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WÜRZBURG
Wie ein Ensemble entsteht, Teil 3: Choreografie mit Eigenleben
Dominique Dumais pendelt zwischen Zuschauerraum und Bühne, wo sie den Tänzerinnen zeigt, wie sie sich eine Bewegung vorstellt. Hier sind es Clara Thierry, Anna Jirmanova, Viola Daus und Katherina Nakui.
Foto: Thomas Obermeier | Dominique Dumais pendelt zwischen Zuschauerraum und Bühne, wo sie den Tänzerinnen zeigt, wie sie sich eine Bewegung vorstellt. Hier sind es Clara Thierry, Anna Jirmanova, Viola Daus und Katherina Nakui.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:03 Uhr

Großes Haus, eine der letzten Bühnenproben zu „Chansons“, zwei Tage vor der Premiere. Im Saal ist es hell, die Compagnie probt bei Arbeitslicht, die zwölf Tänzerinnen und Tänzer tragen Jogginghosen, Leggings, Hoodies oder Holzfällerhemden. Die Atmosphäre ist ruhig, es wird leise gesprochen, nicht mehr als das Nötigste. Es ist keine Hektik zu spüren, keine Nervosität. Nur eine Art heiterer Konzentration.

Dominique Dumais, neue Ballettchefin am Mainfranken Theater Würzburg und Schöpferin der Choreografie, die an diesem Samstag die erste Spielzeitpremiere sein wird, lässt einzelne Chansons anspielen, prüft genau, was sie sieht, unterbricht, korrigiert, eilt selbst auf die Bühne, macht vor, schlägt vor, ändert, lobt, ermutigt, fasst zusammen und eilt wieder zurück in den Saal, wo das Regieteam seinen Stützpunkt aufgebaut hat.

Puzzlestücke, die erst später zusammengesetzt werden

Für den Probenbesucher ist kaum der Zusammenhang des Stücks erkennbar, das sich in zwei Akten zu 25 Chansons etwa von Jeanne Moreau, Jeff Buckley, Carla Bruni, Léo Ferré, Grace Jones (mit „La vie en rose“ von Edith Piaf), Francis Cabrel, Nina Simone, Barbara, Leonard Cohen und natürlich Jacques Brel abspielen wird. Was gerade passiert, wirkt eher wie die akribische Arbeit an vielen kleinen Puzzlestücken, die erst irgendwann später zusammengesetzt werden. Bis dahin: Immer wieder die (Selbst-)Befragung der Choreografin – ist es das, was ich sehen will, verstehe ich es, versteht es der Zuschauer, nehme ich es den Tänzern ab, nehmen die Tänzer es sich selbst ab?

Dominique Dumais dirigiert die Compagnie. Rechts Ballettmeister Marius Krisan.
Foto: Thomas Obermeier | Dominique Dumais dirigiert die Compagnie. Rechts Ballettmeister Marius Krisan.

Das Interessante selbst für den Außenstehenden: Wo zu Beginn der Arbeit vor einigen Wochen immer wieder einzelne Mitglieder der komplett neu zusammengestellten Truppe abseits standen, vielleicht ein wenig orientierungslos, ohne Kontakt oder Einbindung, ist eine Art Organismus entstanden. Er besteht zwar aus Individuen. Diese bewegen sich aber – zumindest auf der Bühne – immer, als hielten geheimnisvolle Kräfte sie beieinander. „Es ist großartig, wieviel Gemeinschaftsgefühl schon da ist“, sagt Dumais. „Vielleicht sind wir alle noch in der Flitterwochen-Phase, aber alle arbeiten wunderbar zusammen, helfen einander aus und sind mit Spaß bei der Arbeit.“

Die Choreografie fordert den Zusammenhalt

Die Choreografie fordert diesen Zusammenhalt einerseits, aus schlicht choreografischen Gründen, bei den vielen Hebefiguren etwa. Andererseits scheint sie ihn auf natürliche Art zu befeuern. Immer wieder stellt Dumais Dualitäten und Kontraste her – zwischen Masse und Einzelnem, zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Einsamkeit und Geborgenheit. Oft sagt sie Sätze wie „dies schiebt dich nach vorne und dies bringt dich zum Stehen“. Oder: „Das ist wie ein Magnet, der dich anzieht.“

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Die geheimnisvollen Kräfte, die die Gruppe beieinander halten, wirken offensichtlich auch auf den Einzelnen. Dominique Dumais sieht die Tänzer aber nicht als Puppen oder gar Marionetten ihres eigenen Ausdruckswillens. „Ich will zeigen, dass sie selbst Teil der Natur sind. Dass deren Kräfte jenseits ihres Bewusstseins und ihrer Entscheidungen in ihnen wirken. Dass sie sich den Elementen nicht unterwerfen, sondern zu ihnen gehören.“

Winzige Korrekturen mit großer Wirkung

Was auffällt: Diese Compagnie besteht – im Gegensatz zu manch anderer – aus Tänzerinnen und Tänzern deutlich unterschiedlicher Statur, es gibt größere und kleinere, schmälere und breitere. „Wir haben das bei der Zusammenstellung nicht absichtlich gemacht. Aber ich will einfach nicht, dass die Leute alle gleich aussehen“, sagt Dominique Dumais. „Natürlich müssen sie alle in Topform sein und die Technik beherrschen, aber Gleichheit als solche ist einfach uninteressant.“

Oft geht es um winzige Korrekturen. Die aber in den Augen der Choreografen Dominique Dumais und Kevin O'Day großen Unterschied machen. Mitunter kann das der Laie nachvollziehen – wenn etwa ein Bein während einer Drehung einen Hauch länger in der Luft bleibt, kommt der ganze Körper anders aus einer Figur heraus. Was wiederum Einfluss auf die nächste Figur oder die nächste Szene hat. Wenn dann der Moment da ist, in dem alles passt, geht ein kollektives Nicken der Selbstbestätigung durch die Compagnie, und Dominique Dumais nimmt das nächste Detail unter die Lupe.

Auch die Choreografie selbst muss sich verändern

Hin und wieder verändert Dumais auch die Choreografie als solche. „Manches wirkt auf der Bühne anders als im Probensaal oder anders als auf anderen Bühnen. Darauf müssen wir reagieren. Das ist, als hätte das Stück ein Eigenleben.“ Im letzten Chanson des Abends etwa bildet die Truppe einen Pulk, der sich kollektiv vorwärtsbewegt, bis ein Tänzer, in diesem Fall Tyrel Larson, ausschert. Bislang tat er das nach rechts, doch Dumais will, dass er nun zur anderen Seite geht – „ihr müsst ihm jetzt nach links einen Durchgang freimachen“.

In einer anderen Szene springt Anna Jirmanova Tyrel Larson von hinten an und bleibt an seinen Rücken geklammert. Das Team diskutiert Anlauf, Flugphase und Landung. Tyrel schlägt vor, Anna könnte mehr von oben landen, was eine steilere Flugparabel erfordert. Und etliche Probeflüge, bis alle zufrieden sind.

„Chansons“: Ballett von Dominique Dumais, Mainfranken Theater Würzburg, Premiere Samstag, 29. September, 19.30 Uhr. Karten: Tel. (09 31) 390 8-124 oder karten@mainfrankentheater.de

 
 
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