Lieber Marco, wir kennen uns schon länger, deshalb das vertraute Du. In Deinen Jugendjahren hast Du einige Zeit für unsere Redaktion berichtet, ehe es Dich zum Radio und schließlich vor 15 Jahren als Tourismus-Chef nach Volkach zog. Dort hast Du nächtig Alarm gemacht. Hast neue Saiten aufgezogen. Das eher leicht Barocke, verkörpert von Deinem Vorgänger in der Symbolfigur eines Ratsherren, hast Du vorsichtig aber bestimmt weggewischt.
Unter Deiner Leitung wurde der Tourismus an der Mainschleife, diesem göttlichen Stück Erde, erwachsen. Und ungemein erfolgreich. Vom Geheimtipp zum Hotspot. Das "Ausgebucht"-Schild hat längst kräftige Gebrauchsspuren. Volkach samt der Mainschleife sind eine Touristen-Hochburg.
Bohrende Fragen der Anwohner
Aber: Vom eigenen Erfolg überrannt zu werden - so etwas kann für einen Tourismus-Chef auch schnell zum Problem werden. Weil es da dummerweise diese Schattenseiten gibt. Wann wird's zu viel? An welchem Punkt kippt die Stimmung? Immer mehr - das kann auf Dauer nicht klappen. Das größte Weinfest in Franken - sowas lässt sich nicht steigern. Veranstaltung folgt auf Veranstaltung. Kein Durchschnaufen. Seit einiger Zeit kommt sogar noch eine Anlegestelle für Flusskreuzfahrt-Schiffe dazu. Irgendwann lässt das die Fragen der Anwohner bohrender werden: Und wir? Wo bleiben wir? Und: Wollen wir das?
Von der Corona-Zeit sagt man, dass sie sich über einige Dinge wie ein Brennglas legt. Dass verstärkt Mängel zum Vorschein kommen, über die sich vorher noch galant hinwegsehen ließ. An der Mainschleife ist das gerade genau so: Zu den glänzenden Gästezahlen im Fremdenverkehr gesellt sich unerwartet der "Urlaub daheim". Und das bedeutet: Alles ist noch überlaufener. Alles dicht an dicht an dicht. So sind gerade die Wochenenden am Altmain das Aufreger-Thema schlechthin: Naherholungssuchende aus der Umgebung toben sich am und im Nebenarm des Mains aus.
Ungezogen und haltlos
Das mit dem Toben ist wörtlich zu nehmen. Es ist von allem zu viel: Zu viele Menschen. Zu viel Lärm. Zu viel Gedränge. Und am Ende: Zu viel Unmut. Zumal sich Spaß-Gesellschaft und Benehmen scheinbar immer öfter ausschließen. Weil, um ein altes Wort zu bedienen, die Ungezogenheit zunimmt. Diese haltlose Hoppla-jetzt-komme-ich-Mentalität. Ein Besucherschlag, der sich nichts sagen lässt. Kommen, im Halteverbot parken und ausrasten, wenn man darauf angesprochen wird - das ist, was die Anwohner oft erleben. Das ist, lieber Marco, was Dir gerade um die Ohren fliegt.
Auch wenn im Moment mit etwas Verzweiflung im Blick von der Politik nachgebessert und versucht wird, einige der Auswüchse wieder einzufangen, läuft das Fass trotzdem unaufhaltsam über. Die Corona-Zeit lässt hier etwas kippen, das Gleichgewicht ist weg. Der Mainschleife droht ihre Schönheit zum Verhängnis zu werden. Zu viele Besucher schaden Mensch und Natur, neudeutsch würde man Overtourism dazu sagen.
Klare Regeln, klare Strafen
Die nahe liegende Vogelsburg ist so ein Beispiel dafür. Um den Andrang an den Wochenenden irgendwie in den Griff zu bekommen und zu kanalisieren, wird der Parkplatz davor bei Bedarf gebührenpflichtig. Um ähnliche Maßnahmen werden auch die Orte an der Mainschleife nicht herum kommen: Ohne Sperrungen, ohne Durchfahrverbote und ohne klare Regeln und umgehende Strafen bei Verstößen scheint es nicht mehr zu gehen.
Fremdenverkehr und Tagesausflüge stärken und gleichzeitig eindämmen - das ist nicht nur für den Tourismus in Volkach eine Herausforderung. Es passiert gerade etwas. Die Zeiten des Hinnehmens und Wird-schon-vorbeigehen sind vorbei, das hat das Brennglas Corona deutlich gezeigt.
Demo gegen die Hilflosigkeit
Was sich da verändert, wird man jetzt am Sonntag sehen: In Astheim, einem der betroffenen Orte am Altmain mit 800 Einwohnern, ist eine Demonstration angekündigt. Der Protest richtet sich gegen die Flut an Besuchern. Gegen das Überranntwerden. Das Ausgeliefertsein. Die Hilflosigkeit. Gut möglich, dass die Demo der Auftakt ist für eine Bewegung an der gesamten Mainschleife. Weil man nicht die fränkische Ausgabe von Mallorca sein will. Das gilt es zu verhindern. Oder einfacher gesagt: Am Altmain darf's nicht weiter ausufern.
Vielleicht wird man ja später sagen: Das war der Weckruf! Dir, Marco, traue ich zu, dass Du nicht der Gegenpol zu dieser Bewegung wirst, sondern ein Teil von ihr. Dass Du die Gefahren des Overtourism erkannt hast und Dich für das einsetzt, was man sanften Tourismus nennt - um dieses göttliche Stück Erde an der Mainschleife zu erhalten. Viel Erfolg dabei!
Mit freundlichen Grüßen,
Frank Weichhan, Redakteur