
Ein Türsteher, der Museumswärter wird, weil ihm die Messerstechereien vor den Clubs zu gefährlich werden. Eine Künstlerin, die ein Kunstwerk schafft, nur um es zerstören zu lassen. Ein Haufen schicker Kunstschnösel und ein Haufen bigotter Spinner: In Nick Hornbys Stück "Nipplejesus" kommen jede Menge Leute vor, aber nur eine Figur: Dave, 38, der vorgeblich einfach gestrickte Schrank von einem Mann, der keinerlei Ausbildung geschweige denn Bildung hat.
Ein einstündiger Monolog ohne Pause, witzig, überraschend, spannend und sogar ein wenig verstörend – "Nipplejesus" ist wie gemacht für Theater unter Corona-Bedingungen. Und das mit Bildern vollgehängte Foyer des Torturmtheaters in Sommerhausen (Lkr. Würzburg) ist wie gemacht für dieses Stück. Am Donnerstag hatte es Premiere. In der Regie von Ercan Karacayli, der hier unter anderem "Die Mitwisser" inszeniert hatte, und mit Patrick Pinheiro als Dave.
Dave ist ein aufrechter, mitfühlender Mann mit Prinzipien
Dave erzählt, wie es ihn in die Galerie verschlagen hat, in der er eine kontroverse Jesus-Darstellung bewachen soll: Geht man nah genug ran, sieht man, dass sie aus unzähligen kleinen Quadraten zusammengesetzt ist: ausgeschnittenen Fotos von weiblichen Brustwarzen. Kleine, große, helle, dunkle Brustwarzen. "Nipplejesus" eben. Sicher ist Dave der Name Chuck Close kein Begriff, aber ganz so ahnungslos ist er nicht: "Kennt ihr diese Bilder, die aus ganz vielen kleinen Punkten gemacht sind?"

Patrick Pinheiro, groß, schlank, gut aussehend, gibt seinem kantigen, tätowierten Dave eine positive Grundenergie mit. Die Bereitschaft, sich eigene Gedanken zu machen, sich auf Unbekanntes einzulassen. Das macht die Figur weitaus interessanter, als ließen Pinheiro und Karacayli sie eine Entwicklung von der Dumpfbacke zum Selfmade-Kunstexperten durchlaufen. Dave ist ein aufrechter, mitfühlender Mann, der es geschafft hat, sein gesellschaftliches Versagen nicht in einen destruktiven Minderwertigkeitskomplex münden zu lassen. Der wenig Aufhebens um seine Prinzipien macht, aber eben welche hat.
Nick Hornby spielt den Idealfall einer Kunstbetrachtung durch
Mit der Zeit freundet er sich mit "seinem" Bild an. Als er die Künstlerin Martha kennenlernt, ist er ein wenig verknallt, als das Bild trotz all seiner Bemühungen dann doch zerstört wird, ist er am Boden zerstört. Aber als sich herausstellt, dass die Zerstörung von Anfang an eingeplant war (Banksy lässt grüßen), dass der Mitschnitt der Überwachungskamera das eigentliche Kunstwerk ist, dass auch er von Anfang an Teil einer Inszenierung war, da ist er enttäuscht.
Nick Hornby spielt, wenn man so will, den Idealfall einer Kunstbetrachtung durch. Daves Auseinandersetzung mit "Nipplejesus" ist alles, was sich die Künstlerin nur wünschen kann. Aber das reicht ihr nicht. Sie will ein Vorurteil bestätigt bekommen, und die bigotten Eiferer tun ihr den Gefallen. Nicht übermäßig spannend, das erkennt sogar Dave.
Quasi aus Versehen aber wirft Martha eine weit interessantere Frage auf: Wem gehört ein Kunstwerk letztendlich? Dem Künstler? Dem, der es kauft? Oder dem, der es versteht, der es in sein Leben, seine Fantasie, sein Herz aufnimmt? Natürlich gibt es das Konzept des physischen und des geistigen Eigentums. Aber Dave zeigt: Es gibt eine Form tieferen Eigentums.
Am Ende läuft der Film von der Zerstörung unbeachtet im Gang. Und Dave bewacht das – völlig unkontroverse – Bild einer Zwiebel: "Was soll man über eine Zwiebel schon groß nachdenken?"
Nivk Hornby, "Nipplejesus", Torturmtheater Sommerhausen, bis 9.Juli, immer Di. bis Fr., 20 Uhr, Sa. 16.30 und 19 Uhr. Außerdem 24. bis 28. November, 8. bis 12. Dezember.
Kartenbestellung Di. bis Sa. ab 16 Uhr, (09333) 268. E-Mail: kartenbestellung@torturmtheater.de