Sehr geehrter Herr Dr. Löw,
Sie haben uns lange warten lassen. Viel zu lange. Erst am Donnerstagnachmittag hatten Sie als Leiter des Gesundheitsamts Würzburg Zeit für ein Gespräch mit Vertretern unserer Redaktion. Da war das Schlimmste der jüngsten Corona-Ansteckungswelle in Würzburg schon vorüber. Gut zehn Tage lag der sogenannte Inzidenzwert, der die Zahl der Ansteckungen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen angibt, deutlich über der kritischen 50er Marke. Am vergangenen Sonntag betrug er gar 79,9. Die Stadt Würzburg war tagelang der Corona-Hotspot in Deutschland.
Verständlicherweise hat die Entwicklung zu einiger Aufregung in der Bevölkerung geführt – und zu Irritationen. Nicht zuletzt, weil die Erklärungen für den Anstieg der Zahlen, die aus ihrem Hause kamen, eher dürftig waren. Reiserückkehrer hätten das Virus aus dem Ausland mitgebracht, hieß es zunächst pauschal. Aber die gab es in anderen Orten mit niedrigeren Werten auch. Schnell machten Gerüchte die Runde. Die Rede war von Superspreader-Events – mal hieß es in einer Kneipe, mal in einer Disco, mal in einer Bar.
Schon klar: Für Sie und Ihre Mitarbeiter ist es alles andere als einfach, die Infektionsketten zu erforschen. Und herauszufinden, von welchen Patienten die Infektionen ausgehen und wie sie sich dann über Familienangehörige, Freunde, Kollegen oder auf Partys im öffentlichen Raum weiterzuverbreiten drohen. Mehrere hundert Kontaktpersonen galt es zu ermitteln. Fleißarbeit war gefragt, noch dazu unter erheblichem Zeitdruck. Da können Anfragen von Journalisten schon nerven.
Journalisten stellen die Fragen der Bürger
Aber sie können auch helfen. Unsere Aufgabe ist es nämlich, die Verantwortlichen in den Kommunen und Behörden mit genau den Fragen zu konfrontieren, die sich viele Bürger stellen. Und da blieben im Gesundheitsamt Würzburg einfach zu viele unbeantwortet.
Es wäre allein schon hilfreich gewesen, frühzeitig zu erfahren, welche Lokalitäten es waren, von denen viele Infektionen ausgingen. Gäste, die im fraglichen Zeitraum dort gewesen waren, hätten sich von sich aus testen lassen und freiwillig in Quarantäne gehen können. Und andere wiederum wüssten, dass sie sich aktuell keine Sorgen machen müssen – weil sie nie in der betroffenen Bar oder Kneipe waren. Auch für die vielen nicht betroffenen Wirte wäre so eine Namensnennung entlastend.
Hilfreich für viele Eltern wäre auch eine Übersicht der Schulen und Kindertageseinrichtungen, die aktuell komplett oder klassenweise wegen Corona geschlossen sind – so wie sie andere Gesundheitsämter veröffentlichen. Allein darauf zu setzen, dass die Schulleitungen die Eltern informieren, ist zu wenig. Eine Mutter meldete sich irritiert in der Redaktion, ob es gewollt sei, dass ausgerechnet die geschlossene Klasse ihres Kindes in der Presse nicht erwähnt werde. Schon machten unter den Eltern Verschwörungstheorien die Runde. Dabei war die Antwort ganz einfach: Wir waren über den betreffenden Corona-Fall nicht informiert, konnten also auch nicht gezielt nachfragen.
Medizinische Expertise hat Gewicht
Dass Sie beim Röntgen-Gymnasium, das eine Woche lang komplett dicht war, wegen einer unübersichtlichen Lage und fehlender Informationen über potentielle Ansteckungswege eine andere Teststrategie gefahren sind als bei anderen Schulen, um auf Nummer sicher zu gehen – ja, das habe ich nun verstanden. Aber auch hier gilt: Etwas mehr Erklärung hilft oft weiter, man verbreitet damit noch lange keine Panik.
Für die erlassenen Beschränkungen wie der Sperrstunden-Verkürzung und das Alkoholverbot rund um den Main ist die Stadt zuständig. Aber Ihre Expertise als Mediziner hat schon Gewicht, immerhin haben Sie mittlerweile eindrucksvolle Zahlen vorgelegt, die die Notwendigkeit der Maßnahmen unterstreichen: Gut drei Viertel der 380 im September in Stadt und Landkreis Würzburg registrierten Corona-Infizierten sind unter 35 Jahre alt. Sie gehören also genau zu der Altersgruppe, die am Main und in den Gassen der Innenstadt feiert. Aber sagen Sie das doch einfach: laut und öffentlich.
Sehr geehrter Herr Dr. Löw, gut möglich, dass die Arbeit der Gesundheitsämter in der Vergangenheit oft nicht die Wertschätzung erfahren hat, die sie verdient hätte. Auch nicht von uns Journalisten. Umso größer ist die Chance, jetzt während der Pandemie, die Aufmerksamkeit zu nutzen. Seien Sie mutig, erläutern Sie ihr Tun, wo immer es geht. Die Bevölkerung wird es Ihnen danken.
Mit besten Empfehlungen,
Michael Czygan, Redakteur