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Würzburg
Samstagsbrief: Herr Sturn, feiern wir die deutsche Sprache!
Pardauz, es ist Tag der deutschen Sprache! Was für herrliche Begriffe bietet unser Wortschatz nicht. Aber muss man oberlehrerhaft Anglizismen und Gender-Sternchen verteufeln?
Dr. Bernhard Sturn, Arzt aus Kitzingen, leitet die Regionalgruppe 97 im Verein Deutsche Sprache
Foto: Tui | Dr. Bernhard Sturn, Arzt aus Kitzingen, leitet die Regionalgruppe 97 im Verein Deutsche Sprache
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:50 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Sturn,

welch wunderbare Wörter hält die deutsche Sprache nicht bereit, es kann einem ganz blümerant werden! Und steckt nicht auch in diesem Satz schon etwas wunderbar Wundersames? Dass dieses Verneinungswörtchen „nicht“ zur Bekräftigung dient und Zustimmung heischt. Das Adjektiv, Verzeihung: das Beiwort „blümerant“ ist vor ein paar Jahren von einer Jury mal zum zweitschönsten vergessenen Wort gekürt worden, gleich hinter dem „Kleinod“. Dass das hübsche Eigenschaftswort vom französischen „bleumourant“ kommt und wörtlich „sterbendes Blau“ bedeutet? Sei's drum.

Ein Glück, dass jene Zeiten vorbei sind, in denen honette Damen in Ohnmacht fielen, weil sie es in ihren eng geschnürten Korsetten nicht kommod hatten und sehr gepiesackt wurden durch die Fesseln um die Brust. Aber das „blümerant“, dieses sprachliche Kleinod, hat es schon verdient, aus unserem Wortschatz noch nicht ganz zu verschwinden, auch wenn es so altbacken klingt wie der Büstenhalter steif ist.

Aber Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Sturn, wird man das nicht erzählen müssen. Sie werden solche Gedanken nicht für Mumpitz halten, nicht für hanebüchenen Unsinn. Und dieses Schreiben hoffentlich nicht für Firlefanz und Kokolores. So eine Aneinanderreihung bedrohter Wörter – Wählscheibe! Gabelfrühstück! Schlüpfer! – mag eine Petitesse sein und kein veritabler Anlass für einen Brief. Wobei es schon herrlich ist, solch verdrängte Wörter einfach mal geballt hinzutexten: sodann, derweil, fürderhin, hernach. Doch nein, der Grund ist ein terminlicher.

An diesem Sonnabend, wie stets am zweiten Samstag im September, ist Tag der deutschen Sprache. Da ruft der Verein Deutsche Sprache (VDS) auf zur sprachlichen (Selbst)Besinnung und will die Ausdruckskraft der deutschen Sprache – Pardauz! – in all ihrem Reichtum in Erinnerung rufen. Will werben für den Gebrauch von gutem und verständlichem Deutsch. Der Tag soll zeigen, dass Sprache viel mehr ist als nur ein Mittel zur Kommunikation. Dass sie nämlich Heimat sein kann, Aura hat, womöglich gar Geborgenheit bietet. Als Vorsitzender der Regionalgruppe 97 des Vereins Deutsche Sprache tun Sie das Ihre, diesen Tag zu würdigen. So verleihen Sie mit Ihrer Gruppe „Sprachkultur Mainfranken“ an diesem Sonntag wieder feierlich den Sprachbewahrerpreis.

Vor 14 Jahren haben Sie diese Auszeichnung zum ersten Mal vergeben, an Michael Glos, damals gerade Bundeswirtschaftsminister geworden. Es sollten die Leiterin der Würzburger Stadtbücherei, Hannelore Vogt, Schauspieldirektor Bernhard Stengele, der Redakteur Herbert Scheuring – es lebe die Glosse! –, Opernsouffleuse Cornelia Böse und einige andere folgen. Heuer nun würdigen Sie die Sprachverdienste von Thorsten Drechsler. Der Würzburger Spielwarenladenbesitzer schreibt als Kolumnist im Familienmagazin „Mamamia“ Lustiges und Philosophisches über Gott und die Welt. Und dass er das auch verständlich tut und in gutem Ton, ist Ihnen nun die Feier wert. Wie sagen Sie selbst? Zu loben sei allemal besser als zu tadeln und zu wehklagen.

Wohlformuliert. Und apropos Wehklage. Kommt es von ungefähr, dass man den Verein Deutsche Sprache eher als Griesgram und Miesepeter in Erinnerung hat? Als Gruppe, die alleweil etwas betulich, ein wenig oberlehrerhaft, durchaus trutzig (um ein positiv belegtes Wort zu wählen) wider den „Sprachverfall“ kämpft. Die den unkritischen Gebrauch von Fremdwörtern eindämmen will, Anglizismen anprangert und die deutsche Sprache durch starke Kräfte in der Businesswelt – Pardon: in der weltweiten Konzernwirtschaft bedroht und dem Bedeutungsschwund, Ansehensverlust, Verfall preisgegeben sieht.

Dass man als deutscher Verbraucher im Supermarkt heute ohne Wörterbuch nicht mehr zurechtkomme, sei der i-Tupfen auf dem Sprachskandal, heißt es vom Deutsche-Sprache-Verein. Ach, Deutsch soll deshalb sogar ins Grundgesetz. Und gegen den „Genderunfug“ und „zerstörerische Eingriffe in die deutsche Sprache“ in Form von Sternchen in allgeschlechtsumfassenden Wörtern hat der VDS jüngst erzürnt, erbost einen Aufruf gestartet.

Werter Herr Dr. Sturn, um hier kein bodenloses Fass aufzumachen: Ja, pseudoenglische Ausdrücke und überkorrekter Gender-Neusprech müssen nicht sein, viele neudeutsche Vokabeln sind schlichtweg entbehrlich, weil durch herrliche, klare, kräftige Begriffe längst vorhanden. Aber dass Sprache lebendig ist, einem ständigem Wandel unterliegt, durch fremde Kulturen und gesellschaftliche Entwicklungen inspiriert wird und auch dazugewinnen kann, werden Sie kaum bestreiten.

Also, nehmen wir heute, morgen, künftig Sprache nicht diktatorisch. Sondern spielerisch, wie Ihr neuer Preisträger.

Es grüßt Sie herzlich,

Alice Natter, Redakteurin

 
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