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Würzburg
Warum tun wir uns so schwer mit Neuer Musik? Das müsste nicht sein – das Würzburger Mozartfest hilft weiter
Viele Menschen haben Angst vor neuen Klängen, obwohl sie kaum je welche hören. Ausgerechnet das Mozartfest, das bis 1990 nur Mozart spielte, wagt jetzt die Konfrontation.
'Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass man darunter leiden könnte': Isabel Mundry über die Reaktion eines Hörers auf ein 'harmloses' Stück von ihr.
Foto: Dita Vollmond | "Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass man darunter leiden könnte": Isabel Mundry über die Reaktion eines Hörers auf ein "harmloses" Stück von ihr.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:53 Uhr

Der Komponist John Cage (1912-1992) ist selbst Leuten, die selten mit Neuer Musik zu tun haben, vor allem für ein Stück bekannt: 4'33'' aus dem Jahr 1952. Es passiert 4 Minuten und 33 Sekunden – nichts. John Cage, einer der wichtigsten Denker zum Thema Musik nicht nur des 20. Jahrhunderts, ist übrigens auch für seinen Humor berühmt, legendär sein Gruß "Happy New Ears".

"Neues hören und neues Hören" ist ein zentrales Anliegen des Mozartfests 2022, das erstmals eine – lebende – Komponistin als Artiste étoile präsentiert: Isabel Mundry, Jahrgang 1963. Bedenkt man, dass bis 1990 hier ausschließlich Mozart gespielt wurde, und schon die Einführung von Haydn eine Revolution war, ein bemerkenswerter Schritt. Zentraler Ort für zentrale Anliegen des Mozartfests ist seit einigen Jahren das MozartLabor im Exerzitienhaus Himmelspforten, in dem auch diesmal vier Tage lang Künstlerinnen, Wissenschaftler, Stipendiatinnen und Musiker in Workshops, Podien und Think Tanks diskutierten, probten und präsentierten. Wichtigster Arbeitsbegriff dabei: Freiheit.

Hier einige Einblicke in die Laborarbeit – und Antworten auf Fragen zur Neuen Musik:

Was ist das überhaupt – Musik?

Die Komponistinnen und Komponisten des Think Tanks beim Mozartlabor (von links): Jakob Stillmark, Philipp Christoph Mayer, Faidra Chafta Douka, Mauro Hertig, Ricardo Schermann Eizirik, Isabel Mundry.
Foto: Mathias Wiedemann | Die Komponistinnen und Komponisten des Think Tanks beim Mozartlabor (von links): Jakob Stillmark, Philipp Christoph Mayer, Faidra Chafta Douka, Mauro Hertig, Ricardo Schermann Eizirik, Isabel Mundry.

Wenn Diskussionen in die Tiefe gehen, landen sie meist bei den grundsätzlichen Fragen. Musik im künstlerischen Sinne kann heute alles sein – von der totalen Stille (siehe oben) bis hin zum reinen Krach. Kompositionsregeln gibt es schon lange keine mehr, deshalb entwickeln Künstlerinnen und Künstler eigene Systeme. Die griechische Komponistin und Stipendiatin Faidra Chafta Douka etwa hat ein Stück für Kontrabass solo geschrieben, in dem es nicht um den Klang geht, sondern um die Bewegungen des Bassisten. Dafür hat sie eigene Piktogramme entwickelt, der Ton, der dadurch entsteht, ist sozusagen zweitranging. Der Brasilianer Ricardo Eizirik wiederum lehnt die Konzertsituation komplett ab. Er lässt in der Performance "Fuse Piece" die Flammen von Zündschnüren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf eine Box zulaufen – für das Publikum eine ziemlich angespannte Situation.

Warum muss Neue Musik immer so schwierig sein?

Diskutierten über 'Die Freiheit künstlerischen Schaffens' (von links): Isabel Mundry (Komponistin), Dieter Mersch (Philosoph), Kerstin Schüssler-Bach (Moderation), Carolin Widmann (Geigerin), William Youn (Pianist).
Foto: Dita Vollmond | Diskutierten über "Die Freiheit künstlerischen Schaffens" (von links): Isabel Mundry (Komponistin), Dieter Mersch (Philosoph), Kerstin Schüssler-Bach (Moderation), Carolin Widmann (Geigerin), William Youn (Pianist).

Die Neue Musik hat – im Gegensatz etwa zu Musical, Pop oder Filmmusik – den Anspruch etwas darzustellen, was so noch nie da war. Oder wie es der Philosoph Dieter Mersch ausdrückte: "Ästhetische Momente herstellen, in denen etwas entsteht, was im Moment noch nicht gedacht wird." Das können dann schonmal unerhörte Klänge sein. Regeln gibt es zwar keine, wohl aber Tabus: Melodien zum Beispiel. Oder, schlimmer noch: Kitsch.

In einer der Diskussionen stellte eine Besucherin Isabel Mundry – sinngemäß – die Frage, wie sie damit umgehe, dass neue Klänge für viele Menschen ein Zumutung seien. Mundry erzählte von einem Hörer, der während eines "harmlosen" Stücks von ihr nach eigenem Bekunden gelitten habe "wie ein Hund". "Dafür kann ich nichts", sagte die Komponistin. "Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass man darunter leiden kann."

Wie kann man lernen, sich Neuer Musik zu nähern?

Dieter Mersch: 'Das Besondere an Neuer Musik ist, dass sie mich vor eine Aufgabe stellt - was ist das?'
Foto: Dita Vollmond | Dieter Mersch: "Das Besondere an Neuer Musik ist, dass sie mich vor eine Aufgabe stellt - was ist das?"

Eines der größten Hindernisse, sich Neuer Musik zu nähern, sei, dass die Menschen immer gleich verstehen wollen, sagt Dieter Mersch. Er empfiehlt, ganz im Sinne von John Cage, Offenheit. Oder, wenn man so will, sich der Freiheit künstlerischen Schaffens zu stellen: "Das Besondere an Neuer Musik ist, dass sie mich vor eine Aufgabe stellt - was ist das?"

Eine Frage, die sich auch Isabel Mundry immer wieder stellt. So haben sie singende Geflüchtete in ihrer Nachbarschaft, deren natürlicher, selbstvergessener Umgang mit Musik, zu einem kompletten Neuanfang ihres Schaffens gebracht: "Ich arbeite gerade an Stücken, die keine Programmtexte mehr brauchen."

Es geht um Prozesse, die in Gang gesetzt werden, wenn sich Menschen auf bestimmte Erfahrungen einlassen. Bei der Komponistin wie beim Publikum. Dass dieses eher selten die Gelegenheit bekommt, solche Erfahrungen überhaupt zu machen, liegt laut Isabel Mundry auch an Veranstaltern, die den Hörerinnen und Hörern "in vorauseilendem Gehorsam" mutmaßlich verstörende Klänge ersparen: "Das Publikum wird oft ein bisschen für blöd erklärt."

Was sagen Interpreten, die Neue Musik spielen?

'Warum muss es sein, dass ich das A-Dur-Konzert von Mozart schon kenne?' Carolin Widmann und William Youn.
Foto: Dita Vollmond | "Warum muss es sein, dass ich das A-Dur-Konzert von Mozart schon kenne?" Carolin Widmann und William Youn.

"Der Komponist als Alleinherrscher über das Material, das ist seit 20 Jahren nicht mehr so", sagt Isabel Mundry. Heute arbeiteten Tonschöpfer meist eng mit Interpretinnen und Interpreten zusammen. Deren Beitrag wiederum wird oft zum Bestandteil der Werke. Die Geigerin Carolin Widmann hat sich schon früh mit Neuer Musik befasst. Ihr Bruder ist der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann. "Das war ein erster Ausbruch aus der Enge der klassischen Ausbildung für mich", erzählte sie. "Dinge, die in der Klassik tabu waren, durfte ich da machen."

Und dann habe sie sich gefragt, warum das nur in der Neuen Musik so sei: "Warum muss es sein, dass ich das A-Dur-Konzert von Mozart schon kenne? Ich habe mir daraufhin das gesamte Kernrepertoire neu erarbeitet. Habe mir alle Noten neu gekauft, als wären sie Uraufführungsmaterial." Die Freiheit, die Carolin Widmann dadurch erlangte, färbt offenbar ab: "Ich spiele anders, wenn ich mit dir spiele", sagte der Pianist William Youn. 

 
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