Fünf Jahre nicht gesungen (so auch ein Songtitel), dann endlich eine neue Platte rausgebracht ("Junkies und Scientologen") - und dann kam Corona. Ideal war das Timing für Thees Uhlmann nicht. Aber er habe Glück gehabt, erzählt der Musiker und Autor, der einst mit der Band Tomte entscheidenden Anteil daran hatte, dass deutsche Texte in der Popmusik nicht peinlich sein müssen: "Wir konnten noch eine große Tour machen, bevor erstmal Schluss war." Nun geht wieder was, am Mittwoch, 27. Juli, spielt Thees Uhlmann mit Band beim Würzburger Hafensommer.
Thees Uhlmann: Es war schon happig. Aber meine 15-jährige Tochter hat es super geschafft, ihre Schule hat es richtig gut gemacht. Da hört man ja häufig was anderes. Ich selbst habe Mandoline spielen gelernt und ein wenig Pflanzenzucht betrieben – das ist nicht haschischmäßig gemeint, sondern hier steht jetzt eben eine große grüne Pflanze.
Uhlmann: Für mich war die Zeit alles andere als glamourös. Es ist einfach nichts passiert, außer dass alle ängstlich waren, und das mit gutem Grund. Deshalb habe ich auch keine neue Platte angefangen oder ein neues Buch. Um kreativ zu arbeiten, brauche ich die Action draußen. Wir haben in Hamburg ein Streaming-Konzert gespielt und hatten dann einen Zettel von der Polizei, auf dem stand: "Diese jungen Musiker dürfen sich nach 22 Uhr auf der Straße bewegen". Sich durch Hamburg zu bewegen, während kein einziger Mensch auf der Straße ist, nicht mal auf St. Pauli – das war gruselig. Ich wollte ja keinen Zombie-Roman schreiben.
Uhlmann: Ich bin jetzt seit 48 Jahren am Leben. Früher waren die Schocker, dass das Space-Shuttle explodiert ist. Oder 9/11, der Angriff auf die USA. Aber dass zwei weltumspannende Tragödien eintreten wie die Pandemie und ein europäischer Krieg – da kann ich im Moment noch gar keine Analyse abgeben. Wenn ich am Berliner Hauptbahnhof vorbeikomme und all die Mütter mit ihren Kindern aus der Ukraine sehe, die versuchen, hier anzukommen, da merke ich: Mit 30 war ich noch nicht so nah am Sentiment gebaut wie heute, vor allem als Vater einer 15-jährigen Tochter. Das wird plötzlich alles so real: Früher hat man auf sein Kind aufgepasst, weil es noch nicht richtig laufen konnte, heute denke ich, Mensch, ich hoffe, Du hast ein gutes Leben!
Uhlmann: Krass, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Würde man heute auch nicht mehr so schreiben. In den Achtzigern, als ich großgeworden bin, ging es um die totale Vernichtung der Welt, heute ist es ein europäischer Krieg, den niemand mehr für möglich gehalten hätte.
Uhlmann: Ich mache inzwischen so lange Musik, ich weiß, wenn ich einen Song selber super finde, ihn aber anderen nicht vorspielen mag, dann kann es gut sein, dass er doch nicht so toll ist. Wie wenn man was gekocht hat und in die Runde guckt und sagt: Schmeckt, ne?! Die neuen Songs habe ich ja zusammen mit Simon Frontzek und Rudi Maier aus der Band geschrieben. Die sind sehr gute Bullshit-Detektoren. Die meinten: Thees, Du musst viel mehr so schreiben, wie Du eigentlich bist.
Uhlmann: Ja. Nein. Ich habe Lust, so zu texten und zu singen, dass andere sagen können: "Guckma, genau wie ich." Ich weiß, es gibt Opel-Familien, und es gibt Audi-Familien. Diese Erinnerung habe ich in einen einzigen Satz reingeknallt. Sowas bringt mir Spaß! Man kann darüber eine soziologische Abhandlung schreiben, man kann aber auch schreiben: "Ich kam auf die Welt in einem Kadett." Zack! Vielleicht ist das doch das Springsteenhafte: Wie kann ich ein Leben in Westdeutschland erklären? Da kommt man dann auf solche Sachen. Die Bilder, die alle drinhaben, die finde ich interessant.
Uhlmann: Es ist schön, dass es ein Lied wie "Give Peace a Chance" gibt. Ich finde es in Ordnung, wenn Künstlerinnen und Künstler einem Drang nachgeben, sich politisch zu äußern. Aber ganz häufig ist es Selbstbetrug, wenn Künstler glauben, sie haben der Welt einen Dienst erwiesen, weil sie ein politisches Lied geschrieben haben. Im besten Falle ist es moralische Eigenwerbung, und das mag ich nicht.
Uhlmann: Das ist total in Ordnung. Man gibt sich ja auch Mühe, dass die Leute das schön finden. Aber nicht kitschig schön, sondern mit einer Narbe schön. Aber die Leute können sicher sein, dass ich nie angefangen habe, einen Song zu schreiben, weil ich dachte: Oah! Ist das schön! Die Leute möchten alle zu dem schönen kleinen Italiener um die Ecke. Ich möchte da nicht hin, da ist es mir zu schön. Was natürlich höchst neurotisch ist, aber so ist es eben.
Uhlmann: Ich glaube, ich habe mehr Verständnis für den menschlichen Makel als für die menschliche Dummheit. Ich habe eine Empathie für Leute, aber keine für Dummheit. Mich interessieren die Extreme, die Sachen, von denen eben nicht jeder sagt, das ist doch klar. Und damit stehe ich in meiner Branche ziemlich allein da. Aber das ist überhaupt nicht schlimm.
Der Würzburger Hafensommer findet vom 22. Juli bis 7. August statt. Es treten unter anderem auf das Philharmonische Orchester Würzburg, Anna Depenbusch, Thees Uhlmann, Max Herre, Quadro Nuevo, Gankino Circus, Les Yeux d’la tête oder Nils Wülker. Erstmals sind auch die "Songs an einem Sommerabend" in den Hafensommer integriert (30. Juli). Karten: hafensommer-wuerzburg.de oder Tel. (01806) 050 400