
Es waren nicht viele, die vergangenes Wochenende zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor ihre Wut und ihren Hass auf die Straße getragen haben: Die 20 000 "Covidioten", wie die SPD-Chefin Saskia Esken die Corona-Gegner nannte, sind für sich genommen eine Minderheit.
Doch wir dürfen uns nichts vormachen: Diejenigen, die da Deutschland zur Corona-Diktatur erklärt haben, sind nur der harte, besonders radikale Kern der Bewegung. Es wäre kurzsichtig, den Blick allein auf die komplett Verblendeten zu richten, denn Verschwörungsmythen, wie die Erzählung vom ungefährlichen Virus, sind seit Jahrhunderten ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Wer verhindern will, dass die Bewegung der Corona-Gegner neue Anhänger findet, muss in die Auseinandersetzung gehen, auch mit denen, die wissenschaftliche Beweise ignorieren und stattdessen Demagogen und Hetzern hinterherlaufen.
- Dies ist der "Pro"-Artikel zur Frage "Muss man mit Leuten reden, die Fakten leugnen?". Hier finden Sie den zugehörigen "Contra"-Beitrag.
Erst diese Woche warnte der bayerische Verfassungsschutz, dass Extremisten den Protest instrumentalisierten und die Verschwörungen geeignet seien, "größere Bevölkerungskreise zu infizieren". Darin liegt die eigentliche Gefahr.
Viele kleine Nadelstiche
Wenn Mitbürger anfangen, Fakten zu leugnen und ein tödliches Virus zu relativieren, dürfen wir uns nicht abwenden und damit den Glauben an die Kraft des Arguments aufgeben. Es braucht die Gegenrede, den Widerspruch im Diskurs, um solche Weltbilder immer wieder zu irritieren – mit ganz vielen kleinen Nadelstichen.
Wer glaubt, durch Gesprächsverweigerung die Bewegung bekämpfen zu können, hat das Problem nicht verstanden. Es gilt zunächst zuhören, um die Zweifler und Mitläufer, die sich haben blenden lassen, überhaupt zu erkennen. Auf diese Gruppe müssen wir zugehen, nicht auf den radikal-extremistischen Kern der Bewegung.
Es geht darum, einerseits in die individuelle Auseinandersetzung zu gehen und sich gleichzeitig öffentlich abzugrenzen. Denn wer die Demokratie verteidigen will, muss sich von den irren Positionen distanzieren – nicht von den Menschen.
Halten wir es lieber mit Michelle Obama
Ja, das ist mühselig – und innerlich, das verspreche ich, wird man in den Gesprächen immer wieder mit den Augen rollen. Doch wir erinnern uns: Bei Pegida war einer der großen Fehler, von Beginn an ein Label auf eine Bewegung zu kleben, die wir eigentlich noch gar nicht richtig verstanden hatten. Das hat die Wut letztlich immer weiter befeuert.
Wer das Gespräch mit Corona-Gegnern pauschal verweigert oder gar Demo-Verbote fordert, tappt erneut in die Falle der Ideologen und bedient deren Narrativ der Meinungsdiktatur. Begriffe wie "Covidiot" offenbaren eigentlich nur die eigene Hilflosigkeit. Lasst es uns doch lieber mit Michelle Obama halten: "When they go low, we go high".
Die Maßnahmen, wie anstrengend und nervig sie auch sein mögen, sind sehr wahrscheinlich alternativlos und selbst wenn nicht, eine Maske tragen und sich in einigen Bereichen einzuschränken, kosten definitiv weniger, als ein Menschenleben oder ein erneuter Lockdown.
Die Diskussion wird anstrengend, aber da müssen wir durch. Es geht um viele Existenzen, sie sind es wert.
Vorort war jedoch eine eher heterogene Menge an Menschen. Und ebenso heterogen waren die Meinungen in meinen der Leute in meinen Gesprächen .
Was diese Leute eint ist eine kritische Haltung zu den aktuellen Hygienemaßnahmen. Auch die einseitige und oft haarsträubend schlecht recherchierte Berichterstattung in den „qualitätsmedien“ wird bemängelt. Nicht zuletzt auch die pauschale Zuordnung der Kritiker zu Alu Hüten oder gar zur rechten Szene. Gerade diese unreflektierte und einseitige Berichterstattung lässt die Vermutung zu dass die Medien nichtmehr neutral berichten sondern Teil einer Propagandakampagne geworden sein könnten. Es braucht nicht viel um zum Kritiker zu werden. Es reicht schon wenn Sie offizielle Beiträge aufmerksamer verfolgen und hin und wieder hinterfragen.
Es ist eine ganz andere Sache, die zum Schutze aller - und insbesondere auch der Risikogruppen - angeordneten Hygienemaßnahmen pauschal abzulehnen, dagegen öffentlich zu protestieren und auf Kosten der Corona-Opfer mit realitätsferner Scheuklappenrhetorik politische Interessen durchsetzen zu wollen.
Das eine ist absolut legitim – und dringend erforderlich.
Das andere ist einfach nur zynisch, kurzsichtig, dumm - und verachtenswert!
Auch ich bin übrigens nicht der Meinung, dass unsere Regierung zu Corona alles richtig gemacht hat.
Aber jetzt so zu tun, als gäbe es in Deutschland keinen Grund für irgendwelche Hygienemaßnahmen zur Eindämmung, als wären wir geradezu immun gegen eine exponentielle Ausbreitung – während andere Länder immer noch eindrucksvoll zeigen, wohin Ignoranz und/oder Hilflosigkeit und/oder Untätigkeit führen – das kann der Weg sicher auch nicht sein.
in der Theorie haben Sie selbstverständlich recht.
In der Praxis ist aber mit vielen der „Corona-Leugnern“ weder eine sachliche, noch eine auf Logik aufbauende, noch eine faktenbasierte Diskussion möglich.
Schon ganz grundlegende empirische Erkenntnisse werden nicht anerkannt. Ein sehr geschätzter Kollege hat das vor einiger Zeit mal so zusammengefasst: „Gegen Unsinn kann man nicht sinnvoll argumentieren.“
Sehen Sie sich doch das Plakat auf dem Foto zu Ihrem Kommentar an. Hier wird deutlich, worum es den Demonstranten wirklich geht: um Kritik an der Regierung um jeden Preis. Um die Ablehnung jeglicher Art von Vorschriften, die den persönlichen Bereich betreffen. Corona ist hier nicht die Ursache, es ist lediglich ein willkommener Anlass.
Man verwechselt Meinung mit Fakten und Wille mit Freiheit.
Sie sind Journalist. Sie erreichen viele Menschen mit Ihren Argumenten. Bei wie vielen „Corona-Leugnern“ glauben Sie, mit Ihren Argumenten etwas bewirkt zu haben?