
Was machen Schauspielerinnen und Schauspieler, wenn sie nicht spielen können, weil der Theaterneubau immer noch nicht spielbereit ist? Sie singen. Und sprechen. Und spielen. Und sie bescheren den Zuhörerinnen und Zuschauern ein großartiges Theatererlebnis.
"Sehnsuchtswild!" ist Titel dieses etwas anderen Liederabends in der Theaterfabrik Blaue Halle, den Intendant Markus Trabusch mit dem nahezu vollständigen Sprechtheater-Ensemble und einer vierköpfigen Live-Band inszeniert hat. So war die begeistert gefeierte Premiere ein doppeltes Signal nach Innen und nach Außen: für den Zusammenhalt eines leidgeprüften Ensembles und als Beweis seiner künstlerischen Kreativität und Stärke.

Entstanden war die Idee zu diesem Programm nach dem zweiten Corona-Lockdown. "Sehnsuchtswild!" verkörpert die Sehnsucht nach dem Ende der sozialen Vereinzelung und der Rückkehr zu einem freien, wilden, ja exzessiven, gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Leben. In den insgesamt 30 Songs aus allen Sparten der zeitgenössischen Pop-Kultur und den selbstgeschriebenen Geschichten entfaltet sich ein gleichermaßen intimer wie intensiver Abend mit hohem Unterhaltungswert.
Ensemblemitglieder zeigen ihre private Seite
Denn so unterschiedlich die Charaktere im Ensemble sind, so verschieden sind die Erfahrungen mit der Isolation und die Strategien ihrer Verarbeitung. Wir lernen die Ensemblemitglieder von ihrer ganz privaten Seite kennen, werden Ohrenzeugen von Krankheitsgeschichten, von Trennungen, von Lebenskrisen und Existenzängsten, aber auch von Aufbruchsstimmung, vom Mut zur Veränderung, von der Hoffnung auf einen Neubeginn.
Verbunden werden sie alle von der großen Sehnsucht, endlich wieder gemeinsam auf einer richtigen Theaterbühne stehen zu können, in Kontakt mit dem Publikum zu kommen, sich über deren Reaktionen zu ärgern oder sich mit ihm zu verbünden. Und natürlich ist Intendant Markus Trabusch so souverän, dass er auch die ironischen und kritischen Anmerkungen zur "ewigen Baustelle" und dem scheinbar endlosen Warten auf die Inbetriebnahme des Kleinen Hauses zulässt.

Zusammengehalten wird der Abend vor allem durch die nahezu nahtlos ineinander übergehende Songfolge. Die musikalische Bandbreite reicht dabei von Henry Purcell bis Nina Hagen, von Element of Crime bis Anna Depenbusch, von Stephan Eicher bis Falco, von Frank Sinatra bis Jan Delay, von Franz Schubert bis Radiohead - um nur einige der Komponisten und Liedermacher zu nennen. Jedes Lied erklingt in einer individuellen Interpretation und verströmt dabei so viel Leidenschaft und Herzblut, oftmals mehr als das "Original".
14 Akteure warten auf ihren Auftritt
An sechs weißen, quadratischen, locker im Raum verteilten Tischen, warten Deborah Barbieri, Julia Baukus, Hannes Berg, Raban Bieling, Cedric von Borries, Sina Dresp, Matthias Fuchs, Nils van der Horst, Thomas Klenk, Martin Liema, Nina Mohr, Anselm Müllerschön, Jojo Rösler und Isabella Szendzielorz auf ihren Auftritt, sie gesellen sich zueinander, treten mal von hinten oder der Seite auf, bewegen sich mal durch den Zuschauerraum oder singen aus dem Off.
Elisabeth Markgraf, Verena Salome Bisle, Catharina Bornemann und Feng Li haben dafür die perfekte Choreografie und die stimmige Bühnen- und Kostümausstattung geschaffen. Ganz am linken vorderen Bühnenrand platziert sind die vier Musiker, die ihre Herkulesaufgabe, den Charakter der völlig unterschiedlichen Songs zu bewahren und trotzdem zu einem harmonischen Ganzen zu fügen, mit Bravour meistern.
Ein in jeder Hinsicht gelungener Abend
Es ist schlicht sensationell, wie entspannt und konzentriert Tobias Schirmer (Schlagzeug), Lorenz Huber (Bass), Jieun Baek (Klavier) und Bandleader Adrian Sieber (Gitarre und Arrangements) durch den in jeder Hinsicht gelungenen Abend führen, in dem garantiert jeder Zuschauer für sich sein Lieblingslied oder seine Lieblings-Interpretation finden wird.
Nächste Vorstellungen: 21., 22. Okt., 3. und 11. Nov, jeweils 19.30 Uhr, sowie am 23. Okt. und 20. Nov., jeweils 18 (!) Uhr