit den Journalismus Menschen etwas näher bringt, mehr als das Redakteure selbst leisten können. Unterfranken hat 305 politische Gemeinden, aber alles in allem 1730 Ortsteile, sprich Dörfer. Davon fallen rund 250 politische Gemeinden in das Verbreitungsgebiet der Main-Post. Nimmt man dazu die Dörfer, sind das ebenfalls mehr als 1000 Einheiten. Dafür zuständig sind 14 lokale Redaktionen mit nicht ganz 100 hauptamtlichen Redakteuren.Von der lokalen Tageszeitung wird unverändert nahezu flächendeckende Präsenz erwartet. Die Dörfer sollen und wollen sich mit ihren Ereignissen darin wiederfinden.
Dazu ein Vergleich: Rundfunksender picken sich lediglich die attraktivsten Ereignisse heraus: Welche, das erschließt sich ihnen meist über die Lokalzeitung. Die verfügt, trotz des genannten Mangels, noch immer über das dichteste Mitarbeiter-Netz in einer Region. Und dazu bedarf es einer Menge freier Mitarbeiter. Die wollen gepflegt, zuweilen auch fortgebildet sein. Und ich wiederhole: Das war schon immer so.
Fürs Leben lernen
Berichterstatter lernen Land und Leute, die Gesellschaft und die Medien kennen. Letzteres läuft über Erfahrungen und die ständige Zusammenarbeit mit professionellen Redakteuren. Die vermitteln ihnen die Grundzüge des Journalismus. Für manchen Studenten kann es zur anspruchsvollen Alternative zum Kellnern werden.Und fürs Leben haben dabei einige Mitarbeiter außerdem gelernt. So kenne ich einen amtierenden Landrat und eine ganze Reihe von amtlichen Pressesprechern, die sich zunächst ihre Sporen als lokale Berichterstatter verdient haben. Ich weiß zudem von einem, der in den Bundestag gewählt wurde und von anderen, die Abgeordnete im Landtag geworden sind.
Ortschronisten drohen auszusterben
Klassische Ortschronisten, wie sie wohl für alle Lokalzeitungen im Lande engagiert waren, drohen in den Dörfern, aber auch in Städten, auszusterben. Mit telefonischen oder digitalen Recherchen über Internetseiten von Gemeinden oder Vereinen oder durch Blogger ist mangelnde persönliche Präsenz nicht zu kompensieren. Ein Problem für Lokalredaktionen, denen landauf, landab nichts entgehen sollte. Denn Zeitungen können nicht und konnten noch nie – auch nicht in ihren goldenen Jahren – so viele professionelle Journalisten hauptamtlich beschäftigen und bezahlen. Das wäre wirtschaftlich kaum darstellbar. Momentan sind es zu wenige, die diese Aufgabe lokal übernommen haben – dann häufig für mehrere Dörfer und Gemeinden.Casting und Crashkurs
Weil es sich bei diesen Mitarbeitern um so etwas wie das "Wurzelwerk von Lokalredaktionen" handelt, kann es nicht beim Mangel bleiben. Folglich haben einige Lokalredaktionen kürzlich selbst die Initiative ergriffen. Sie haben für die freie Mitarbeit um junge Leute, etwa Schüler und Studenten für die freie Mitarbeit geworben. Sie haben versucht, sie zeitgemäß über ein „Casting“ zu gewinnen. Ein journalistischer „Crashkurs“ sollte für die positiv Gecasteten folgen. Das war erfolgreich. Es gab sechs Meldungen für zwei lokale Redaktionen (Gemünden und Lohr), darunter drei Studenten der Medienkommunikation, des Medienmanagement und des Journalismus, aber auch eine Hausfrau.Aber es gab auch die bereits genannte Nebenwirkung: Journalistische Berufsorganisationen meldeten sich kritisch zu Wort. Hier der Bayerischen Journalistenverband. Sogar das Medienmagazin ZAPP, des NDR, hat den Casting-Aufruf der Lokalredaktionen in seiner Sendung aufgegriffen. (Link zu Beginn dieses Beitrages)
Von zwanzig Bewerber/innen, die sich in einer Lokalredaktion im Spessart schon im vergangenen Jahr zum "Casting" gemeldet hatten, sind zehn zum (Crash-) Kurs erschienen. Sieben sind Berichterstatter geworden. Eine davon überlegt sich, ob sie sich um eine journalistische Ausbildung bewerben soll.
Die Vorwürfe
Die Vorwürfe an die Lokalredaktionen, die gegen das "Casting" auch in den Internet-Netzwerken zum Ausdruck gebracht wurden, waren wohl der Anlass für die überraschende Branchen-Aufmerksamkeit. Was da so alles vorgeworfen, leider auch unterstellt wird, fasse ich in fünf Punkten zusammen:- Journalismus lasse sich nicht in einem „Crashkurs“ erlernen
- Die Redaktion wolle Geld, das heißt, Honorare sparen und nicht nach gültiger Gebührenordnung bezahlen
- Durch die freien Mitarbeiter würden Redakteursstellen eingespart
- Dieses Angebot schade dem Ruf des Journalismus
- Die Main-Post ist aus dem Manteltarifvertrag ausgetreten
Klar, dass der Journalistenverband (djv), durch seine bayerische Vertretung (bjv), dazu fast routinemäßig das Wort ergriffen hat. Erstaunlich aber, dass der Verband die "Institution freie lokale Berichterstatter" nach Jahrzehnten plötzlich für sich entdeckt und beim Verkünden seiner Vorwürfe auch Facebook nicht auslässt. In schwierigen Zeiten kann man darin eine Form journalistischer Selbstzerfleischung sehen. Denn nichts spricht dafür, dass die Vorwürfe zutreffen.
Learning by Doing
O.K.. „Casting“ oder „Crashkurs“ dürfen im Kontext mit Journalismus getrost sprachlich als unseriös eingestuft werden. Das Casting ist zur Show geworden und so durch TV-Shows in Verruf gekommen. Die Mitarbeitersuche hätte auch seriöser ausfallen können. So hat sie der Mediendienst "turi2" als "krass" bezeichnet. An der Wirklichkeit verändern diese Überschriften aber nichts. Man wird keine Superstars finden, sondern sich mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern treffen und ihnen bei einer Veranstaltung genug Rüstzeug mitgeben, damit sie eine ordentliche lokale Berichterstattung leisten können. Das ist bei vielen lokalen Ereignissen, etwa bei Vereinsveranstaltungen fast immer gelungen. Und man wird die Neuen nicht zu schwierigen oder kritischen Ereignissen, solchen mit Konfliktpotential, entsenden. Wenn sich das erst danach herausstellt, übernimmt das Thema in der Regel ein verantwortlicher Redakteur. Einer von denen, die ohnehin die Beiträge der Freien vor der Veröffentlichung überprüfen und wenn notwendig, überarbeiten. Grundsätzlich gilt das bekannte „Learning by Doing“ noch mehr als das, was als „Crashkurs“ beworben wurde.Wichtig: Die Redakteure der Main-Post, die werden unabhängig davon nach wie vor über ein Volontariat grundsolide ausgebildet.
Unveränderte Redakteursstellen
Dass in der Folge wegen einiger neuer lokaler Berichterstatter Redakteursstellen eingespart würden, ist auch ein Vorwurf, den Berufsverbände wohl routinemäßig erheben müssen. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür. Die jahrzehntelange Erfahrung zeigt, dass darüber wohl nie eine Redakteursstelle verloren ging. Wenn sich an den Stellenzahlen etwas verändert hat, gab es andere Gründe. Die lokalen Berichterstatter werden im übrigen immer gebraucht, ganz unabhängig von Redakteurszahlen.Richtig ist, dass mit den lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Honorare vereinbart werden, die nicht jene Größenordnung erreichen, die nur hauptamtliche, meist professionelle Journalisten erhalten müssen. Mit Ortsberichterstattern werden individuelle Vereinbarungen getroffen. Je nach Aufwand, Schwierigkeit und Bedeutung der Arbeit fallen sie unterschiedlich aus. Das beginnt bei 15 Cent pro Zeile und geht bis 50 Cent. Es richtet sich auch danach, ob ein/e lokale/r Mitarbeiter/in seine Beiträge exklusiv abliefert oder genau damit andere Zeitungen bedient. Gelegentlich werden auch Pauschalen vereinbart.
Die Hauptamtlichen
Alle die professionellen Mitarbeiter, die der Main-Post Redaktion als hauptamtlich bekannt sind, erhalten die dafür gesetzlich festgeschriebenen Honorare. Dafür setzen die vertraglichen Vereinbarungen freilich voraus, dass die Tätigkeit hauptberuflich ausgeübt wird 2).Festzuhalten ist auch, dass sich die Main-Post an den für ihre Redaktion gültigen Tarifvertrag hält. Und der ist mit dem Bayerischen Journalistenverband geschlossen worden.
Dem Journalismus und seinem Ruf haben die freien lokalen Berichterstatter in ihrem Wirkungsbereich eher genutzt, als geschadet. Und ich bezweifle, dass sich daran wegen eines „Castings“, an dem sich Vertreter von Berufsverbänden stören, in ihrem lokalen Umfeld etwas ändert.
Eine Stimme zu den lokalen Berichterstattern hat mich noch erreicht, als dieser Beitrag fertiggestellt war. Weil er die Situation gut einfängt, hänge ich ihn als Fußnote an 3).
Erstaunlich ist lediglich, dass der Journalistenverband erst zu Beginn des Jahres 2016 etwas entdeckt hat, was seit vielen Jahrzehnten die Arbeit von Lokalredaktionen auf dem flachen Land ausmacht. Ich hoffe, dass man nun nicht versucht, den Lokalredaktionen Wurzeln auszureißen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Ich halte ausdrücklich fest, dass ich diesen Beitrag als freier Leseranwalt geschrieben habe.Hinter dem Beitrag steht meine mehr als vier Jahrzehnte währende Erfahrung mit Lokaljournalismus, kein Wunsch aus der Chefredaktion oder Geschäftsführung.
1) Beispiel Landkreis Kitzingen:
31 Gemeinden (einschl. Stadt KT)
120 Ortsteile (Dörfer)
Zuständig: 9 Redakteure, die sowohl die gedruckte Zeitung
als auch die digitalen Angebote mit Inhalten versorgen.
Drei arbeiten intern für den Bereich KT am Newsdesk.
1 freier hauptberuflicher Journalist
Knapp über 30 freie Ortsberichterstatter
Beim "Casting" dieser Redaktion sind von 30 Anmeldungen
zwei Bewerber übrig geblieben, die nun ebenfalls frei mitarbeiten.
2) Aus den gemeinsamen Vergütungsregeln.
§ 1 – Nachweis der Hauptberuflichkeit
(1) Diese Vergütungsregeln sind aufgestellt für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen. Die Hauptberuflichkeit ist auf Verlangen des Verlages darzulegen und ggf. nachzuweisen. Als Indizien fur die Hauptberuflichkeit gelten z. B. ein von BDZV, VDZ, DJV, dju, Freelens oder VDS ausgestellter Presseausweis, der Nachweis einer Versicherung nach dem KSVG und vergleichbare Bescheinigungen.
3) Freie Mitarbeiter einer kleinen Lokalredaktion aus der Sicht eines Lokalredakteurs:
Die Bandbreite unserer freien Mitarbeiter reicht vom gelegentlichen Dorfberichterstatter, der keine journalistischen Ansprüche an seine Arbeit stellt, sondern sich vor allem als Sprachrohr seiner Gemeinde, seines Vereins oder seines sozialen Umfelds nach außen sieht, bis zum Schüler/Studenten, der den Journalismus durchaus als berufliche Perspektive sieht und sich auf dem Weg der freien Mitarbeit versichern will, ob diese Entscheidung auch die richtige ist.
Als Beispiele seien genannt:
Eine Hausfrau, Anfang 70, außerdem Zeitungsausträgerin, tief mit der Main-Post und dem örtlichen Geschehen in ihrer Gemeinde verbunden. Ihr Leitmotiv ist es, den Menschen und dem Geschehen in ihrem Umfeld ein Podium zu geben.
- Ein Finanzbeamter: Das kommunalpolitische und gesellschaftliche Geschehen seines Heimatorts ist die wesentliche Triebfeder seiner Arbeit, die er einer weiteren Zeitung anbietet.
- Eine studierte Geologin und Hausfrau, Anfang 60, nimmt rege am gesellschaftlichen Leben teil. Ihre Tätigkeit als freie Mitarbeiterin der Main-Post unterstützt dieses Interesse.
- Ein Student im ersten Semester: Talentierter Einsteiger in den Journalismus, der die freie Mitarbeiter nutzt, um neben dem Studium etwas Geld zu verdienen und Erfahrungen zu sammeln, die seiner späteren Berufswahl dienlich sind. das Studium geht dabei auf jeden Fall vor, was seine Einsatzfähigkeit beschränkt.
- Ein Diakon (über 80) berichtet in seinem Umfeld sporadisch über sublokale Themen aus der Kirchengemeinde. Das sind in aller Regel Themen und Anlässe von nicht allzu großen öffentlichem Interesse. Dafür käme der Einsatz eines Redakteurs kaum infrage.
Durchweg sind unsere freien Mitarbeiter tief in ihrem sozialen Umfeld verwurzelt und interessiert am dortigen Geschehen. Die journalistische Tätigkeit unterstützt diese Interessiertheit und wird in erster Linie als Hobby empfunden, das zur persönlichen Bereicherung und zur Befriedigung des persönlichen Interesses beiträgt.
Andererseits sind die freien Mitarbeiter für die Redaktion wichtige Synapsen zu den Lesern. Insbesondere in unserem sehr ländlich strukturierten Verbreitungsgebiet mit vielen kleinsten Dörfern sind solche Kontakte für die Redaktion unverzichtbar. Sie werden auch auf Themen aufmerksam, die aufgrund ihrer begrenzten Wirkung wohl kaum überörtliche Relevanz besitzen, für die Bindung der Tageszeitung auch zu kleinen und vom demografischen Wandel bedrohten sozialen Einheiten aber unverzichtbar sind.
Mitarbeiter und Redaktion leben also gewissermaßen in Symbiose zueinander. Mit ihren Erfahrungen und Kenntnissen leisten die freien Mitarbeiter der Redaktion zweifellos wichtige Unterstützung bei der Bewertung von lokalen Sachverhalten und Themen.
Ein eigenständiges oder gar eigenverantwortliches journalistisches Handeln der freien Mitarbeiter ist dabei aber weder beabsichtigt, noch zu erwarten. Ohne die Arbeit abwerten zu wollen, bleibt festzuhalten, dass sie dafür weder qualifiziert sind, noch den ausreichend in das Gesamtgeschehen und die innere Organisation der Redaktion und den Überblick über die Themenplanung und -entwicklung eingebunden sind. Aus einer dem Leser zugewandten, lokal verwurzelten Tageszeitung sind sie trotzdem nicht wegzudenken. ENDE