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Veitshöchheim
Samstagsbrief: Sprechen Sie bei "Fastnacht in Franken" die Probleme an!
Der Kabarettist Michl Müller aus der Rhön singt über Fasching in Corona-Zeiten. "Wir lassen uns nicht unterkriegen", heißt es darin. Unser Autor glaubt nicht, dass das langt.
Der Rhöner Kabarettist Michl Müller singt mit 'Die längste Polonäse auf der Welt' die Faschingshymne der Session.
Foto: Christian Brecheis | Der Rhöner Kabarettist Michl Müller singt mit "Die längste Polonäse auf der Welt" die Faschingshymne der Session.
Corbinian Wildmeister
Corbinian Wildmeister
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:24 Uhr

Helau Herr Müller, 

pünktlich zum Faschingsbeginn haben Sie musikalisch einen Weltrekordversuch verkündet: "Das wird die längste Polonäse auf der Welt". Da läuten bei vielen gleich die Corona-Alarmglocken. Ist das gerade überhaupt erlaubt, Herr Müller? Muss man sich da nicht gegenseitig an die Schultern fassen? Doch die pragmatische Lösung trällern Sie schon in der nächsten Zeile: Indem "jeder 1,50 Meter Abstand hält". Klingt einleuchtend – und ist ein hartnäckiger Ohrwurm. Die schönste Textstelle Ihres neuen Stücks, der offiziellen Hymne des Bundes Deutscher Karneval in dieser Session, ist aber eine andere: "Wir lassen uns nicht unterkriegen."

Das ist eine hoffnungsvolle Botschaft in diesen Tagen, gerade wenn es um Kultur geht. Und dazu zählt Fastnacht genauso wie Oper oder Ballett. Nun muss ich gestehen, dass Fasching nicht so mein Ding ist. Im Februar wehre ich regelmäßig Anfragen aus meinem Freundeskreis ab, ob ich nicht doch Lust hätte, beim Gruppenkostüm mitzumachen. Verkleidet als Pantomime oder Bushaltestelle (ernsthaft?), bei Eiseskälte den Faschingszug zu beobachten, während sich neben mir ein Betrunkener zu den Klängen des Fliegerlieds erbricht, hat mich zuletzt doch selten gereizt.

Dass "Fastnacht in Franken" stattfindet, ist ein wichtiges Zeichen

Zugegeben, das ist eine unfaire Betrachtungsweise des närrischen Treibens, Herr Müller. Denn sehr viele Menschen lieben die fünfte Jahreszeit. Und das liegt mit Sicherheit auch an den zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern, die bei Prunksitzungen und in Fernsehsendungen auftreten, an den Gardetänzerinnen, den Musikern und an Kabarettisten wie Ihnen. Es ist deshalb auch ein wichtiges Zeichen, dass die Kultshow "Fastnacht in Franken" trotz Corona im kommenden Jahr stattfinden soll, wenn auch ohne Publikum und Politiker im Saal.

Anzeige für den Anbieter YouTube über den Consent-Anbieter verweigert

Denn Kultur darf nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden, wir brauchen sie dringend. Sie übt Kritik und sie berührt, sie regt zum Nachdenken an und sie unterhält. Und im Falle der Fastnacht ist ihre Mission wohl auch, um jeden Preis gute Laune zu verbreiten, selbst wenn sie den Zuschauern gelegentlich mit dem Holzhammer eingeprügelt wird. Das mag in normalen Jahren mal nerven. Doch gerade in so einer düsteren Zeit ist dieser Ansatz womöglich genau richtig. Wenn Sie in Ihrem neuen Musikvideo im Anzug mit Konfetti-Muster durch das Fränkische Fastnachtmuseum tänzeln, wirkt das im Kontext dieser bedrückenden Pandemie fast wie eine Kampfansage.

Den meisten Künstlern und Veranstaltern sind die Hände gebunden

Doch genügt der Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen? Wie geht es mit der Kulturbranche abseits von Faschingssendungen im Fernsehen weiter, Herr Müller? In sozialen Medien haben Sie unter #ohneunswirdesstill und #alarmstuferot selbst schon auf die dramatische Situation hingewiesen. Den meisten Künstlern und Veranstaltern sind seit dem November-Lockdown wieder die Hände gebunden. Dass diese sich nicht unterkriegen lassen wollen, haben sie in den vergangenen Monaten immer wieder unter Beweis gestellt. Sie haben Spielstätten umgebaut, aufwendige Hygienekonzepte erstellt oder sind vor Autos aufgetreten.

Die Ärmel hochzukrempeln, bringt derzeit aber alleine wenig. Falls der Verkauf von "Dreggsagg"-Shirts Sie noch nicht zum Multimillionär gemacht haben sollte, spüren vermutlich auch Sie die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona. Für viele in der Kulturbranche geht es gerade um die nackte Existenz. Klar, im November will der Bund finanziell aushelfen. Aber reicht das aus? Niemand weiß schließlich, wie lange diese Pandemie dauern wird – und wie viele Lockdowns Bühnen und Künstler noch überstehen. Eine langfristige Strategie der Politik fehlt offenbar.

Die Gelegenheit nutzen, für die Bedürfnisse der Kulturbranche zu werben

Für Sie als Kabarettist gehört es zum Beruf, humoristisch auf Missstände hinzuweisen. Und dass das tatsächlich Veränderungen bewirken kann, zeigte kürzlich erst Komiker Helge Schneider, als er sich mit einem offenen Brief ("Ich wollte deine Adresse nicht suchen im Telefonbuch.") an Finanzminister Olaf Scholz richtete. Schneider hatte vorgeschlagen, die Umsatzausfälle von Soloselbstständigen anders zu berechnen – und das Ministerium hat die Idee prompt aufgegriffen. So einfach kann es gehen. 

Es kann es also nicht schaden, Herr Müller, wenn Sie im Februar zusammen mit Ihren Kollegen Sebastian Reich, Volker Heißmann, Martin Rassau oder Peter Kuhn bei "Fastnacht in Franken" auftreten und dabei die Gelegenheit nutzen, um für die Bedürfnisse der Kulturbranche zu werben. Immerhin werden Ihnen viele zuhören, auch politische Entscheidungsträger. Ich schalte diesmal auf jeden Fall ein – sogar verkleidet!

Mit freundlichen Grüßen

Corbinian Wildmeister, Redakteur

Der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den "Samstagsbrief" zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.
 
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Kommentare
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  • sauer.paul.nordheim.de@web.de
    Die Deutschen Politiker sind ganz stolz, dass sie seit Monaten und bis auf Weiteres hunderte Milliarden an Euros an Corona-Hilfen an Firmen (Lufthansa, TUI, Flughäfen, usw.), Städte und Gemeinden (z.B. Erstattung für gesunkene Geberbesteuer, usw.) und Personen (z.B. Kurzarbeitergel, usw.) verteilt haben und noch verteilen werden.

    Eine Milliarde ist gleich tausend Millionen.

    Wenn ein Lottospieler eine Milliarde Euro gewinnen möchte, dann muss er mehr als 19 Jahre lang ununterbrochen jede Woche 1 Million Euro gewinnen.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese immens hohen Staatschulden jemals wieder zurückgezahlt werden.

    Meines Erachtens wird es in absehbarer Zeit eine hohe Inflation geben und anschließend eine Währungsreform. Aber damit hat Deutschland ja schon große Erfahrung.

    1. Mark (1871 bis 1923)
    2. Rentenmark (1923–1924)
    3. Reichsmark (1924–1948)
    4. Alliierte Militärmark (1944–1948)
    5. Deutsche Mark (1948–2001)
    6. Euro (seit 2002)
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  • al-holler@t-online.de
    und was hat das jetzt mit dem Thema des Briefes zu tun?
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  • engert.andreas@gmx.de
    Lieber Herr Wildmeister,
    mir geht’s genauso anders als Ihnen!
    Ich freu mich auf Fasnacht in Franken- und kann den Beteiligten nur abraten auch diese Sendung zum „anprangern“ der schlechten Situation der Kunst und Kultur zu nutzen.
    Ich wäre dann sofort weg, weil das unmöglich fände!
    Wir jammern in Deutschland- auch was die Kultur angeht- auf extrem hohen Niveau, jeder will gerade für sich eine Ausnahme die Eltern schreiben „Brandbriefe“ an die Politik und erklären, wie Schule zu funktionieren hat (bei exakter Umsetzung dieser Forderungen müssten entweder die vorhandenen Lehrer plötzlich 1,5 Stellen besetzen oder es müssten tausende Lehrer eingestellt werden- WOHER NEHMEN?!)
    Schauen wir uns doch mal in unseren Nachbarländern um - da geht NICHTS mehr, GAR NICHTS- und das zum Großteil mit deutlich geringeren staatlichen Hilfen!
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  • al-holler@t-online.de
    Oh Gott, ein Auslaufmodell und müder Abklatsch seiner früheren authentischen Auftritte als Amateur als Rettungsanker, ich glaubs ja net!.
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