Wann dieses Programm in den Zugaben-Teil übergegangen ist? Vielleicht, als Konstantin Wecker die Menge auffordert, mit ihm sein anarchistisches Bekenntnis zu intonieren. Und sich mehr als 1000 Leute im Park von Kloster Himmelspfortenerheben und zur berühmten Schlusssatz-Melodie aus Beethovens Neunter - "lasst uns jetzt zusammenstehen" - erst leise, dann lauter davon singen, den Parolen keine Chance zu geben. Als sei es gewollt, bricht just in diesem Moment wieder die Abendsonne durch die regengrauen Wolken.
Vielleicht beginnen die Zugaben nach dem Titellied "Entzündet vom Weltenbrand", das Wecker "dem heißgeliebten Rilke gewidmet" hat und zu dem der Hornist das große Alphorn auf die Bühne holt und geradezu sinfonisch bläst für den großen Gesang.
Zugabe oder nicht? Bei Konstantin Wecker geht eins in eins in eins.
Vielleicht beginnen die Zugaben, als Konstantin Wecker die Geigerin Angelina auf die Bühne holt. Die junge Ukrainerin war 2015 eine der ersten gewesen, die im solidarischen Würzburger (Flüchtlings-)Projekt "Willkommen mit Musik" Unterricht bekamen. Und bei "Caruso", dem weltberühmten Lied von Lucio Dalla (1943-2012), verstärkt Angelina die Streicherfraktion für noch ein bisschen mehr Schmelz.
Ganz sicher ist es eine Zugabe, als sich Wecker nach fast schon drei Stunden netto noch mal an den Flügel setzt und mit Pianist Jo Barnikel einen musikalischen Medley-Wettstreit liefert - mit Mozart, Sirtaki und dem volksliedberühmten "Männlein", das im Walde steht. Und ganz sicher gehört es zum Extra nach dem neuen "Weltenbrand"-Programm, dass irgendwann auch die Vögel des Klosterparks lautstark mitsingen und tirilieren. Die Schwalben drehen schreiend ihre Schleifen, die Amseln zwitschern, die Nachtigall fällt mit ein. "Unglaublich", sagt der gerade 72 gewordene Liedermacher entzückt. "Die hören das alles." Eine Krähe krächzt just da offensichtlich Zustimmung.
Es ist eine Besonderheit der diesjährigen Würzburger "Songs an einem Sommerabend", dass es am Sonntag noch ein Extra, ein Sonderkonzert mit Konstantin Wecker gibt. Der Musiker, der ganz hörbar nicht müde wird und immer noch brennt, auch wenn er mal eine Strophe vergisst, hatte Veranstalter Ado Schlier gefragt, ob nicht nach Himmelspforten auch der "Weltenbrand" passe.
Gerade erst hatte das neue "Opus" des Liedermachers und des Kammerorchesters der Bayerischen Philharmonie Premiere, in Würzburg präsentieren sie die Klassiker, Liebesballaden, anarchistischen Weckrufe und politische Statements zum zweiten Mal. Ein bisschen scheint dieses Werk beliebig –früh am Abend gibt's beispielsweise ein Schlaflied . . . Aber egal, Wecker geht damit auf eine Art Comeback-Tour. Die Lyrik von Brecht, Mühsam und Rilke, der er in seiner Jugend begegnete, die Musik der italienischen Oper, die ihn früh verzauberte, die eigenen Lieder und politischen Appelle, die er vor 30, 40 Jahren schon schrieb . . .
Alte Lieder, alte Manifeste - frisch und mit Orchesterschwung arrangiert
Alles frisch, alles wie neu und noch immer gültig. Und mit dem kleinen Orchester – zwölf Musiker aus neun Nationen! – mal rasant, mal rockig, mal sinnlich, mal tänzerisch, mal mächtig und wuchtig arrangiert. Ob es ein gutes Zeichen ist, dass die Hymnen von einer herrschaftsfreien Welt, Weckers Aufruf zu Widerstand gegen Faschismus, Intoleranz und politischen Wahnsinn – geschrieben 40 Jahre vor "Fridays for Future" – so aktuell sind wie eh? Und manchmal – siehe Umweltzerstörung und Klimawandel – noch aktueller?
Das Establishment, sagt Wecker, habe wohl "Angst vor einem neuen, modernen '68". Macht weiter sein Ding. Und sagt singend, spielend, in Orchesterklängen badend: "Zeit für Greta! Die Welt muss weiblicher werden!" Die Vögel von den Würzburger Mainwiesen haben nichts dagegen.