Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
ich weiß, offene Briefe sind nicht so Ihr Ding. Jedenfalls habe ich Sie so verstanden, als Sie in Ihrer Regierungserklärung am Mittwoch auf ein entsprechendes Schreiben des Bayerischen Lehrerverbands zu sprechen kamen. Aber nach dieser Corona-Chaos-Woche drängen Sie, gewissermaßen die politische Speerspitze des Corona-Kampfs, sich als Adressat für unseren Samstagsbrief auf. Wenngleich ich jetzt einen ganz anderen Brief schreibe, als ich es noch im Laufe der Woche geplant hatte.
Denn als am Mittwochmorgen die erst in der Nacht auf Dienstag beschlossenen Quasi-Feiertage an Gründonnerstag und Karsamstag wieder zurückgenommen wurden und die Kanzlerin sich geradezu heldenhaft vor die Ministerpräsidenten warf, hatte ich Wut im Bauch. Wie kann es sein, wollte ich Ihnen schreiben, dass eine so hochkarätig aufgestellte und – Zitat Söder – "breit angelegte" Runde so gnadenlos daneben liegt? Und schlimmer noch: Wie oft hat die Ministerpräsidentenkonferenz vielleicht in der Vergangenheit nach ihren nächtlichen Debatten unter Ausschluss der Öffentlichkeit schon falsch gelegen? Sie selbst jubelten noch am sehr frühen Dienstagmorgen nach einer "schweren Geburt in 15 Stunden" um Punkt 3.26 Uhr auf Facebook: "Klare Linie, klarer Kurs: Das Team Vorsicht hat sich durchgesetzt."
Rund 30 Stunden später rollte die große Entschuldigungswelle durchs Land. Wobei Ihnen, Herr Söder, eine Entschuldigung nur sehr zaghaft über die Lippen kam: "Mir tut es leid, dass diese Verunsicherung entstanden ist", sagten Sie und sprachen davon, dass man "anscheinend einen Fehler begangen" habe. "Es tut uns leid für dieses Hin und Her." Das klang bei der Kanzlerin deutlicher.
Aber sei's drum. Denn worüber reden wir eigentlich? Über kurzzeitige Verwirrung, ausgelöst durch einen Beschluss, dessen Sinnhaftigkeit von Beginn an zweifelhaft war. Und der letztendlich auch nicht umsetzbar gewesen wäre. Ein Fehler, kaum größer als das Virus selbst.
Daher schreibe ich Ihnen nicht wegen dieser falschen Entscheidung an sich, sondern weil sie zeigt, wie falsch in unserem Land mit Fehlern umgegangen wird. Hier wurde – gemessen an verzögert ausgezahlten Hilfsgeldern, kollabierenden Lernplattformen, der ineffektiven Corona-Warn-App, dem Chaos bei der Impfregistrierung oder der noch immer fehlenden Testinfrastruktur – aus einer Mücke ein Elefant gemacht, während an anderen Stellen seit Monaten weitergewurstelt wird. Anstatt wie im aktuellen Fall die Notbremse zu ziehen, gibt es anderswo nur Rechtfertigungen oder neue Ankündigungen. Drücken Sie öfter auf die "Stopp"-Taste – und korrigieren Sie!
Verstehen Sie mich richtig: Es braucht keine weiteren Entschuldigungen, auch keine rollenden Ministerköpfe. Es braucht endlich echte "Perspektiven" und "Vertrauen" – beides Begrifflichkeiten aus früheren Regierungserklärungen von Ihnen, Herr Söder. Doch genau dies liefert die Politik nicht. Es fehlt an einem klugen, nachvollziehbaren Fahrplan aus der Krise. Und an Klarheit.
Ein Beispiel. Als der Plan über die "Osterruhe" durchsickerte, geschah das, was wir in der Redaktion aus dem zurückliegenden Corona-Jahr gut kennen: Sobald die Politik etwas verkündet, laufen bei uns die Drähte heiß, weil Leser Antworten auf all die offenen Detailfragen wollen. Diesmal: Stimmt es, dass Lebensmittelläden am Karsamstag nur Lebensmittel verkaufen dürfen? Gehören Bäckereien zum "Lebensmitteleinzelhandel im engeren Sinne"? Dürfen wir die Oma zum Oster-Kaffee einladen?
Wir tun hier das Bestmögliche, stoßen aber ständig an Grenzen – genauso wie die zuständigen Behörden, die uns mit Informationen und Antworten versorgen müssten. Noch größer als gewohnt waren die Fragezeichen, als Anfang März die sogenannte Bayern-Matrix bekannt wurde, also die aktuellen Regelungen mit regelmäßigen Änderungen je nach Sieben-Tages-Inzidenz der zurückliegenden drei Tage. Ein kompliziertes System, das einen Regel-Flickenteppich geradezu provoziert und keine Planungssicherheit bietet.
Und dann ist da die Widersprüchlichkeit auch in Ihren Aussagen, Herr Ministerpräsident. Da erklären Sie nun, Sie wollen die Testkapazitäten vor allem "im Schulbereich" einsetzen, obwohl doch klar scheint, dass die Inzidenz nach den Osterferien in weiten Teilen Bayerns über 100 liegen dürfte. Dies würde – laut Bayern-Matrix – für die meisten Schüler Distanzunterricht bedeuten. Da warnen Sie einerseits leidenschaftlich und zurecht vor der britischen Virusmutation, winken aber andererseits mit möglichen Öffnungen nach Ostern. Wie geht das zusammen?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat in der Frühphase der Pandemie gesagt, am Ende werde man einander vieles verzeihen müssen. Einverstanden, Gründe dafür wird es genug geben. Was aber unverzeihlich wäre: Wenn man aus den entscheidenden Fehlern nicht lernt.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Stahl, Redakteur
diesmal fällt die Zustimmung der foristen a weng arg arg kläglich und kümmerlich aus - zumindest bis jetzt - 16:47!
P.S.: der MP wirds aushalten und hoffentlich! nicht ernst nehmen oder gar antworten......
der Samstagsbrief versteht sich als Einladung zur Debatte. Wenn es da andere Meinungen gibt, ist das ok. Diesmal war das Feedback allerdings überwiegend zustimmend.
Viele Grüße,
Benjamin Stahl
A weng weng, mein i
Und zum Fehler zugeben und sich entschuldigen: Schon Elton John wusste: "Sorry seems to be the hardest word... "
Leider kann man das von Herrn Stahl aufgezeigte Problem nicht nur im Corona-Umfeld beobachten...
Wer würde hie leichtfertig die Verantwortung für Eibe Überlastung übernehmen? Wer würde sagen, ich nehme einen einzigen Toten Menschen auf meine Kappe?
Von daher ist der Beitrag nicht zum aushalten!
Ebenso der richtig schlechte Versuch den Kommentar schön zu reden!
Sorry, ich achte Herrn Stahl sehr, aber Qualität geht anders und der Versuch, sich mit Rundumschlägen zu profilieren klappt nicht. Es zeigt die Haltung der Presse, nicht mehr kritisch zu sein, sondern es wird immer mehr auch reißerisch, polemisch und beeinflussender! Die Presse drückt die Gesellschaft in eine Richtung! In ihre Richtung!
So geht das nicht!