Wer Sting bucht, bekommt Sting. Seine Musik, seine Ausstrahlung, seine Show. Anders gesagt: Gordon Matthew Thomas Sumner, Ex-Police-Frontmann, Bassist, Sänger und begnadeter Songwriter, ist eine verlässliche Größe. Wenn nicht gerade eine Pandemie dazwischenkommt. Aber auch zwei Jahre Verspätung können dem Phänomen Sting nichts anhaben. Am Samstag durften sich also endlich jene 15.000 Menschen auf dem Würzburger Residenzplatz einfinden, die ein Ticket für die "My Songs"-Tour ergattert hatten – viele von ihnen schon im Jahr 2019.
Kaum jemand hat sein 2020 gekauftes Ticket zurückzugeben
Gut vorstellbar, dass auch nach den zwei Verschiebungen 2020 und 2021 niemand auf die Idee gekommen wäre, seine Eintrittskarte zurückzugeben. Nicht die Frau, die das Ticket zum 50. Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und auch nicht die beiden Schwestern in den bestens erhaltenen T-Shirts früherer Sting-Tourneen. Sie sind mindestens seit "Mercury Falling" dabei. Das Album kam 1996 raus, die Tour war laut T-Shirt 1999.
Das Publikum ist altermäßig bunt gemischt. Da sind die erwartbaren Boomer und Best Ager – Sting selbst ist schließlich auch schon 70 –, da sind aber auch die jungen Erwachsenen, die vielleicht nicht jedes Album daheim stehen haben (oder in ihrer Mediathek), die aber sehr genau wissen, auf welche Songs sie sich freuen. "Message in a Bottle" etwa, oder "King of Pain". Und da sind die Jugendlichen im Schlepptau ihrer Eltern, die durchaus nicht wirken, als fänden sie es uncool, sich in die gediegeneren Gefilde der Popularmusik zu begeben.
Denn wenn von Sting eines nicht zu erwarten ist, dann sind es Überraschungen. "My Songs" ist eine Zusammenstellung vieler gut abgehangener Hits, in die sich auch Nummern des jüngsten Albums "The Bridge" wie "Rushing Water" oder "If It's Love" sehr organisch einfügen. Die – gepfiffene – Einleitung von "If It's Love" ist einer der wenigen Momente, in denen Sting ein wenig mit dem Publikum schäkert: "Ich habe mein gesamtes deutsches Vokabular aufgebraucht", sagt er auf Englisch. "How do you say – pfeift – whistle?" Viele Tausend machen's vor, und schon läuft der Song.
Joe Sumner: Die charakteristisch tenorale Stimme liegt offenbar in der Familie
Ein Sting-Konzert ist immer perfekt arrangiert, perfekt ausgesteuert und perfekt durchgetimt. Punkt acht betritt Joe Sumner, Stings ältester Sohn, die Bühne und spielt eine halbe Stunde lang zur eigenen Gitarrenbegleitung. Die charakteristisch tenorale Stimme liegt offenbar in der Familie, die Songs selbst stehen eher in Singer-Songwriter- als in der Rocktradition.
Dann Viertelstunde Pause, Auftritt Sting. Ganz ohne Schnickschnack oder Theaterdonner. Schmal, durchtrainiert, orangerotes T-Shirt. Kurzes Anzählen für "Message in a Bottle", und temporeiche, hochkonzentrierte 80 Minuten Hauptprogramm beginnen. "Englishman in New York" (1987), "Shape Of My Heart", "Heavy Cloud But No Rain", "If I Ever Lose My Faith in You", "Fields Of Gold" (alle 1993), "Brand New Day" oder das arabisch inspirierte "Desert Rose" (beide 1999) und die Police-Nummern "Every Little Thing She Does", "So Lonely" oder "Walking On The Moon".
Um 22.05 Uhr – nach dem umjubelten Rausschmeißer "Every Breath You Take" – Verbeugen mit der exzellenten Band, kurzes Abtreten, Zugabenblock. "What do you want", fragt Sting. "Roxanne", lautet die ziemlich einstimmige Antwort. Der Wunsch wird erfüllt, dann noch ein wunderbares "Fragile", und schon ist's vorbei.
Das Publikum erweist sich als enorm melodie- und textsicher
Zurück bleibt zunächst vor allem der Eindruck großer Präzision. Die Songs reihen sich oft direkt aneinander. Kein Ton zu viel, kein Ton zu wenig. Die Soli von Langzeitpartner Dominic Miller an der Gitarre oder die Harmonika-Einlagen von Shane Sager – alles genau auf dem Punkt. Mitsing- und Mitklatsch-Sequenzen sind genau choreografiert, wobei sich das Publikum als enorm melodie- und textsicher erweist. Zwei Emotionen scheinen vor allem im Bereich direkt vor der Bühne vorzuherrschen: Pures Glück und fast meditative Andacht.
"Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Sting-Songs kenne", postet eine Besucherin auf Facebook. Vielleicht ist es eine Bürde, so viele unglaublich gute, zeitlose Songs geschrieben zu haben. Und es gäbe ja noch einige mehr. Aber Sting, einer der wenigen verbliebenen Weltstars des Rock, schafft es scheinbar mühelos, sich selbst vor musealer Erstarrung zu bewahren. Dennoch: Ein bisschen mehr Ungeplantes, ein bisschen mehr Improvisation, ein bisschen mehr Spontaneität hätten aus einem sehr, sehr, sehr guten Konzert ein sensationelles Konzert gemacht.
Einen Song hat Sting übrigens nicht gespielt: "Russians" aus dem Jahr 1985, als der Kalte Krieg am kältesten war. Darin begründet Sting seine Sehnsucht nach Frieden mit einem sehr menschlichen Gedanken: "I hope the Russians love their children too" – Ich hoffe, auch die Russen lieben ihre Kinder. Selten hat die Geschichte eine Hoffnung so grausam widerlegt.
über die länge könnte man streiten, muss man aber nicht.
ich bin froh dabei gewesen zu sein.
danke sting.
Dass Sting aber nach 1 Stunde und 15 Minuten meinte, dass es genug sei und eine viertel Stunde später ganz Schluss war, fanden viele weniger prickelnd.
Gibt man dafür so viel Geld aus, dass man so kurz abgefertigt wird?