
Aus der Fülle der Veranstaltungen in Woche 4 des Mozartfests haben wir vier herausgegriffen, die das Spektrum des Programms recht gut wiedergeben:
1. Ankunft der Königstochter Ariadne im Martin von Wagner Museum

Als das weiße Tuch von der Skulptur glitt, ging ein "Ahhhhhh" durch den Saal. Damit war Ariadne im Martin von Wagner Museum angekommen. Vielmehr: die zweite Fassung der Skulptur "Ariadne auf dem Panther" des Stuttgarter Bildhauers Johann Heinrich Dannecker (1758-1841). Die erste Fassung, entstanden 1803 bis 1814, heute ansässig im Frankfurter Liebig-Haus, gilt als eine der berühmtesten deutschen Skulpturen des 19. Jahrhunderts. Sie ist, so Museumsleiter Prof. Damian Dombrowski, "die bekannteste Darstellung des Ariadne-Stoffs überhaupt".
Ob des großen Erfolgs ließ Dannecker von Schülern eine zweite Fassung schaffen. Diesmal ist der Panther aus einem schwarzen Gestein, das bis heute nicht bestimmt werden konnte. Das klassizistische Werk wird als Dauerleihgabe der Ketter Stiftung Köln in Würzburg verbleiben. Damit setzt sich die 2021 mit der Ausstellung "Imagine Mozart" begonnene Kooperation zwischen Museum und Mozartfest, also zwischen Universität und Stadt fort.
2. Großes Kino beim Musikdrama "Ariadne auf Naxos" im Kaisersaal

- Wer spielte? Die Lautten Compagney Berlin unter der Leitung von Wolfgang Katschner und die beiden Rezitierenden Anna Schudt und Stefan Wilkening.
- Was wurde gespielt? Mozart, Carl Philipp Emanuel Bach, Christoph Willibald Gluck, vor allem aber das Duo-Musikdrama "Ariadne auf Naxos" von Georg Anton Benda.
- Was war das Besondere an diesem Abend? Die brodelnde Verschmelzung von Text und Musik in dem packenden Ariadne-Duodrama.
Ach, die griechischen Götter – sie beherrschten die Klaviatur der Leidenschaften wie Liebe und Lust, Verbitterung und Verzweiflung. Ebenso eindringlich und melodramatisch wie Ex-"Tatort"-Kommissarin Anna Schudt und Stefan Wilkening den Text deklamierten, tauchte das Orchester intensiv in die Musik ein. Furchteinflößend Theseus‘ Zerrissenheit, als er seine Lebensretterin allein auf Naxos zurücklässt. Herzzerreißend der schönen Ariadne Klagegesang, die sich am Ende ins tosende Meer wirft. Großes Kino! Glucks vorangestellte "Alceste"-Ouvertüre fügte sich genial ein.
Mit schwebender Leichtigkeit zelebrierte das Berliner Originalklangensemble zum Auftakt Mozarts D-Dur-Sinfonie Nr. 20 KV 133 – warmer Klang und Vibrato gepaart mit funkensprühender Energie der Gegenwart. Nur der Schluss der C.P.E. Bach-Sinfonie kam ein wenig aus dem Takt, wie aus heiterem Himmel. Kurze Irritation bei Dirigent und Publikum - und dann erlösender, herzlicher Applaus schon vor der Pause.
3. Großer Beifall bei der Uraufführung von Isabel Mundrys Mozartfest-Auftragswerk

- Wer spielte? Das Ensemble Resonanz und das GrauSchumacher Piano Duo unter der Leitung von Bas Wiegers
- Was wurde gespielt? Artist-in-Residence Isabel Mundry stellte ihre „Signaturen für zwei Klaviere, Schlagzeug und zwei Streichergruppen“ im Kaisersaal vor, eine Kooperation des Würzburger Festivals mit der Elbphilharmonie
- Was war das Besondere an dem Abend? Das Konzept, neue Klänge mit Ausschnitten aus Werken Mozarts zu verschränken
Das Konzept des Abends, den Isabel Mundry zusammengestellt hatte, bestach mindestens so sehr wie die virtuosesten Läufe des GrauSchumacher Piano Duos bei Bernd Alois Zimmermanns „Monologen für zwei Klaviere“. Darin spielt Zimmermann auf Kollegen früherer Jahrhunderte an. Jetzt Mundry: Sie schob zwischen jeden Zimmermann-Satz Passagen aus einem selten gespielten Mozart-Arrangement für Streichorchester, wiederholte also Zimmermanns Collage-Prinzip im großen Maßstab.
Zu diesem intellektuellen Vergnügen kam das des unmittelbaren Hörens, arbeitete Mozart doch mit der antreibenden Kanonstruktur, die die Energie des Pianoduos noch steigerte. Das Streicher-Ensemble Resonanz bildete auch die beiden Gruppen in Mundrys „Signaturen“, die sich – sagen wir es neutral: kurze Tonfolgen zuspielten. Das Wort Melodien klänge für diese Lautereignisse etwas zu hoch gegriffen. In der Gegenwartsmusik nimmt sich der neue Mundry allerdings vergleichsweise melodiös aus.
Vor diesem Hintergrund entfaltete auch der zweite Teil seinen großen Witz: Wieder eine trans-epochale Entsprechung, wieder ein Dialog mit Mozart. Denn vor die eigene neue Komposition, das heißt vor ihre persönliche Hinwendung zum Melodischen, hatte Isabel Mundry Mozarts Sonate für zwei Klaviere KV 448 gesetzt, eine Beispielsammlung für die Definition: Eine gute Melodie ist ebenso vorhersehbar wie immer überraschend. Dass sie ihr vergleichsweise sprödes Werk direkt an diese so genannte Glückssonate anschloss: Respekt. Beide Programmteile erhielten großen Beifall: der erste vehementer, der zweite respektvoller und länger.
4. Das Stegreif.Orchester spielt anders als andere Orchester

- Wer spielte? Das Stegreif.Orchester, ein Berliner Ensemble, das spezialisiert ist auf neue Konzerterlebnisse
- Was wurde gespielt? Ausschnitte aus Beethovens neunter Sinfonie verknüpft mit Improvisation
- Was war das Besondere an dem Abend? Die Kombination verschiedenster dramaturgischer Elemente, verbunden wiederum mit der kreativen Interpretation altbekannter Klassik
Mit dieser Art der Darbietung dürften wohl die wenigsten der rund 350 Gäste gerechnet haben: Keine Notenständer, kein Dirigent, keine starren Abläufe. Erst nach und nach betreten die Musikerinnen und Musiker das Podium in der Leerguthalle der Würzburger Hofbräu, dann spazieren oder rennen sie spielend immer wieder in den Saal hinab, vorbei an den Reihen der Gäste. Die ganze Halle verwandelt sich zur Spielfläche des Ensembles, das über einige Musikgrenzen hinweg improvisiert – von Volksliedern, Klassik über Jazz bis hin zu arabischer Musik und Techno.
Für viele Höhepunkte sorgt die Kombination dieser verschiedenen Elemente, verbunden mit einer kreativen Interpretation von Beethovens eindrucksvoller Neunter Sinfonie und einer Vielzahl gelegentlich ekstatischer solistischer Einlagen. Das zu Beginn noch etwas irritiert wirkende Publikum antwortet darauf mit ausgelassenem Beifall.
Was ist zum Schluss des Festivals noch geboten?
- Die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann wurde gerade für ihr zweites Mozart-Album mit dem Opus Klassik ausgezeichnet. Im Kaisersaal ist sie mit Frühlingsliedern von Schubert, Schumann und Mozart zu hören. Fr., 17. Juni, 20 Uhr, Residenz Kaisersaal
- Wer lieber junge Ausnahmetalente hört als arrivierte Stars, dem sei das Konzert mit dem Geiger Daniel Lozakovich und der Amsterdam Sinfonietta empfohlen. Es gibt Locatelli, Mozart, Boccherini und Tschaikowski. Sa., 18. Juni, 20 Uhr, Kaisersaal
- Die abschließende Jupiternacht trägt diesmal den Titel "Time Travel. In der Zeitkapsel mit Henry Purcell und den Beatles". Laut Ankündigung nimmt die Berliner Lautten Compagney das Mozartfest mit auf eine Tour quer durch die Musikgeschichte. So., 19. Juni, 19 Uhr, Theaterfabrik Blaue Halle
Karten: Tel. (0931) 372336 oder www.mozartfest.de