Sehr geehrter Herr Dusolt,
es ist kein Spaß mit so einer Nachricht ins neue Jahr zu starten, oder? In der vergangenen Woche durften Sie sich als Rektor vermutlich einiges Murren anhören im Veitshöchheimer Lehrerzimmer. Frust, Ärger und ein wenig Ratlosigkeit: So stelle ich mir die Reaktionen aus dem Kollegium der Eichendorffschule auf die angekündigten Maßnahmen des Kultusministeriums vor. Das ist übrigens meine alte Grundschule, in der ich vor 19 Jahren das ABC lernte und beim Völkerball versagte. Und wenn ich mich so zurückerinnere, hatten Ihre Kollegen schon damals keinen leichten Job, Herr Dusolt.
Vergessene Turnbeutel und geklaute Buntstifte, Prügeleien auf dem Schulhof und Heimweh im Schullandheim: Das alles waren damals Gründe für Tränen und Streit bei uns Schülern. Geduldig haben (die meisten) unserer Lehrerinnen uns damals getröstet und geschlichtet. Das allein war sicherlich schon anstrengend genug. Und dann mussten sie uns ja auch noch schriftliches Multiplizieren und Schreibschrift – zugegeben, beides habe ich heute verlernt – beibringen, also den eigentlichen Unterrichtsstoff.
Spöttische Kommentare: Eine Stunde mehr macht doch keinen Unterschied
Dass viele Lehrer nun sauer sind, kann ich gut verstehen, Herr Dusolt. Ich wäre es auch. Wer erfährt schon gerne, dass er in Zukunft bei gleichem Gehalt mehr arbeiten soll? Die Lehrer müssen ausbaden, was die bayerische Staatsregierung anders offenbar nicht gelöst bekommt: den Personalmangel an Grundschulen, Mittelschulen und Förderschulen.
Um die unbesetzten Stellen zu kompensieren, hat sich Kultusminister Michael Piazolo überlegt, dass Lehrer einfach eine Unterrichtsstunde mehr in der Woche halten sollen, an der Grundschule in Zukunft also 29 Stunden. "Das ist doch gar nicht so viel! Typisch Beamte, die sollen sich nicht so anstellen. Die haben doch Ferien ohne Ende." Über spöttische Kommentare in diesem Stil müssen Sie und ihre Kollegen derzeit vermutlich ausgiebig den Kopf schütteln, Herr Dusolt. Dass Lehrer diesen zusätzlichen Unterricht auch mühsam vor- und nachbereiten müssen, vergessen viele.
- Lesen Sie auch: Eine Unterrichtsstunde mehr ist den Lehrern viel zuviel
Aber wie Sie wissen, Herr Dusolt, will es der Kultusminister auch nicht bei einer Erhöhung der Wochenstunden belassen. Ihre Kollegen sollen später in Rente gehen, dürfen kein "Sabbatjahr" mehr einlegen und die Pflichtstunden für Teilzeitlehrer hat das Ministerium ordentlich aufgestockt. Ich bin mir zwar sicher, dass Sie und Ihre Kollegen, das alles mit Zähneknirschen bewältigen können. Doch ich bin auch der Meinung, dass eine Wertschätzung Ihrer Arbeit anders aussieht.
Ein Zeichen der Wertschätzung sieht anders aus
Herr Dusolt, ich kann nicht glauben, dass dieses Maßnahmenpaket die Lehrer an der Grundschule Veitshöchheim und anderswo motiviert, sich im Schulalltag reinzuhängen und mit Elan zu unterrichten. Mit welcher Energie auch? Die Anforderungen an Lehrer nehmen doch ohnehin ständig zu. Zu meiner Zeit an der Eichendorffschule stand ein alter Computer mit Windows 98 in unserem Klassenzimmer. Immerhin war darauf ein halbwegs lustiges Spiel installiert, doch im Unterricht kam das Gerät nie zum Einsatz.
Damals war das Internet noch nicht allgegenwärtig. Doch mittlerweile haben viele Kinder schon in der dritten Klasse ein Smartphone im Schulranzen. Spätestens jetzt müssen Lehrer auf den technischen Fortschritt pädagogisch reagieren. Verständlicherweise dürfte das gerade einige Ihrer älteren Kollegen überfordern – ich weiß das, ich habe auch ältere Kollegen.
Dazu kommt, dass Eltern zunehmend Druck auf Lehrer ausüben, wenn es um den Übertritt auf eine weiterführende Schule geht. "Dass mein Sohn nur jedes zweite Wort im Diktat mitgeschrieben und es der Anna dann in Form eines Papierfliegers gegen den Kopf geworfen hat, liegt nur daran, dass er hochbegabt ist! Und Sie fördern ihn nicht richtig!" Kommen Ihnen solche Anschuldigungen bekannt vor, Herr Dusolt?
Wie soll man so Nachwuchs an den Grundschulen gewinnen?
Es ist schon ironisch. Der Freistaat braucht dringend Nachwuchs an seinen Grundschulen, senkt gleichzeitig aber die Attraktivität des Berufs. Die Lehrer sollen mehr arbeiten, bekommen aber weniger Gelegenheit, sich zu erholen. Der Staat verlangt Solidarität von Ihnen, zeigt sich selbst aber unsolidarisch. Und noch immer kriegen Grundschullehrer weniger Gehalt als Gymnasiallehrer – bei mehr Unterrichtsstunden. Fair ist das alles nicht.
Herr Dusolt, ich hoffe, dass Ihnen und Ihren Kollegen nicht gänzlich der Spaß an Ihrer Arbeit vergeht – auch wenn es schwer fällt. Aber Sie wissen auch: Wer sich wie ein Rüpel verhält, kriegt auch mal einen Verweis vom Lehrer. Sollte das nicht auch für das Kultusministerium gelten?
Mit freundlichen Grüßen,
Corbinian Wildmeister, Redaktionsvolontär
Der Seitenhieb des jungen Volontärs in Richtung älterer Kollegen ist überflüssig. Die Generation Y hat bis jetzt noch nichts Nennenswertes erfunden. Da haben Philipp Reis, Konrad Zuse, Bill Gates, Steve Jobs und Timothy John Berners-Lee in jungen Jahren ganz anders "Gas gegeben".
Was da aus dem Kultusministerium – und damit auch gesteuert aus der Politik – kommt, ist ja nur schwer zu ertragen. G9, G8, G9 – alleine für diesen Unfug gehört jemand mit Schimpf und Schande aus dem Land gejagt.
Die Anlautmethode wird erst eingeführt – dann aber relativ schnell wieder ersetzt. Die Lehrpläne sind in den letzten 30 Jahren keinen Deut besser geworden, die Methodiken nur teilweise.
Jahrgangsgemischte Klassen nach Zahlenvorgabe aus dem Ministerium. Heute so, morgen so.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Lehrer viel stärker und viel früher versucht hätten, Einfluss auf so einiges zu nehmen. Dass sie ihren Beruf und ihre Verantwortung ganzheitlich verstehen und nicht nur auf die Rolle beschränken, die sie in den 45 Minuten einer Unterrichtsstunde im Klassenzimmer einnehmen.
Ich finde es wirklich schade, dass ich so etwas wie kollektives Engagement der Lehrer erst jetzt und nur zu diesem Thema wahrnehmen kann …
Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert seit 1970, seit 50 Jahren also, rechtzeitig mehr Lehrkräfte einzustellen:
https://www.gew-bayern.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=50495&token=bc4bfe95d0e2beedc59b3acf14e2fa7b3913e844&sdownload=&n=GT_17_16_Gegen_den_Lehrkraeftemangel.pdf
Beste Grüße
Jörg Nellen
GEW-Geschäftsführer Unterfranken
Es geht mir darum, die vielfältigen Probleme des deutschen Schul- und Bildungssystems eben NICHT(!) nur reflexartig auf die Forderung nach mehr Manpower zu reduzieren!
-and good night -
Diese grüne Motivation zeigt sich heute übrigens auch in m.E. unangebrachter Lobhudelei im Kommentar auf Seite 2 und auf Seite 6 in eindeutiger Weise; so viel Ehre wäre ja in früheren Zeiten nicht einmal der SPD "angetan" worden. Dass diese offensichtliche Ausrichtung m. W. in keinster Weise die der Leserschaft widerspiegelt ist sei hier nur und wieder einmal am Rande erwähnt.
Mein Tipp: einen Tag Grundschule: 6 Std. Unterricht, Inhalte und Erziehungs-aufgaben in Einklang bringen, Vorbereitung, Nachbereitung, Korrekturen, Berichte schreiben, Gespräche mit Eltern, Kolleg*innen, Schüler*innen und Vorgesetzten führen, ein bisschen Fortbildung und Sie wünschen sich einen acht-Stunden-Tag. Auch in den Ferien.
Jörg Nellen
GEW-Unterfranken
"Zwangsmehrarbeit für Lehrer
Bildungsforscher haben den Kurs von
Kultusminister Piazolo/FW unterstützt,
dem Lehrermangel mit Zwangsmehrarbeit
für die Pädagogen entgegenzuwirken.
Die Politik habe den Bedarf nicht "ver-
schlafen", betonten der Essener Wissen-
schaftler Klemm und sein Gütersloher
Kollege Zorn.Der Geburtenanstieg sei so
nicht vorherzusehen gewesen, um recht-
zeitig mehr Lehrer auszubilden. Aber
Bayern mache es "exemplarisch gut".
Um die Lehrer nicht zu verärgern, solle
jedoch stärker auf freiwillige Aufsto-
cker an den Grund-, Mittel- und Förder-
schulen gesetzt werden. "