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NÜRNBERG
Wenn Gut und Böse verschwimmen
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:30 Uhr

Ein makabrer Fall aus Würzburg beschäftigt seit Dienstag bis weit ins Jahr 2018 das Landgericht Nürnberg: Die Juristen sollen der Frage nachgehen, ob sich sechs Polizisten des Landeskriminalamtes (LKA) für ihren Ermittlungserfolg zu sehr in Geschäfte eines Kriminellen verwickeln ließen.

Belastet werden sie von einem menschlichen Chamäleon: Der 50-jährige Berufskriminelle Mario W. verfügt über die seltene Gabe, sich täuschend echt seinem jeweiligen Umfeld anpassen und Vertrauen erschleichen zu können. Er hat – wie er selbst zugibt – keine Skrupel, für Geld, Schutz oder andere Vorteile diejenigen zu verraten, die ihn für ihren Freund halten.

Dem Freistaat Bayern sind solche Menschen (wie anderen Ermittlungsbehörden) nützlich: W. wurde im Gefängnis vom LKA angeworben, um bei Rockern mit dem passenden Namen „Bandidos“ zu spitzeln. Doch dann machte der V-Mann (V steht für Vertrauen) mit dem Dutzend Vorstrafen wieder eigene kriminelle Geschäfte.

Keiner aus diesem Milieu wird nämlich nur deshalb anständig, weil er plötzlich für eine bayerische Behörde arbeitet und sich wie eine Art James Bond im Auftrag der Staatsregierung fühlt. Das zeigt eine Reihe von V-Mann-Einsätzen bei Geheimdiensten und im Bereich organisierter Kriminalität. Mario W. ist eher die Regel als der Einzelfall.

Spitzel-Einsätze sind schon häufig verunglückt

In seinem Fall stoppte das LKA die Zusammenarbeit. W. kam ins Gefängnis – und drehte den Spieß um. Aus Rache plauderte er nun Interna über seine „Freunde“ beim LKA aus: Für den eigenen Erfolg hätten die Ermittler bei seinen (angeblich auftragsbedingten) Straftaten beide Augen zugedrückt.

Damit hat Deutschland die vorläufig letzte von Dutzenden Affären mit verunglückten Spitzel-Einsätzen, die oft eines gemein haben: Die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit sind fließend. Geschickt verweben V-Leute Fakten und Erfindungen zu abenteuerlichen Geschichten, die nicht immer der Überprüfung standhalten.

Gelackmeiert sind jetzt sechs LKA-Ermittler, die 2012 und 2016 als Zeugen vor dem Landgericht Würzburg über den V-Mann-Einsatz nicht einmal die halbe Wahrheit sagen konnten, durften und wollten. Genutzt hat die Geheimnistuerei dem LKA nicht. Der Verdacht auf Mauschelei wurde eher genährt, der gute Ruf war dahin, die Arbeit mit V-Leuten kam völlig zum Erliegen.

Einmal mehr steht nun die Grauzone auf dem Prüfstand, in der solche Einsätze stattfinden. Natürlich versuchen Beamte, die einen Spitzel „führen“, ihm Spielregeln zu geben und ihn dazu zu zwingen, sich daran zu halten. Aber es wäre naiv zu glauben, man würde nicht hier und da ein Auge zudrücken, um den Einsatz überhaupt in Gang zu bringen – wo doch stets auch die Gefahr besteht, dass der V-Mann die Seiten wechselt, weil ihn nur eines interessiert – sein Vorteil.

Wer in diese Szene eintaucht, muss wie sein Umfeld werden

Aber ohne V-Leute hätte man noch weniger Erkenntnisse aus Bereichen wie Drogenhandel, Rockerkriminalität, Rechts- und Linksextremismus oder aus der Islamistenszene. Wer in diese Szene eintaucht, muss sich bis zu einem gewissen Grad gemeinmachen mit seinem Umfeld – wie ein Chamäleon.

Künftig soll V-Leuten und ihren Betreuern mehr erlaubt sein. Das hat das Innenministerium bereits aus dem Fall W. gelernt. Jetzt sollen V-Leute eingesetzt werden können, „auch wenn dadurch ein Straftatbestand verwirklicht wird“, heißt es. Die Staatsanwaltschaften sollen darüber hinaus eventuelle Straftaten von Ermittlern oder V-Leuten nicht unbedingt verfolgen müssen.

Künftig verschwimmen die Grenzen zwischen legal und illegal also noch mehr. Sind beim LKA noch die Guten, wenn sie einen Bösen benutzen, um andere Böse zu bekämpfen? Was macht sie besser als die Bösen, wenn sie künftig genauso handeln dürfen? Es mag naiv klingen. Aber Böses wird nicht deshalb gut, weil es einer guten Sache gilt.

 
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