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Würzburg
"Zum Teil nicht beispielhaft": Würzburger Ex-Kämmerer Schreiber hat den Ratsherrn Tilman Riemenschneider durchleuchtet
Hamsterkäufe und überhöhte Rechnungen: Als Politiker war der große Bildhauer Tilman Riemenschneider nicht gerade überkorrekt, so ein neues Buch von Uwe Schreiber.
Uwe Schreiber hat sich jahrelang durch die Würzburger Ratsprotokolle des 16. Jahrhunderts gearbeitet. Seine Erkenntnisse werfen ein neue s Licht auf den Politiker Tilman Riemenschneider.
Foto: Johannes Kiefer | Uwe Schreiber hat sich jahrelang durch die Würzburger Ratsprotokolle des 16. Jahrhunderts gearbeitet. Seine Erkenntnisse werfen ein neue s Licht auf den Politiker Tilman Riemenschneider.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:09 Uhr

Uwe Schreiber, heute 75 Jahre alt, war von 1986 bis 2007 Rechtsamtsleiter und dann Kämmerer der Stadt Würzburg. Er kennt sich aus mit Zahlen und Fakten. Wenn er sagt, Tilman Riemenschneiders Verwaltungstätigkeit als Würzburger Ratsherr sei "zum Teil nicht beispielhaft" gewesen, kann man annehmen, dass er dafür Belege hat.

Hat er: Der promovierte Jurist Schreiber hat die Ratsprotokolle der Stadt Würzburg für die Jahre 1504 bis 1525, die wunderbarerweise den Krieg überstanden haben, durchgeackert und ausgewertet - also genau die Jahre, in denen der heute weltberühmte Künstler Ratsherr und Bürgermeister (1520-1524) der Stadt war. Beim Würzburger Echter-Verlag ist soeben Schreibers Fazit in Buchform erschienen: "Würzburg und sein Ratsherr Tilman Riemenschneider" ist das bunte, detailreiche Porträt einer Stadt auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit.

Würzburg als Stadt mit sehr wenig Trinkwasser, dafür umso mehr Müll

Schreiber beschreibt Würzburg als hochkomplexen Ballungsraum mit einer Fülle von Regeln, Ämtern und Zuständigkeiten. Es gab kaum sauberes Trinkwasser, dafür ausgesprochen rustikale hygienische Bedingungen: Kot, Unrat und selbst tote Tiere wurden einfach in die engen Straßen gekippt, die damals allesamt "Gassen" hießen. Nutzvieh rannte frei herum, vor allem die Schweine waren ein Ärgernis, weil sie den Unrat durchwühlten und gelegentlich auch kleine Kinder bissen.

Regiert wurde Würzburg, das damals wohl 5000 bis 8000 Einwohner zählte (genauer lässt sich das laut Schreiber nicht beziffern), vom Fürstbischof, in den Ratsprotokollen stets mit "Seine fürstlichen Gnaden" betitelt. Und vom Domkapitel, einem mächtigen Gremium von 24 Klerikern, den Domherren, die das Recht hatten, den Bischof zu wählen, und über mannigfache Einkommensquellen verfügten.

Die Figuren von Adam und Eva an der Marienkapelle in Würzburg. Es sind dies mit die ersten Arbeiten Riemenschneiders in Würzburg. Die Originale sind im Museum für Franken zu besichtigen.
Foto: Patty Varasano | Die Figuren von Adam und Eva an der Marienkapelle in Würzburg. Es sind dies mit die ersten Arbeiten Riemenschneiders in Würzburg. Die Originale sind im Museum für Franken zu besichtigen.

Die Bürgerschaft wurde von einem 24-köpfigen Rat der Stadt vertreten, dessen Mitglieder freilich nicht gewählt, sondern vom Bischof beziehungsweise dem Domkapitel bestimmt wurden. Der Rat hatte sich um die Sicherheit, die Unterhaltung der Befestigungen und die Schlichtung von Streitigkeiten zu kümmern. Gegenüber der Obrigkeit hatte er lediglich das Recht, Berichte, Bittschriften und Beschwerden einzureichen.

Die Protokolle sind die einzige authentische Quelle über Riemenschneiders Wirken als Politiker, sagt Schreiber. Jahrelang hat er die Folianten gewälzt und gelernt, die alte Kurrentschrift zu entziffern. Die ist zwar schwungvoll dekorativ, aber umso schwerer zu lesen. Schreiber hat die Protokolle der Jahre 1504 bis 1513 transkribiert und als tausendseitiges Buch mit herausgegeben - die Jahre 1514 bis 1524 sollen irgendwann folgen. "Aber die Sprache bleibt dennoch die alte", sagt er. Will sagen: Oft ist zusätzliche Forschungsarbeit nötig, wie die lange Literaturliste zum Buch belegt.

'Ein Oberbürokrat war er wohl nicht', sagt Uwe Schreiber über Tilman Riemenschneider.
Foto: Johannes Kiefer | "Ein Oberbürokrat war er wohl nicht", sagt Uwe Schreiber über Tilman Riemenschneider.

Tilman Riemenschneider, geboren um 1460 im thüringischen Heiligenstadt, lebte seit 21 Jahren in der Domstadt, als er Ratsherr wurde. Er hatte sich einiges Renommee als Holzschnitzer und Bildhauer erworben und überdies klug geheiratet. Auf der Vorschlagsliste für neue Ratsmitglieder stand er 1504 nur auf Platz fünf, wurde aber dennoch von den Domherren berufen, wobei sein Status als gefragter kirchlicher Auftragnehmer sicherlich nicht hinderlich war.

Riemenschneider bewährte sich als Traubenprüfer im Weinberg

Seine Ämter scheint er durchaus erfolgreich verwaltet zu haben. So wurde er viele Jahre als Feldbeseher berufen. Dessen Aufgabe war es, vor der Weinlese den Reifegrad der Trauben in den städtischen Weinbergen festzustellen. Darin wurde er so kompetent, dass das Domkapitel ihm sogar von 1507 bis 1519 die Aufsicht über seine Weinberge anvertraute.

Die Grabplatte Tilman Riemenschneiders im Museum für Franken.
Foto: Andreas Bestle | Die Grabplatte Tilman Riemenschneiders im Museum für Franken.

Ganz uneigennützig war "Tyll Rymenschneider" (so die Schreibweise bei der ersten Erwähnung durch Stadtschreiber Martin Cronthal) offenbar nicht immer. Und während Wikipedia noch mit dem Attribut "geschäftstüchtig" auskommt, hat Uwe Schreiber einige Vorkommnisse gefunden, die ein etwas ungünstigeres Bild entwerfen: "Ein Oberbürokrat war er wohl nicht."

Die Ratsherren übernahmen bestimmte Zuständigkeiten, Riemenschneider war zeitweise Stadtbaumeister und Fischermeister in Personalunion. Der Künstler, dessen Werke heute weltweit in Museen zu den wertvollsten und am meisten bewunderten Stücken gehören, nahm es dabei hin und wieder mit den Regeln nicht ganz genau - und das gelegentlich wohl auch zu seinen eigenen Gunsten.

Der Rat stellte sich hinter Riemenschneider

Im Oktober 1506 etwa erhob das Domkapitel schwere Vorwürfe: Er nutze sein Amt, um große Mengen Holz vor Eröffnung des offiziellen Marktes zu kaufen. Dieser sogenannte Vor- oder Fürkauf war bei Strafe verboten, weil er die gerechte Verteilung der Waren störte und den Käufer zudem in die Lage versetzte, die Preise zu diktieren. Was für Riemenschneider hätte unangenehm werden können, löste sich doch noch in Wohlgefallen auf: Die Bürgermeister und der Rat stellten sich - möglicherweise nicht restlos überzeugt von dessen Unschuld - vor ihren Baumeister, und das Domkapitel ließ die Sache auf sich beruhen.

Der 1894 errichtete Frankoniabrunnen vor der Würzburger Residenz mit den Figuren von Walther von der Vogelweide (links) und Tilman Riemenschneider.
Foto: Frank Kupke | Der 1894 errichtete Frankoniabrunnen vor der Würzburger Residenz mit den Figuren von Walther von der Vogelweide (links) und Tilman Riemenschneider.

Auch als Fischermeister blieb der Bildschnitzer nicht ganz "beschwerdefrei", wie Uwe Schreiber herausgefunden hat. Zu seinen Pflichten gehörte es, die regelmäßige Entmüllung und jährliche Abfischung der mit Wasser gefüllten Befestigungsgräben zu managen. Als Riemenschneider das Amt 1508 abgab, stellte er eine gesalzene Abschlussrechnung. Der Rat "erschrak gewaltig", schreibt Schreiber. Im Protokoll heißt es dazu "... unnd hetten ob der rechnung grosse beswernus, das sovil costenns uff altwasser unnd graben ginge". 

Das Ende ist bekannt: Die Stadt stellte sich im Bauernkrieg gegen den Fürstbischof, verlor 1525 die entscheidende Schlacht und wurde dafür drakonisch bestraft. Viele Ratsherren und Bürger wurden geköpft, weitere eingekerkert und gefoltert. So auch Tilman Riemenschneider. Anders als vielfach behauptet, wurden ihm nicht die Hände gebrochen. Er wurde "gewogen", also an den auf den Rücken gebundenen Armen hochgezogen. Er verlor alle Ämter und die Hälfte seines Vermögens. Danach bekam er keine größeren Aufträge mehr und führte nur noch Reparaturen aus, berichtet Schreiber. Am 7. Juli 1531 starb der "ersam und kunstreich Tilman Riemenschneider Bildhauer, burger zu Wurczburg", wie es auf seiner 1822 wiederentdeckten Grabplatte heißt.

 
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