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Würzburg
Samstagsbrief: Die Kritik an Ihrer Impf-Skepis ist weit überzogen, Herr Kimmich
Der Fußball-Nationalspieler entfachte mit seiner Impf-Ablehnung eine hitzige Debatte. Ihm stehen alle Freiheiten zu, sagt unser Autor. Und lässt die moralische Keule stecken.
Blick zurück auf eine turbulente Woche: Joshua Kimmich entfachte mit seiner Haltung zum Impfen eine  hitzige Debatte - und verlor Tage später ein Pokalspiel mit dem FC Bayern 0:5.
Foto: Tim Groothuis, Witters | Blick zurück auf eine turbulente Woche: Joshua Kimmich entfachte mit seiner Haltung zum Impfen eine  hitzige Debatte - und verlor Tage später ein Pokalspiel mit dem FC Bayern 0:5.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:56 Uhr

Lieber Herr Kimmich, Sie haben in den vergangenen Tagen eine kleine Staatskrise ausgelöst. Der geborene Sieger FC Bayern hat ein Pokalspiel in Mönchengladbach 0:5 verloren – was einem Beben gleichkam. Und als wäre das nicht Verheerung genug, hatten Sie da schon eine weitere Katastrophe losgetreten, die das Naturgesetz, wonach Fußballspieler wie Sie immer auch aufrechte Vorbilder für diese Gesellschaft zu sein haben, auf den Kopf stellt. Von einem "Tsunami" sprach Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß mit Blick auf das gewaltige Medienecho. Was war da los? Eben noch waren Sie der nette Junge von nebenan, aber jetzt, Herr Kimmich, hat man das Gefühl, Sie seien ein Komplize des Teufels.

Sie mussten dieser Tage nicht nur Bälle und Gegner auf dem Platz abräumen, sondern auch Angriffe und Anwürfe aus der Mitte der Gesellschaft. Aber der Selbstverteidigungsmodus liegt Ihnen nicht. In die Hauptnachrichten der Tagesschau haben Sie es geschafft, und dies nicht wegen Ihrer sportlichen Leistung. Sogar der Regierungssprecher schaltete sich in die Debatte ein.

Es fehlt nicht viel, dann wird man Sie dafür verantwortlich machen, wenn die Impf-Kampagne in diesem Land jetzt wieder stockt: weil Sie doch Vorbild seien und als solches zu bedingungsloser Solidarität gehalten. Sie hätten sich längst gegen Corona impfen lassen müssen, hätten mit gutem Beispiel vorangehen und allgemeine Interessen über Ihre persönlichen stellen sollen. Hätten, hätten, hätten . . .

Der Chor der Empörten ist schon groß genug

Es wäre einfach, jetzt in den Chor der Erregten und Empörten einzustimmen, es wäre ein Leichtes, Sie in den Strafraum der Gesellschaft zu stellen. Aber das ist nicht mein Ansinnen, lieber Herr Kimmich. Ich möchte und werde den moralischen Zeigefinger stecken lassen, nicht weil ich ein glühender Fan des FC Bayern wäre, nicht weil ich Sie so sehr verehrte, sondern weil ich finde, dass sich keiner anmaßen sollte, Sie in dieser Situation zu verurteilen. Auch ich habe lange mit mir gerungen, bis ich mich impfen ließ.

Au backe! Auch als Nationalspieler ist Joshua Kimmich unter Druck geraten – wegen seiner ihm auferlegten Vorbildfunktion.
Foto: Federico Gambarini, dpa | Au backe! Auch als Nationalspieler ist Joshua Kimmich unter Druck geraten – wegen seiner ihm auferlegten Vorbildfunktion.

Eine Sache wie die eigene Gesundheit kann man nicht mit Maßstäben allgemeiner Moral und gesellschaftlicher Konventionen bemessen. Wenn es um etwas Sensibles wie den eigenen Körper geht, darf auch in Zeiten wie diesen nicht von anderen bestimmt werden, was man zu tun oder zu lassen hat, zumal – und das ist der Punkt und der Unterschied etwa zur Masern-Impfung – mittlerweile selbst Experten bezweifeln, dass eine Herdenimmunität gegen das Coronavirus je zu erreichen sein wird. Vor diesem Hintergrund sollte sich keiner dazu erheben, die Impfung jetzt zum kategorischen Imperativ auszurufen.

Beim Impfen geht es erst in zweiter Linie um den Schutz der anderen

Sie, Herr Kimmich, bewegen sich im Rahmen des Gesetzes. Wer Sie kritisiert, meint eigentlich den Staat. Auch als sogenanntes Vorbild der Gesellschaft müssen Sie nicht gegen Ihre Überzeugung handeln. Die Frage, wie die Freiheit des einzelnen in Solidarität mit anderen zu betrachten ist, erleben wir gerade auch beim Klimaschutz. Es ist die gleiche moralische Keule, die da geschwungen wird, mit dem Unterschied, dass der Verzicht auf Fleisch oder Kurzstreckenflüge weit weniger in das Recht auf körperliche Selbstbestimmung hineinwirkt wie die Impfung. Dabei geht es beim Impfen erst in zweiter Linie um den Schutz der anderen, weil man selbst als Geimpfter das Virus weitergeben kann.

Über Ihre Aussage zu "fehlenden Langzeitstudien" der Impfung kann man trefflich streiten. Natürlich gibt es genügend Experten, die eben diese Langzeitfolgen verneint haben. Dabei hat der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko) gerade erklärt: "Dass es bei der Anwendung eines Impfstoffes über knapp ein Jahr keine Zehnjahres-Beobachtungsstudien geben kann, ist klar." Ist das etwas fundamental anderes, als Sie gesagt haben?

Im selben Interview, das Ihnen jetzt um die Ohren fliegt, haben Sie klar gemacht, dass Sie kein radikaler Impfgegner seien und durchaus erwägen, sich noch impfen zu lassen. Damit dürfte deutlich geworden sein, dass Sie Querdenkern und Corona-Leugnern gerade keine Steilvorlage geliefert haben.

Sind Sie nicht auch erschrocken, dass Ihnen in der Tagesschau eine eigene Meldung zuteil wurde? Mal unter uns, Herr Kimmich: Will man jetzt jeden halbwegs prominenten Impfzauderer in diesem Land an den medialen Pranger stellen? Das grenzt selbst für den Chef der Stiko an "groben Unfug". Endgültig grotesk wird es, wenn man Sie vor einem Millionenpublikum in der Sportschau zu einer Offenbarung nötigt und Sie nachher für die Negativwerbung ("schlechtes Vorbild") kritisiert. Ich bin mir sicher, Herr Kimmich, Sie werden diesen Tsunami überstehen. Leichter als das Beben des 0:5.

Mit den besten Grüßen

Eike Lenz, Redakteur

Persönliche Post: Der "Samstagsbrief"

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
Quelle: MP
 
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  • A. F.
    Wenn der Herr Kimmich Angst hat vor medizinischen spätfolgen der Impfung, dann sollte er sich sofort einen neuen Beruf suchen!!
    Seit 2015 Außenbandanriss, Außenmeniskusanriss und 2020 Meniskusschaden. Vielleicht sollte er es mit Schach Spielen versuchen.
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  • L. W.
    Von den Folgen @ dominator

    häufiger Kopfbälle ganz zu schweigen. zwinkern
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  • R. E.
    Ein guter Kommentar. Im Gegensatz zu einigen anderen hier.
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  • M. F.
    Kimmich ist einer verbreiteten Fehlansicht zu "Langzeitfolgen" aufgesessen. Dies wurde vielfach genutzt, um sachlich zu informieren und unguten Bauchgefühlen von Zweiflern zu begegnen. Der Brief tut dies leider nicht, sondern gibt weiter Futter für Fehlvorstellungen:

    "allgemeine Interessen vs. persönliche": Es gibt hier keinen Widerspruch. In beiden Fällen ist die Risiko-Nutzen-Abwägung (Infektion vs. Impfung) klar pro Impfung.

    "selbst als Geimpfter das Virus weitergeben": Schon, aber die Wahrscheinlichkeit, andere zu infizieren ist durch die Impfung viel kleiner. Natürlich wäre es schön, wenn "Herdenimmunität" erreichbar wäre. Dennoch hilft jede Impfung, besser durch die Pandemie zu kommen. Die Impfung bietet Selbst- und Fremdschutz.

    "Natürlich gibt es genügend Experten, die Langzeitfolgen verneinen", stellt so ganz nebenbei einen klaren wissenschaftlichen Konsens in Frage, das ist äußerst bedenklich!

    Und ja, Herr Kimmich hat etwas ganz anderes gesagt als Herr Mertens.
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  • G. K.
    In vielerlei Hinsicht ist er sehr fragwürdig, dieser Kommentar.

    1. Begriffe wie „moralische Keule“, „Chor der Empörten“ und „medialer Pranger“ sind hervorragend geeignet, um Menschen mit anderen Meinungen pauschal zu diskreditieren. Und mir scheint, genau dazu werden sie auch eingesetzt. Wer in der Öffentlichkeit den eigenen Impfstatus und die Gründe dafür thematisiert, der sollte sich nicht über eine Diskussion darüber wundern …

    2. Bei der Impfung geht es gleich in mehrfacher Hinsicht um den Schutz der anderen. Als Geimpfter reduziert man (statistisch) den eigenen Beitrag zu Verbreitung des Virus signifikant – und man leistet einen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems.

    3. Die „Zweifel der Experten“ an der Herdenimmunität sind nicht grundsätzlicher Natur, sondern der geringen Impfquote geschuldet. Niemand bezweifelt, dass sich Herdenimmunität erreichen ließe – nur eben wird die ursprünglich dazu als notwendig erachtete Impfquote von 2/3 der Bevölkerung nicht reichen.
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  • U. A.
    @Arcus: Sehr treffend formuliert. Danke.
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  • U. A.
    Wieder ein Samstagsbrief auf den die Welt gewartet hat.
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  • H. T.
    Die Story in der BILD um Kimmich kam genau zu dem Zeitpunkt als die New York Times den Skandal um Chefredakteur Julian Reichelt veröffentlichte.

    Niemand spricht von Julian Reichelt. Alle über Kimmich. BILD dir deine Meinung!
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  • D. P.
    Es gibt absolut keinen rationalen Grund, sich nicht impfen zu lassen. Mehr muss man zu dem Thema nicht mehr sagen.
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  • P. K.
    Stimmt - es gibt nicht einen Grund sondern einige!
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  • G. K.
    5 Millionen Tote im Zusammenhang mit Corona weltweit – ich würde sagen, das sind 5 Millionen sehr gute Gründe, die FÜR eine Impfung sprechen …

    Überlegen Sie doch mal, was diese 5 Millionen Tote zu Ihrem Beitrag sagen würden – wenn sie denn noch könnten …

    Und ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, dass es nach einem Aufenthalt auf einer Intensivstation weniger Impfgegner gibt als vorher?

    https://www.stern.de/gesundheit/corona--was-mediziner-zu-ungeimpften-auf-der-intensivstation-sagen-30867030.html
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  • L. W.
    Wer im gesellschaftlichen Mittelpunkt

    steht wie diese Fußballmillionäre der Bundesliga muss natürlich damit rechnen, dass jede ihrer Handlungen oder Äußerungen von der Allgemeinheit kritisch hinterfragt wird.

    Insofern ist es auch angebracht diese Impfverweigerung zu kritisieren, denn welcher Normalbürger hat schon diese Privilegien trotz Impfverweigerung seiner Erwerbsarbeit nachzugehen währen der Arbeitgeber die tägliche Testung übernimmt.

    Also ich finde diese Kritik nicht überzogen.
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  • E. H.
    Obwohl ich den FC Bayern generell nicht mag, ist es einfach unterirdisch was man mit Kimmich macht.

    Die Fakten sind doch: Es gibt keinen Impfzwang - es gäbe mehr Impfstoff- Arten als die bisher zugelassenen, z.B. auch sog. TOT- Impstoffe - von Langzeitfolgen kann man nach knapp einem Jahr Zulassung noch gar nicht sprechen...

    Also lasst einen mündigen Bürger entscheiden was er möchte und akzeptiert seine Entscheidung!
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  • R. B.
    Sehr geehrter Herr Lenz, zugegeben, ich bin nicht Ihr allergrößter Fan, mit Ihrem heutigen Samstagsbrief jedoch haben Sie eine absolute Punktlandung hingelegt, Respekt. Ich frage mich nur wie Sie die hauseigene Zensur ausgetrickst haben.
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  • K. R.
    👏👏👏👏👏
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  • d. e.
    Schreiberling = abwertende Formulierung
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  • P. W.
    DANKE! Mehr ist dazu nicht zu sagen…
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  • H. M.
    ich bin kein Fußballfan, aber ich frage mich weshalb Zuschauer und Spieler nicht gleich behandelt werden.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Der junge Fußballspieler scheint nicht über die besten Berater zu verfügen. Gibts bei seinem Fußballclub keine vernünftigen Mediziner, die wissenschaftliche Erkenntnisse auf so ein Niveau herunterbrechen können, dass es auch geistig einfacher strukturierte Fußballspieler verstehen können?
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  • J. H.
    Fragt sich nur wer hier ein geistiger
    Tiefflieger ist
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