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Würzburg
Würzburger Hafensommer: 4 Dinge, die das Musikfestival am Alten Hafen so besonders machen
Der Hafensommer geht noch bis 7. August. Die erste Woche des Festivals hatte mit Musik aus Afrika, Europa und Lateinamerika schon einiges zu bieten. Hier vier Beispiele.
Die Hafensommer-Bühne: Kaum ein Künstler, eine Künstlerin, kaum eine Band, die nicht erwähnt, wie wunderbar dieser Ort ist.
Foto: Patty Varasano | Die Hafensommer-Bühne: Kaum ein Künstler, eine Künstlerin, kaum eine Band, die nicht erwähnt, wie wunderbar dieser Ort ist.
Alice Natter
 und  Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:11 Uhr

Kaum ein Künstler, eine Künstlerin, kaum eine Band, die nicht erwähnt, wie wunderbar dieser Ort ist: Die schwimmende Bühne neben dem alten Kran, vor der Kulisse einer riesigen Betontreppe, die teilweise überragt wird von einer noch riesigeren, dachartigen Ausbuchtung des Heizkraftwerks. Das Programm steht der Ausstrahlung des Ortes in nichts nach. Hier die Besprechungen von vier Abenden, die mehr als beispielhaft zeigen, was das Festival so besonders macht.

1. Das Experimentelle und das Hinhören

Am Ende mit der blau-gelben Flagge der Ukraine: Mariana Sadovska und Christian Thomé auf der Bühne beim Würzburger Hafensommer.
Foto: Patty Varasano | Am Ende mit der blau-gelben Flagge der Ukraine: Mariana Sadovska und Christian Thomé auf der Bühne beim Würzburger Hafensommer.

Paradoxie der Gleichzeitigkeit. Während vor der Würzburger Residenz 15.000 Menschen darauf warten, ob Sting nun Roxanne singt oder nicht, sitzen am ersten Hafensommer-Abend ein klein wenig weniger Menschen auf den Treppen vor dem Heizkraftwerk. Und lassen sich auf Spezielleres ein als einen Superstar. Und auf neue Hörerfahrung. Auf der Bühne: Vesna.

Die Hafensommer-Macher wollen - immer schon und immer noch - nicht nur Bewährtes bieten, sondern auch Spezielles, Anderes. In anderen Jahren hätte man sich jetzt ganz den ruhigen, experimentellen Elektro-Klängen hingegeben, die Drummer Christian Thomé und Sound-Designer Markus Braun unter und über die Stimme von Sängerin Mariana Sadovska legen. Hätte die traditionellen Lieder und Volksweisen vermutlich nicht weiter hinterfragt. Jetzt aber hört man aufmerksam hin, auf das Wenige, Wichtige, was Mariana Sadovska dazwischen sagt.

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Sie erinnert an ihre Künstlerfreundinnen und Künsterfreunde, die in der Ukraine geblieben sind, ganz bewusst. "Um die Freiheit zu verteidigen", sagt Sadovska und breitet auf der schwimmenden Bühne die Arme aus, "auch unsere hier." Die kämpfen und im Kriegsland helfen als Freiwillige - jetzt gerade. Paradoxie der Gleichzeitigkeit. Schrecken der Gleichzeitigkeit.

Vor der Residenz singt jetzt Sting. Am Main singt Mariana Sadovska "Where are you from", nach einem Gedicht von Serhiy Zhadan. 2014 schon, als der Krieg in ihrer Heimat begann, hatte sie die Verse des Dichters aus Charkiw vertont. Acht Jahre später ist es erneut paradox aktuell - und Zhadan, der im Krieg lebt, wird im Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.    

2. Das Stimmige und Sommer-Perfekte

Erkundet musikalisch die portugiesisch-sprachige Welt: Singer-Songwriterin Aline Frazão - nach 2016 jetzt wieder beim Hafensommer.
Foto: Patty Varasano | Erkundet musikalisch die portugiesisch-sprachige Welt: Singer-Songwriterin Aline Frazão - nach 2016 jetzt wieder beim Hafensommer.

Wenn die Betonstufen am Alten Hafen aufgeheizt sind von der Sommerhitze, wenn über dem Stein die Sonne untergeht und am Hafenkran des Kulturspeichers die Lichter angehen - dann ist dieser Platz für ein Sommermusik-Festival der allerschönste Ort. Erst recht, wenn die Musik so sommerlich passt wie beim Konzert von Aline Frazão und Carmen Souza. Vor sechs Jahren schon war Aline Frazão hier am Main - und damals schon mit dieser schönen, sehnsüchtig-warmen Stimme. Die Sängerin, Gitarristin und Songautorin aus Angola weiß einzunehmen mit schwerelosen akustischen Songs - perfekt für 30-Grad-warme Abende.

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Musikalisch sind sich Europa und Afrika wohl sowieso näher als man denkt. Wenn dann noch die Afro-Latin-Rhythmen der kapverdisch-portugiesischen World-Jazzerin Carmen Souza die Betonstufen zu Tanz- und Mitwipp-Brettern machen . . . ist Sommer.

3. Das überschäumend Energiegeladene 

Thees Uhlmann mit Band: 'Ich bin ein hormonelles Wrack.'
Foto: Patty Varasano | Thees Uhlmann mit Band: "Ich bin ein hormonelles Wrack."

Thees Uhlmann hatte 2019 nach fünfjähriger Pause mit "Junkies und Scientologen" endlich wieder ein neues Album vorgestellt, konnte dann gerade noch eine Tour machen, und dann kam Corona. Zwei Jahre ohne Action, ohne Reize von außen. Er erzählt immer noch mit einem Schaudern von dieser Zeit. Auch nach dem Hafensommer-Konzert, das vor allem geprägt war von seiner überschäumenden Energie. Von seinem Glück, endlich wieder auf einer Bühne stehen zu dürfen.

Thees Uhlmann, der Musiker, Dichter und Schriftsteller mit den vielschichtig-hintergründig-verspielt-eingängigen Texten, der den melodischen Gitarrenrock und den Punk liebt und lebt, bewegt sich mit der überschüssigen Kraft eines jungen Labradors zur Musik seiner wunderbaren Band. Sein Gesang ist immer auf dem Punkt, seine Drehungen, Sprünge, Verrenkungen sind es nicht. "Ich bin kein großer Tänzer", lautet irgendwo eine Textzeile. "Das sind die Endorphine", ruft er, "ich bin ein hormonelles Wrack."

Alle seine Texte haben mit ihm selbst zu tun. Mit seinem "ungebrochenen Unverständnis gegenüber der Welt". Mit seiner Liebe zum Leben und zu den Menschen. Mit seiner Neugier, seiner Sehnsucht. Und mit der Vergänglichkeit: Was wird aus Hannover, wenn die Scorpions nicht mehr sind?" Und damit haben die Texte immer auch mit seinen Fans zu tun, die sich in so vielen Aspekten wiedererkennen.

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Danach steht er am Merchandise-Stand und quatscht mit den Leuten. Mit der jungen Frau etwa, die erzählt, dass seine Texte dafür gesorgt hätten, dass sie und ihr Vater eine gemeinsame emotionale Ebene gefunden hätten. Thees verpflichtet sie, den Papa zur nächsten Show mitzubringen. Und es klingt, als meine er es ernst.

So wie es vollkommen ernstgemeint wirkte, als der dem Publikum gegen Ende der Konzerts zugerufen hatte: "Wenn was ist, schreibt mir eine SMS! Ich antworte." Mit Thees Uhlmann möchte man befreundet sein. Es gäbe immer was zu lachen und zu staunen, und er würde einem immer die Wahrheit sagen. An diesem Abend ist es, als wären alle Freunde: die Leute auf der schwimmenden Bühne und die Leute auf der Betontreppe.

4. Das politisch ungebrochen Engagierte

Starkstrommusik: Die kolumbianische Band Doctor Krapula.
Foto: Patty Varasano | Starkstrommusik: Die kolumbianische Band Doctor Krapula.

Ein politischer Doppelabend mit Doctor Krápula aus Bogotá, Kolumbien, und Mal Élevé aus Deutschland: Schnell, hart, laut, engagiert. Doctor Krápula sind für ihre kritischen Texte und ihre linke Gesinnung bekannt. Und für ihre Starkstrommusik, die Ska, Punk, Reggae, Rock und Latino-Elemente zu einer unglaublich vitalen Melange verschmilzt.

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Müsste man ihre Botschaft an einer ihrer Textzeilen festmachen, wäre es vermutlich diese: "Justice and Democracy's a party, but not for everybody" - Gerechtigkeit und Demokratie sind ein Fest, aber nicht für jeden. Allerdings hat dieses Engagement absolut nichts Verbissenes. Leadsänger Mario Muñoz animiert zum Mitsingen und flicht auch schonmal einen kleinen Tanzkurs ein, dem auch die weniger Salsa-Begabten im Publikum mühelos folgen können. Dass der Regen an diesem Abend nur kurze Pausen einlegt, stört niemanden - da sich die Empfindlicheren im eher kleinen Publikum unter das riesenhafte Überdach des Heizkraftwerks geflüchtet haben, ist die Treppe frei zum Tanzen. 

Bad in der Menge und im Regen: Mal Élevé rappt auf der Treppe.
Foto: Patty Varasano | Bad in der Menge und im Regen: Mal Élevé rappt auf der Treppe.

Mal Élevé bedeutet "schlecht erzogen". Der Ex-Frontmann der Band Irie Révoltés, Sohn eines französischen Manouche, also Sinto, singt und rappt seine Überzeugungen, Botschaften und Aufrufe auf Französisch und auf Deutsch. Schlecht erzogen sind weder seine Texte (sieht man vom ein oder anderen Kraftausdruck ab), noch seine Musik. Denn Mal Élevé tut, was eigentlich alle tun sollten: Er ruft auf, das Leben zu genießen, die Erde zu schützen und ausnahmslos alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft zu achten und zu respektieren. 

Das kommt vollkommen ungebrochen und ironiefrei rüber und bei den Fans riesig an. Als Mal Élevé sich dann auch noch mitten unter sie begibt, versinkt die Treppe unter einem riesigen Knäuel hüpfender Menschen, die wirken als wüchsen sie zu einer neuen Form von freundlichem Organismus zusammen.

Die kommende Woche ist ebenso dicht bepackt mit interessanter Musik: Quadro Nuevo, Gankino Circus und Jazzrausch Bigband sind hierzulande bereits recht bekannt. Hinzu kommen unter anderem Minyo Crusaders, Les Yeux D’La Tête, Nils Wülker und Wallis Bird. Näheres und Karten unter www.hafensommer-wuerzburg.de

 
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