Um eines vorab zu klären: Niemand, und sei er noch so schwer krank, hat einen Anspruch oder ein Recht auf die Organe eines anderen - auch nicht eines Verstorbenen. Und niemand hat die Pflicht, weder moralisch noch juristisch, im Todesfall Organe zu spenden. Nicht umsonst schützt das Grundgesetz in Artikel 2 die Freiheit der Person und sichert das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Die Bereitschaft zur Organspende kann nur eine freiwillige, bewusste Entscheidung des oder der Einzelnen sein. Die Frage ist: Warum finden laut aktueller Studie 84 Prozent der Deutschen die Organspende gut, aber nur 36 Prozent haben einen Spenderausweis? Heißt übersetzt: Jeder Zweite ist zu bequem, einen Ausweis auszufüllen, während fast 10 000 todkranke Menschen auf ein Organ warten. Das ist, mit Verlaub, ein Skandal.
Der eigene Tod wird gerne verdrängt
Wenn es um den eigenen Tod geht, sind wir Meister im Verdrängen. Er soll zu Lebzeiten kein Thema sein. Wir mühen uns zu Patientenverfügungen, und noch nachrangiger folgt die Organspende. Wobei viele nicht nur bequem, sondern einfach schlecht informiert sind. Der heutige Tag der Organspende versucht aufzuklären - seit 1983, immer am ersten Juni-Samstag. Er will mit Vorurteilen aufräumen und Menschen ermutigen, eine Entscheidung zu treffen.
Das will auch die Politik - und ist dabei, Gesetze zu ändern. Bei allem Aktionismus, den man Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) attestieren mag: Es ist sein Verdienst, dass in diesen Wochen und Monaten wieder intensiv über die Organspende diskutiert wird. Zusammen mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen hat Spahn eine sogenannte doppelte Widerspruchslösung ausgearbeitet, wonach jeder zum potenziellen Organspender wird, wenn er oder sie nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Auch hier zählt der selbstbestimmte Wille des Einzelnen, nur die Vorzeichen werden umgekehrt.
Gesetzesänderung 2012 blieb ohne positive Wirkung
Noch vor sieben Jahren gehörte Spahn zu den Initiatoren einer Entscheidungslösung, wie sie der Bundestag dann auch beschloss. Seitdem müssen Krankenkassen und Versicherungen ihren Mitgliedern Organspendeausweise und Informationen zuschicken. Auch die Passämter der Kommunen sollen Aufklärungsunterlagen ausgeben. Das ist heute schon Gesetz. Und die Zahl der Organspender? Ist bis 2017 auf einen Tiefststand gesunken.
Deshalb kann man sich nur wundern über den Entwurf einer Entscheidungslösung, der nun ebenfalls fraktionsübergreifend von mehreren Abgeordneten (unter anderem Grünen-Chefin Annalena Baerbock) vorgelegt wurde. Er ist vor allem eines: ein Kontra zur Widerspruchslösung, sie soll verhindert werden. Eine substanzielle Verbesserung zur bestehenden Regelung ist nicht zu erkennen.
Neue Entscheidungslösung: Auch eine Nicht-Entscheidung bleibt möglich
Das wäre anders, wenn sich der Bürger im Rathaus - beim Abholen von Personalausweis oder Reisepass - tatsächlich für oder gegen eine Organspende entscheiden müsste. Doch das muss er laut Entwurf auch künftig nicht. Der Bürger kann sich - das ist neu - noch vor Ort in ein Online-Register eintragen. Tut er es nicht - auch gut. Besser gesagt: schlecht. Es wird weiter verdrängt, dem Gesetzentwurf fehlt es an Verbindlichkeit. Dass durch ihn deutlich mehr Organe gespendet und Menschenleben gerettet werden, ist unwahrscheinlich.
Auch deshalb hat sich die Bundesärztekammer hinter die Widerspruchslösung gestellt, wie sie mittlerweile 20 von 28 EU-Ländern haben. Ende Juni berät der Bundestag über beide Gesetzesentwürfe, ein Beschluss ist für den Herbst zu erwarten. Vorausgehen dürfte eine intensive, emotionale Auseinandersetzung. Hoffentlich macht sie eines klar: Niemand hat die Pflicht, im Todesfall seine Organe zu spenden. Aber jede und jeder hat die Pflicht, sich mit der Frage zu beschäftigen und zu Lebzeiten eine - stets korrigierbare - Entscheidung zu treffen.