Das Mädchen in Sitzreihe sieben angelt nach dem linken Arm der Mutter und versucht, im Dunkel die Armbanduhr abzulesen. Auf der Bühne hat die „Hänsel und Gretel“-Inszenierung von Nada Kokotoviæ gerade einen Durchhänger. Es passiert nichts. Und das Grau-in-Grau des Bühnenbilds (Kokotoviæ) animiert auch nicht zum Hinsehen. Spannend ist vor allem die allzeit sichtbare Bühnentechnik: Scheinwerfer, Stahlseile.
Das Mädchen in Reihe sieben erkennt auf der Armbanduhr der Mutter, dass die Aufführung eine Stunde alt ist. Nicht nur in der ersten Stunde zeigt das Philharmonische Orchester seine Qualitäten. Die Musiker und Musikerinnen wollen – und müssen – beweisen, dass sie auch ohne Wang gut sind. Schließlich hatte eine Mehrheit sich gegen eine Vertragsverlängerung ausgesprochen. Der Generalmusikdirektor hat Hausverbot. Zwar leitete Wang sogar noch die Generalprobe. Die Premiere aber leitet Ulrich Pakusch.
Pakusch macht einen guten Job
Der Kapellmeister verrichtet einen guten Job, was keine Kleinigkeit ist: Humperdinck (1854 bis 1921) hat Musik zwischen Kinderlied („Ein Männlein steht im Walde“) und anspruchsvollen, Wagner-mäßig dichten Klängen kombiniert. Auch auf der Bühne ist nichts von den Aufregungen um den GMD zu spüren, die das Würzburger Theater seit einiger Zeit erschüttern. Sonja Koppelhuber als cooler Rapper Hänsel und Silke Evers als Girlie-Gretel singen, dass es ein Genuss ist, ob im Duett oder solo. Dazu toben sie über die Bühne, was mal mehr, mal weniger sinnvoll ist, aber im tristen Bühnenbild immerhin für Abwechslung sorgt (an den Scheinwerfern hat sich auch der technisch Interessierte irgendwann sattgesehen). Kinderchor und -ballett sind niedlich anzsehen.
In der siebten Reihe beugt sich die Mutter zu dem kleinen Mädchen und flüstert: „Das ist das Hexenhaus.“ Die Erklärung ist notwendig. Denn der Raum aus Chrom und Glas, der von der Bühnendecke schwebt, sieht wirklich nicht aus wie ein Märchen-Hexenhaus. Lebkuchen? Fehlanzeige. Wer Lebkuchen sehen will, soll sie sich selber backen, hat man sich wohl am Mainfranken Theater gedacht und im Programmheft ein „Klassisches Lebkuchen-Rezept“ abgedruckt. Regisseurin Kokotoviæ kommt nicht nur da mit dem Text in Konflikt. „Knusper, knusper, knäuschen?“ Wie denn, wenn gar kein Naschwerk da ist?
Als die Hexe vehement per Stahlseil von links auf die Bühne schwebt, lacht das Mädchen in der siebten Reihe. Die Hexe, das ist Tenor David Fielder, kostümiert mit weißem Mantel, warum auch immer. Dass die Mutter (Barbara Schöller) die Hüften schwingen muss, als sei sie nicht die Gattin des Besenbinders (Uwe Schenker-Primus), sondern verdiene ihr Geld in St. Pauli, ist ein weiteres, nicht auf Anhieb verständliches Detail der Inszenierung. Offensichtlich will Nada Kokotoviæ die Situation moderner Jugendlicher zeigen, will soziale Konflikte ebenso thematisieren wie die zwischen Eltern und Heranwachsenden. Das ist aller Ehren wert. Aber „Hänsel und Gretel“ ist dafür nicht die richtige Oper.
Nach gut zwei Stunden klatscht das Mädchen in der siebten Reihe artig in die Hände. Die Erwachsenen klatschen auch – und rufen „Buh“, als sich die Regisseurin auf der Bühne zeigt. Dass Oberbürgermeister Georg Rosenthal vor der Vorstellung zur Affäre Jin Wang Stellung nahm (siehe rechts), ist da schon fast vergessen. Alles beim Alten im Mainfranken Theater?
Nächste Vorstellungen: 19. und 30. November. Tel. (09 31) 39 08-124