zurück
Gemünden/Würzburg
Samstagsbrief: Halten Sie den Betriebsräten die Stange, Herr Rützel
Der Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel aus Gemünden hat einen Stammtisch für Betriebsräte. Unser Autor schreibt dem SPD-Mann, warum das Thema gerade jetzt Potenzial hat.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel will die Rolle der Betriebsräte stärken, damit sie mit den coronabedingten Veränderungen der Arbeitswelt besser klarkommen.
Foto: Fabian Gebert | Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel will die Rolle der Betriebsräte stärken, damit sie mit den coronabedingten Veränderungen der Arbeitswelt besser klarkommen.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 19:50 Uhr

Sehr geehrter Bernd Rützel,

das habe ich vor wenigen Tagen gerne gelesen: Sie haben einen monatlichen Stammtisch für Betriebsräte. Was nach gemütlicher Männerrunde bei Schoppen und Hefeweizen klingt, hat aus meiner Sicht einen topaktuellen Ansatz.

Ich muss vorwegschicken, dass ich zwar aus einer klassischen Arbeiterfamilie stamme, aber nie so richtig die Begeisterung fürs Proletariat im Stile wehender roter Fahnen oder hochgereckter Fäuste entwickelt habe. Auch war ich nie Betriebsrat oder ähnliches.

Dennoch hat Ihr Stammtisch für mich Charme. Und Potenzial. Gerade in einer Zeit, in der vieles so schwierig geworden ist und die so vieles in unserem Arbeitsalltag verändert. Insofern bereits an dieser Stelle mein Appell an Sie, Herr Rützel: Machen Sie sich weiterhin stark für die Betriebsräte im Land!

Das rufe ich Ihnen schon deshalb zu, weil es allein in Mainfranken Bedarf dafür gibt. Sie werden bestimmt wissen, dass in der Region einige zum Teil namhafte Unternehmen zuhause sind, die einen Betriebsrat scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Bekommen diese Unternehmen Sand ins Getriebe, dann fehlt der Belegschaft mitunter eine wirksame Lanze im Kampf gegen die Chefetage mit deren Streben etwa nach Stellenabbau.

Der Modekonzern s.Oliver in Rottendorf mag als Beispiel dafür dienen. Der Abbau von 370 Arbeitsplätzen hat im vergangenen Jahr mächtig für Wirbel gesorgt. In diesem Zuge kamen Stimmen auf, die sagten: Hätte s.Oliver einen Betriebsrat, wäre Einiges im Sinne des Personals besser gelaufen. Immerhin scheint sich ja jetzt in Rottendorf etwas zu bewegen, wie an diesem Freitag zu hören war.

Genau da setzt Ihr Stammtisch offenbar an, Herr Rützel. Sie haben sich nach eigener Aussage beim vergangenen Treffen mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Gründung von Betriebsräten grundsätzlich erleichtert werden kann. Prima.

Das werden die großen Schwestern der Betriebsräte, die Gewerkschaften, gerne hören. Auch und gerade in Mainfranken, wo die Tarifbindung der Betriebe im Vergleich zum Rest von Bayern mickrig ist. Zum Leidwesen eben der Gewerkschaften.

Ich unterstelle Ihnen, Herr Rützel, dass Ihnen die Belange des arbeitenden Volkes ins Blut übergegangen sind. Schließlich lernten Sie in den 1980er Jahren den Beruf des Maschinenschlossers. Sie gingen schließlich in die Politik. Behalten Sie dennoch den Stallgeruch des klassischen Arbeiters  - und bleiben Sie an aktuellen Themen der Arbeitswelt und damit der Betriebsräte dran.

Dazu zähle ich das mobile Arbeiten, gerne Homeoffice genannt. Oder die rasante Digitalisierung in den Unternehmen. Oder die im Zuge von Corona massiv ums sich greifende Kurzarbeit. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass all das wichtige und vor allem neue Fragen für Betriebsräte aufwirft. Etwa die, wie mit Homeoffice langfristig umzugehen ist.

Wie ich Ihrer Mitteilung vom Anfang der Woche entnehme, haben Sie sich beim vergangenen Betriebsräte-Stammtisch mit solchen Aspekten befasst. Gut so. Aber tun Sie mir einen Gefallen, Herr Rützel: Belassen Sie es nicht bei schönen Worten und verpuffenden Diskussionen an Ihrem Tisch. Zeigen Sie vielmehr, dass Sie es wirklich ernst meinen, und beharren Sie gegenüber der Bundesregierung darauf, dass die Rolle der Betriebsräte auch wirklich gestärkt wird.

Sie werden mir in der Manier eines routinierten Politikers bestimmt antworten: Ja, das tue ich auf jeden Fall. Nun, ich werde es beobachten. Schließlich steht heuer die Bundestagswahl an.

Mein Tipp: Nutzen Sie den Wahlkampf für den Grundgedanken Ihres Betriebsräte-Stammtisches. Dürfte ja nicht allzu schwer sein, schließlich haben Sie in Person des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil einen Parteikollegen. Zudem hat Heil in den vergangenen Wochen Bereitschaft gezeigt, sich für die Betriebsräte einzusetzen, indem er per Gesetz die Gründung dieser Gremien vereinfachen und ihnen mehr Mitbestimmung bei aktuellen Themen einräumen will.

Für mich ist klar: Die Arbeitswelt von heute braucht gute Betriebsräte. Solche, die hartnäckig sind - und gleichermaßen sensibel für die besonderen Belange der Unternehmer in diesen herausfordernden Zeiten. Und die Arbeitswelt braucht Betriebsräte, die sattelfest sind beim Ritt in die Zukunft der Arbeitswelt. Dafür braucht es nicht einmal Künstliche Intelligenz. Auch keine roten Fahnen im Wind.

Herr Rützel, Sie waren lange bei der Deutschen Bahn beschäftigt. Also werden Sie wissen, wohin die Reise nun geht.

Mit aufmerksamen Grüßen,
Jürgen Haug-Peichl, Redakteur

Umfrage
Ted wird geladen, bitte warten...

Einer bekommt Post: der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.
Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück.
Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den "Samstagsbrief" zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.
MP
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Gemünden
Jürgen Haug-Peichl
Arbeitsplätze
Bernd Rützel
Betriebsräte
Bundesminister für Arbeit und Soziales
Bundestagsabgeordnete
Deutsche Bahn AG
Firmenmitarbeiter
Gewerkschaften
Hubertus Heil
Mitarbeiter und Personal
Mitbestimmung
Personalabbau
S.Oliver
Samstagsbrief
Unternehmen
Wahlen zum Deutschen Bundestag
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • steffen.cyran@freenet.de
    Hat die SPD oder Herr Rützel dem Autor diesen Bericht diktiert?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • FischersFritz
    Mir scheint, die Möglichkeiten der Betriebsräte werden stark überschätzt.

    Das Betriebsverfassungsrecht ist an sich erst mal eine gute Idee – aber die Inhalte sind hoffnungslos veraltet und auf viele gerade internationale Konzernstrukturen nicht mehr sinnvoll anwenderbar. „Betriebe“ im eigentlichen Sinne des Gesetzes sucht man heute häufig vergeblich – und wie man das Mitbestimmungsrecht auf eine multinational aufgestellte Matrixorganisation anwenden soll, das muss mühsam und langwierig vom BAG in vielen Einzelentscheidungen geklärt werden.

    Ich erwarte von der Politik tatsächlich mehr als einen „Stammtisch“. Die Legislative müsste hier endlich mal aus dem Quark und mit einer Novellierung des BetrVG um die Ecke kommen, um den Betriebsräten ein zeitgemäßes Werkzeug an die Hand zu geben.

    Aber es gibt auch viele, die es unserer Regierung einfach nicht zutrauen, die Rechte der Arbeitnehmer in einem neuen Gesetz angemessen festzuschreiben … und so passiert einfach – wie so oft - gar nix.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • robert.erhard@gmx.de
    Wenn Betriebsräte und oder Gewerkschaften die Aufgaben im Sinne des Ursprungsgedankens erfüllen würden könnte man darüber trefflich diskutieren!
    Aber die Methoden wie Tarifverhandlungen geführt werden ist in der Sprache schon widersprüchlich!
    Arbeitskampf! Klingt nach einer andern Zeit!
    Warum Kampf? Warum nicht mal an Entwicklungen denken, Investitionen, Standort Deutschland denken, an Betriebe heim holen denken?
    Genau das Gegenteil ist der Fall! Betriebe schließen, wandern ab! Warum?
    Warum wohl?
    Bringen Sie als Zuwanderer bitte nicht Tesla! Der Industriebetrieb ist faktisch schon immer pleite! Nur durch Emissionshandel kommt Geld rein! Das ist ein Skandal! Nicht Amazon, der auch wenigstens unterqualifizierten Arbeit gibt oder SOliver, der vielleicht den Betrieb retten will!
    Ein Unternehmen gibt den Rahmen vor!
    Jeder kann doch selbst entscheiden ob er dafür dort arbeiten möchte!

    Diese Art der Beeinflussung und der Wahlkampfhilfe ist der eigentliche Skandal!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • robert.erhard@gmx.de
    Vorweg: ich komme aus einer Arbeiterfamilie der schweinfurter Großindustrie!
    Dennoch sei die Frage erlaubt, warum es die Mainpost nötig hat, Wahlkampfhilfe zu betreiben!
    Das ist skandalös!
    Zum Thema!
    Die Betriebsräte + Gewerkschaften waren früher mal wichtig -können heute jedoch bedenkenlos abgeschafft werden. in grösseren Konzernen braucht man sie vielleicht noch; irgend jemand muss sich ja über Posten und Pöstchen die Taschen füllen, denn nur mit Mitgliedern verdienen die Bosse die horrenden Gehälter und die Betriebsräte Arbeitnehmer sind unkündbar! Jeder der freigestellt ist dafür muss auch mit bezahlt werden! Ihr Beispiel SOliver hinkt weil es zig Beispiele gibt die gegenteilig beweisen dass durch die Eingriffe Betriebe bis zu Schließung ruiniert wurden! Es werden immer die Unternehmer als Gierig und Raffzähne hingestellt! Aber wer trägt das Risiko, wer gibt die Arbeit, wer investiert?
    Nicht die Gewerkschaften! Sie fordern kreativ immer mehr und sind maßlos!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • FischersFritz
    Gewagte Thesen.

    Erstens hat ein Betriebsrat per se grad mal gar nix mit einer Gewerkschaft zu tun.

    Zweitens haben die Gewerkschaften in der Vergangenheit viel für die Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland getan – und sie tun es noch.

    Drittens ist es eine freie Entscheidung(!) der Unternehmer, ob sie in Form einer tarifbindenden Mitgliedschaft in einen Arbeitgeberverband eintreten oder nicht. Gerade unter diesem Aspekt ist Ihr Gewerkschaftsbashing für mich überhaupt nicht nachvollziehbar … !?

    Und das Risiko für unternehmerische Fehlentscheidungen trägt die Belegschaft in erheblichem Maße mit – immer!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • robert.erhard@gmx.de
    Danke für die konstruktive Antwort, die ich aber ergänzen möchte!
    Bei jetzt red i im November 2018 wurde der sehr enge bis identische Zusammenhang deutlich! Die Gewerkschaften installieren schon ihre Betriebsräte!
    Und ja! Sie haben recht! In der Vergangenheit als Tarifautonomie eine Errungenschaft war und die Arbeitsbedingungen schlechter waren, haben die einen wertvollen Beitrag geleistet!
    Was ist heute? Das Gegenteil! Schlecht da stehenden Unternehmern wird immer mehr abverlangt, Streiks sind Erpressungen, der Unternehmer soll zur Marionette werden!
    Zu ihrem dritten Punkt kann man neigen zuzustimmen! Aber Siege SOliver: hier wird der Betrieb systematisch von außen von Verdi und ihrem Herrn König unterwandert und ausgehöhlt! Das ist nicht der erste Fall!
    Aber zuletzt das Risiko: das Risiko für unternehmerische Fehlentscheidungen trägt immer zuerst der Unternehmer und Eigentümer! die Belegschaft natürlich auch, aber wer hat das Risiko? Nicht die Gewerkschaft!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • FischersFritz
    Ein „Jetzt red I“ sollte jetzt aber auch nicht verallgemeinert werden.

    Fakt ist, dass sich in Deutschland nur noch ein Viertel der Unternehmen an einen Tarif gebunden fühlt.

    Bei den kleinen Betrieben mit bis zu neun Mitarbeitern sind es sogar noch deutlich weniger: 13% im Osten und 22% im Westen (Stand 2017).

    Der Einfluss der Gewerkschaften variiert von Unternehmen zu Unternehmen … insgesamt betrachtet aber ist er begrenzt … und in der Tendenz weiter fallend …
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • robert.erhard@gmx.de
    Ihre Aussagen sind völlig korrekt!
    Dennoch ist es befremdlich, mit welchen Mitteln gearbeitet wird bzw. wie sich die MP zu einer derartigen Wahlkampfhilfe hinreißen lässt!

    Das ist einer regionalen Zeitung bzw Medienhaus nicht zuträglich!
    Die wollen alle Bürger erreichen und alle Unternehmen vertreten bzw. auch gerne mit deren Geldern Werbemaßnahmen schalten!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten