Tilman Riemenschneider (um 1460–1531) ist in Würzburg ein Begriff. Klar, der Bildhauer war einer der bedeutendsten Künstler um 1500, er gestaltete zum Beispiel Skulpturen in der Marienkapelle. Bekannt ist auch, dass Riemenschneider wichtige öffentliche Ämter bekleidete und von 1520 bis 1524 sogar Würzburger Bürgermeister war. Doch seine letzten Lebensjahre liegen weitgehend im Dunkeln. „Hartnäckig hält sich die Legende, dass der Bildhauer als verarmter, gebrochener Mann starb, um den es still geworden war“, sagt Dr. Britta Schneider. Damit räumte die Historikerin jüngst auf, doch dazu später.
Auf die Seite der Verlierer geschlagen
Zum Bild des gebrochenen Mannes kommt die bisherige Forschung, weil Tilman Riemenschneider sich im Bauernkrieg auf die Seite der Verlierer schlägt und unter dieser Entscheidung später zu leiden hat. Der Würzburger Rat führt seit Längerem politische Auseinandersetzungen mit dem Fürstbischof Konrad II. von Thüngen (um 1466-1540), der in der Festung Marienberg residiert.
Der Streit eskaliert 1525, als sich aufständische Bauern mit den Würzburgern gegen den Fürstbischof verbünden. Die Festung hält den Angriffen stand; im Gegenzug wird das Bauernheer am 4. Juni 1525 vernichtet. Innerhalb von zwei Stunden sterben 8000 Bauern. Die Anführer, darunter alle Würzburger Ratsherren, werden in den Verliesen der Festung eingekerkert und gefoltert. Auch Tilman Riemenschneider gerät am 7. Juni 1525 in Haft und bleibt dort zwei Monate lang.
Teure Rückkehr in die Freiheit
Er muss die Hälfte seines Vermögens bezahlen, um freizukommen, und verliert seine Ämter. Größere Aufträge erhält er fortan nicht mehr. Seine Würde und seine Kampfeslust verliert Riemenschneider trotzdem nicht. Das kann Britta Schneider nun durch eine glückliche Fügung belegen: „Ich habe im Rahmen meiner Promotion im Hauptstaatsarchiv in München Reichskammergerichtsakten ausgewertet und bin in den Findbüchern auf einen Rechtsstreit aufmerksam geworden, in den Tilman Riemenschneider und seine vierte Frau Margaretha involviert waren.“
Diese Akte belegt eine jahrelange Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar und einer Frau namens Barbara Keymer. „Der Streit kam 1524 erstmals vor Gericht“, sagt Britta Schneider und ergänzt: „Nur neun Tage nach seiner Entlassung aus dem Verlies nimmt Riemenschneider den nächsten Gerichtstermin wahr. Das zeugt doch von einem gewissen Aktionismus und nicht von einem gebrochenen Mann.“
Es ging um 100 Gulden
Im Kern geht es bei dem Streit um 100 Gulden. Dass Margaretha mit Nachnamen Schirmer heißt, findet Britta Schneider durch ihren Zufallsfund heraus. Genauso wie die Tatsache, dass Margarethas Vater Hans Schirmer, Viertelmeister und Mitglied im Äußeren Rat, gemeinsam mit Riemenschneider im Verlies saß.
An diesem düsteren Ort im heutigen Fürstenbaumuseum auf der Festung steht auch Britta Schneider, als sie die Geschichte weitererzählt. „Margarethas verstorbener erster Mann hieß Kilian Thurner. Dessen Schwester Barbara Keymer verlangte von Riemenschneider und seiner vierten Frau 100 Gulden aus dem Erbe ihres Bruders, die ihr nach ihrer Meinung zustanden. Doch die Prozessgegner sahen das anders. Schließlich hatte Thurner seine damalige Frau Margaretha zur Alleinerbin bestimmt.“
Der Künstler scheute die Gerichtskosten nicht
Der Rechtsstreit beginnt vor dem Landgericht des Herzogtums Franken. Im März 1527 bekommt die Klägerin Recht. Riemenschneider wendet sich deshalb im Mai desselben Jahres in zweiter Instanz an den Fürstbischof Konrad II. Der bestätigt das erstinstanzliche Urteil. So zieht der Bildhauer 1528 vor das Reichskammergericht in Speyer und appelliert vor einem der höchsten Gerichte des Alten Reiches gegen die Urteile der lokalen Obrigkeiten. „Das war mit Kosten und Mühen verbunden“, sagt die Historikerin. „Still wurde es um Riemenschneider in seinen letzten Lebensjahren also gewiss nicht.“
Das Urteil des Reichskammergerichts bekommt der Bildhauer nicht mehr mit: Er stirbt am 7. Juli 1531. Im November desselben Jahres schließt die Akte Riemenschneider versus Barbara Keymer mit einer Aufstellung der Prozesskosten. Wie ging die Sache aber nun aus? „Das ist unbekannt“, sagt Britta Schneider. „Die Akte ist leider unvollständig.“
Kirsten Schlüter
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Erhältlich ist „Was Würzburg prägte – 52 große und kleine Begegnungen mit der Stadtgeschichte“ von Eva-Maria Bast und Kirsten Schlüter Überlingen 2017, ISBN: 978-3-946581-24-6 in den Main-Post-Geschäftsstellen (14,90 Euro).