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Würzburg
Was halten unsere Ohren aus, was finden wir schön? Das Mozartfest fragt nach dem Fremden in der Musik
Mitteleuropäer neigen dazu, ihre Musik als die einzig erträgliche anzusehen. Doch für Menschen aus der arabischen Welt können westliche Töne auch ganz schön schräg klingen.
Salah Eddin Maraqa an der Kanun. Die einzelnen Töne können bis zu zwölfmal unterteilt werden - für westliche Ohren klingt das höchst ungewohnt. 
Foto: Mathias Wiedemann | Salah Eddin Maraqa an der Kanun. Die einzelnen Töne können bis zu zwölfmal unterteilt werden - für westliche Ohren klingt das höchst ungewohnt. 
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:52 Uhr

Wann empfinden wir etwas als fremd? Und wie gehen wir mit dem Gefühl von Fremdheit um? "Bei der Wahl des Urlaubsorts funktioniert das ganz gut, aber wie ist es mit der Musik?", fragte Katharina Strein, Geschäftsführerin des Mozartfests, zu Beginn des zweiten "Allzeit"-Termins des diesjährigen Festivals in der Vinothek des Staatlichen Hofkellers.

Geladen war der deutsch-jordanische Musiker und Ethnomusikologe Dr. Salah Eddin Maraqa. Sein Auftrag an diesem Abend war es gewissermaßen, eine Aussage von Leopold Mozart an der Gegenwart zu messen. Leopold Mozart hatte seinem Sohn Wolfgang Amadé 1780 in einem Brief berichtet, dass die Musiker der Münchner Hofkapelle bei den Proben zu dessen Oper "Idomeneo" ganz begeistert gewesen wären: Alles sei so neu und fremd und genau deshalb die schönste Musik, die sie je gehört hätten.

Fremdheit als Abweichung vom Vertrauten kann zu Angst und Aggression führen

Das Neue und Fremde als Gradmesser für Schönheit? "Ich würde das nicht unbedingt als Maxime übernehmen", sagt Maraqa und präzisiert, was zu Mozarts Zeiten als "fremd" bezeichnet wurde: das Neue, das Innovative. Heute wiederum werde Fremdheit als Abweichung vom Vertrauten wahrgenommen. "Das Gefühl entsteht durch Fixiertheit auf die eigene Kultur. Es kann Angst und Aggressivität hervorrufen, aber auch Interesse und Sehnsucht." 

Fremdheit ist immer eine Frage der Perspektive. Während in der westlichen Kultur eher das Andere, also etwa der Neuankömmling, der Migrant als fremd wahrgenommen werde, sei es in der arabischen Kultur genau umgekehrt: "Fremdheit ist das eigene Gefühl in einer fremden Umgebung. Ich bezeichne mich als fremd."

Wenn Mozart "orientalisch" komponierte, ging das nicht auf erlebte Vorbilder zurück

Von Mozart ist überliefert, dass er sich auf seinen vielen Reisen immer für das Andere, das Fremde interessiert hat. Dass auch ihn die Sehnsucht nach dem Orient erfasste, die im Zuge der Aufklärung in Europa aufgekommen war. Viel in Kontakt mit außereuropäischer Musik dürfte er allerdings nicht gekommen sein, dazu war schlicht noch zu wenig von der Welt jenseits seines Horizonts bekannt.

Wenn Mozart "orientalisch" komponierte, etwa in der Ouvertüre zur "Entführung aus dem Serail", dann hatte das wenig mit tatsächlich erlebter fremder Musik zu tun. Salah Eddin Maraqa stellt kurz das Projekt "Mozart in Egypt" vor, das versuchte, eine Verbindung zwischen beiden Welten zu schaffen. Doch viel mehr als eine Gegenüberstellung und teilweise klangliche Vermischung, etwa mit orientalischen Instrumenten plus Orchester, fand darin nicht statt. Will sagen: Ganz so einfach ist es auch wieder nicht.

In der arabischen Musik spielt Harmonik keine Rolle

Als Musiker arbeitet Maraqa an unterschiedlichsten Crossover-Projekten mit, in denen arabische Musik auf Jazz und viele andere westliche Stile trifft. Er selbst spielt die Kanun, eine Zither, die zwar diatonisch gestimmt ist, deren Einzeltöne sich aber in bis zu zwölf Untertöne teilen lassen. In der arabischen Musik spielt Harmonik keine Rolle. Melodien orientieren sich nicht an Tonarten oder Skalen, sondern umkreisen einen zentralen Ton, der als eine Art Gravitationszentrum fungiert. Viertel- oder gar Achteltöne, die sich in Akkorden entschieden störend ausnehmen würden, haben hin- oder weiterführende Funktion.

Salah Eddin Maraqa (rechts) studierte und musizierte auch eine Weile in Würzburg. Hier ist er 2012 nach einem Konzert mit (von links) Netsanet Mulugeta, Navid Zabihi, Michael Ehlers und Muchtar Al Ghusain zu sehen.
Foto: Archivfoto Andreas Jungbauer | Salah Eddin Maraqa (rechts) studierte und musizierte auch eine Weile in Würzburg. Hier ist er 2012 nach einem Konzert mit (von links) Netsanet Mulugeta, Navid Zabihi, Michael Ehlers und Muchtar Al Ghusain zu sehen.

Eine Tradition, die bei den Menschen ganz andere Hörgewohnheiten verankert, weswegen in der arabischen Welt musikalische Annäherungen an den Westen, etwa in Filmmusiken, schnell auf harsche Kritik stoßen. Für westliche Ohren wiederum klingen Töne, die kleiner als ein Halbton sind, verstimmt oder sogar "unsauber".

Nichtsdestotrotz, so Malaqa, finden heute Begegnung, Austausch und Vermischung auf unzählige Arten statt: durch Migration und Medien, auf Festivals. Die Resultate mögen noch nicht in den allgemeinen Hörgebrauch der Menschen übergegangen sein, aber auf künstlerischer Ebene hat ein Prozess längst begonnen, wie ihn sich auch Isabel Mundry, Artiste étoile dieses Mozartfests wünscht: "Wir brauchen viele Musikgeschichten, um die Gegenwart zu verstehen."

 
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