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Würzburg
Verschwörungstheorien: Würzburger Forscher rät, nett zu bleiben
Mythen rund um das Coronavirus verbreiten sich im Internet rasend. Ein Experte erklärt, warum das so ist und was das mit Antisemitismus zu tun hat – und er gibt praktische Tipps.
'Masken machen krank', heißt es bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Würzburg. Es ist eine von vielen unbelegten Behauptungen im Zusammenhang mit der Pandemie.
Foto: Silvia Gralla | "Masken machen krank", heißt es bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Würzburg. Es ist eine von vielen unbelegten Behauptungen im Zusammenhang mit der Pandemie.
Corbinian Wildmeister
Corbinian Wildmeister
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:59 Uhr

Zwangsimpfungen, Mikrochips und düstere Mächte: In der Corona-Pandemie kursieren zahlreiche krude Verschwörungstheorien. Professor Markus Appel ist Experte für dieses Thema. Der 47-Jährige leitet den Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Uni Würzburg und ist Herausgeber des Buches "Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News, Lügenpresse, Clickbait & Co." Im Interview erklärt er, warum sich Verschwörungstheorien momentan so schnell verbreiten und wie man mit Personen im Bekanntenkreis umgehen kann, die einen mit solchen Thesen konfrontieren.   

Markus Appel, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Uni Würzburg
Foto: Balsereit | Markus Appel, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Uni Würzburg
Frage: Herr Appel, "Verschwörungstheorien" sind gerade omnipräsent. Der Begriff klingt fast schon wissenschaftlich. Ist das nicht irreführend?

Markus Appel: Anders als bei Gerüchten bestehen Verschwörungstheorien nicht nur aus einer Aussage, sondern aus einem Geflecht aus Annahmen. Sie sollen etwas erklären. Und sie zeichnen sich dadurch aus, dass immer eine dunkle Macht im Hintergrund steht. Es ist nicht einfach nur die Behauptung, dass Corona in Wahrheit doch harmlos sei. Verschwörungstheoretiker wollen auch erklären, warum Medien und Politiker erzählen, dass das Virus gefährlich ist. Deswegen ist der Begriff gar nicht so fehlleitend – eine Theorie kann schließlich auch falsch sein. Andererseits kann man kritisieren, dass diese Bezeichnung den Inhalt solcher Behauptungen zu sehr adelt. Man würde denken, dass etwas mit Substanz dahinter steckt. Das ist aber oft nicht der Fall. Deswegen wird als Synonym auch von Verschwörungsmythen gesprochen. 

Wenn von "dunkeln Mächten" die Rede ist, die im Hintergrund agieren, sind dann implizit nicht oft "die Juden" gemeint?

Appel: Genau so würde ich das sehen. Es gibt auch einzelne Spielarten von Verschwörungstheorien, die nicht im Antisemitismus enden – aber oft ist das der Fall. Ob Brunnenvergiftung und Dolchstoßlegende: Letztlich war die vermeintliche Erklärung, dass die Juden schuld waren. Das fing mit den Pogromen im Mittelalter an und endete im Holocaust. Solche Theorien tragen immer zu antisemitischer Stimmung bei. Und dass einige Verschwörungstheoretiker nicht noch expliziter sind, hängt nur mit der deutschen Geschichte zusammen. Das wissen Rechtsradikale und benutzen Codes. Gut verschleiert ist ihre Judenfeindlichkeit aber nicht. 

Warum verbreiten sich Verschwörungstheorien gerade so rasant?

Appel: Wir leben in einer Zeit, in der große Unsicherheit vorherrscht – auch bei Wissenschaftlern. Die Leute fragen sich, woher dieser Virus kommt und wie lange diese Situation noch dauern soll. Sie fürchten sich aber auch vor persönlichen Konsequenzen, zum Beispiel davor, dass sie ihren Job verlieren. Diese komplexe und unangenehme Gemengelage lässt sich einfach klären, wenn man an Verschwörungstheorien glaubt. Diese bieten auch schnelle Lösungen an, wie beispielsweise eine Inhaftierung von Bill Gates. Damit lässt sich die eigene Ohnmacht vermeintlich beseitigen. Und das motiviert wiederum, etablierte Medien deutlich kritischer zu sehen und über Unstimmigkeiten in der eigenen Weltsicht hinwegzusehen. 

"Solche Theorien tragen immer zu antisemitischer Stimmung bei."
Markus Appel, Kommunikationpsychologe
Unterscheidet sich die Pandemie in Bezug auf Verschwörungstheorien von anderen Krisen?

Appel: Es ist eine massive Ausnahmesituation. Denken wir an die Anschläge vom 11. September. Das hat unsere westliche Gesellschaft stark durchgerüttelt. Und heute noch fragen Verschwörungstheoretiker: "Wer hat das wirklich orchestriert?" Aber wenn das ein Durchrütteln war, stellt die Corona-Zeit uns völlig auf den Kopf. Das übertrifft jede Krise, die viele jemals erlebt haben. Niemand hätte vor einem halben Jahr damit gerechnet, dass wir einen Mundschutz brauchen würden, um in den Supermarkt zu gehen. Das Ausmaß an Verschwörungstheorien nimmt zu, je stärker die Umwälzung ist. 

Wie sieht ein sinnvoller Umgang mit Menschen aus, die Verschwörungstheorien verbreiten?

Appel: Es kommt darauf an, wie stark das Gegenüber an so eine Theorie glaubt. Wenn Ihnen jemand ein Video oder einen Artikel weiterleitet, kann das unterschiedliche Gründe haben. Es gibt die Verunsicherten, die nur wissen wollen, was ihre Freunde und Familien dazu meinen. Und dann gibt es andere, die schon sehr festgefahren sind. In jedem Fall würde ich einen respektvollen Ton wählen. Wenn man jemanden anfeindet, führt das nur dazu, dass er nicht zuhört und sich vielleicht lieber in Kreisen aufhält, in denen man für solche Postings Schulterklopfen erhält. Ignorieren sollte man das aber auch nicht. Denn das kann als implizite Zustimmung der schweigenden Mehrheit verstanden werden –  selbst wenn es in Wirklichkeit heißt: "Lass mich in Ruhe mit diesem Quatsch." Gerade wenn solche Theorien in einer Whats-App-Gruppe geteilt werden, ist es sinnvoll auf seriöse Informationen und Faktenchecks zu verweisen. Denn es lesen ja mehrere Personen mit, die sich vielleicht für die Hintergründe interessieren. 

Rechte, Linke, Esoteriker und katholische Geistliche: Offenbar finden solchen Mythen in vielen Lagern Anklang. Gibt es da einen gemeinsamen Nenner?

Appel: Verschwörungstheoretiker sind sicher eine heterogene Gruppe, und einzelne kommen auch aus dem linken Spektrum. Aber aus wissenschaftlicher Perspektive ist der überwiegende Teil tatsächlich im rechtsvölkischen Lager zu verorten. Viele Studien zeigen, dass es eher Personen sind, die politisch rechts stehen, die Fake-News in sozialen Medien teilen. Dahinter steckt eine große Skepsis gegenüber der Wissenschaft und Medien. Und damit geht auch eine kritische Haltung gegenüber der Coronapolitik einher. Sie verstehen sich als Gegenöffentlichkeit. Es gibt in der Psychologie ein schon älteres Konzept namens Ambiguitätstoleranz. Menschen unterscheiden sich darin, wie sehr sie in der Lage sind, unklare Situationen und Komplexität auszuhalten. Wer für solche Mehrdeutigkeiten eine niedrige Toleranzschwelle hat, der oder die sucht einfache Lösungen. Das ist möglicherweise ein verbindendes Element von Rechtsradikalen und Impfgegnern. 

 
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    Warum sollte ich zu Spinnern die Unsinn verbreiten nett bleiben?
    Dadurch würden die sich doch nur in ihrem Gedankenschlecht bestätigt fühlen.
    Nein, denen sage ich knallhart meine Meinung und ich grenze sie aus.
    Die wollen nicht zu unserer Gesellschaft gehören, dann sollen sie halt draussen bleiben. Konsequente Ausgrenzung wäre angesagt. Z.B. Kein Wasser, Strom usw. für Reichsbürger.
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