
Die Geschichte der ersten Begegnung zwischen Franz Peter Fischer und Augustin Hadelich würde sich gut fürs Kino eignen: Irgendwo in der Toskana. Ein VW-Bus rumpelt bei strömendem Regen über Sträßchen und Feldwege. Drinnen eine Familie aus Deutschland, ein Ehepaar und drei kleine Söhne, die langsam quengelig werden. Endlich, nach etlichen falschen Abbiegungen, das Ziel: ein Bauernhof, der Wein und Olivenöl verkauft.
Die Familie steigt aus. Aus einem Fenster kommt Musik. Die Solostimme von Beethovens Violinkonzert. „Typisch“, sagt der Familienvater, selbst Geiger, zur Bäuerin, „ein Geiger im Urlaub.“ – „Das ist unser Sohn“, sagt die Frau, „er ist neun Jahre alt.“
Die Entdeckung eine Ausnahmetalents in der tiefsten Toskana
Franz Peter Fischer, Erster Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Würzburg, muss immer noch grinsen, wenn er an seine eigene Verblüffung damals, 1994, denkt: „Das hat sich absolut nicht wie ein Kind angehört.“ Das Kind, Augustin Hadelich, sollte sich – zumindest in musikalischer Hinsicht – als wenig kindlich erweisen. Nach einer kurzen ersten Vorstellung fuhr Familie Fischer wieder zurück zu ihrem Campingplatz an der ligurischen Küste.
Tags darauf fand sie dort eine Einladung zum Abendessen auf dem Weingut der Hadelichs in der 1600-Seelen-Gemeinde Riparbella vor. „Da hat mir Augustin dann das komplette Repertoire vorgespielt“, erzählt Fischer, „die Solokonzerte von Bartok, Sibelius, Mendelssohn. Da war schon alles da, und ich dachte, das geht nicht mit normalen Dingen zu.“ Da war eine Lockerheit, ein natürliches Fließen in Augustins makellosem Spiel, auch in den schnellsten und kniffligsten Passagen. „Man hat bei ihm immer das Gefühl, es ist noch Zeit“, sagt Fischer. Und: „Er kennt einfach den Weg der Stücke, die er spielt.“
Nach sechs Monaten beherrschte der Fünfjährige ein Mozart-Konzert
Ursula und Sigismund Hadelich, beide diplomierte Landwirte, hatten sich 1981, nach Einsätzen in der Entwicklungshilfe in Afrika, auf dem Wein- und Öl-Bauernhof Podere Vallari niedergelassen. 1984 kam in der nahegelegenen Kleinstadt Cecina der dritte Sohn, Augustin, zur Welt.

Wie sich herausstellte, hatte Augustin, dessen erste Geige aus dem Supermarkt stammte, außer der Anleitung durch seinen Vater („Ich habe aufgepasst, dass er alles einigermaßen richtig macht“) nie kontinuierlichen Geigenunterricht genossen, auch wenn ihn Begegnungen mit Christoph Poppen, Igor Ozim oder Norbert Brainin prägten. Ebenso wenig wie eine konventionelle Schule: Die Eltern unterrichteten ihn zuhause. Mit fünf hatte er angefangen zu spielen, sechs Monate später beherrschte er ein Mozart-Violinkonzert.
Erste Dringlichkeit: Das Wunderkind brauchte ein vernünftiges Instrument
Für Franz Peter Fischer war nun eines am dringlichsten: ein vernünftiges Instrument. Zurück in Deutschland, besorgte er bei einem Konstanzer Geigenbauer eine Dreiviertelgeige für Augustin. Er erzählte dem damaligen Generalmusikdirektor des Mainfranken Theaters, Jonathan Seers, von seiner Entdeckung, und so kam es ein halbes Jahr später, im März 1995, zu Augustin Hadelichs Debüt mit einem professionellen Orchester: Bei einem Benefizkonzert für die Kinderklinik der Uni spielte er mit den Philharmonikern das Mendelssohn-Konzert.

Bis zuletzt war Franz Peter Fischer nicht sicher gewesen, ob das gut gehen würde – schließlich hatte er den jungen Musiker nie in einer Konzertsituation erlebt. Tagsüber noch hatte Augustin mit den Fischer-Söhnen im Sandkasten gespielt, abends ging dann alles mehr als gut. Der Kritiker dieser Zeitung lobte besonders „die hinreißende Beseeltheit, mit der dieser Bogen-Zauberer die anmutig-liebliche Melodienseligkeit dieses Konzertes – erkennbar allürenfrei – erfüllte“.
Aus der Zufallsbegegnung wurde eine langjährige Freundschaft
Aus der toskanischen Zufallsbegegnung ist eine langjährige Freundschaft entstanden. Franz Peter Fischer hat Augustins Laufbahn aus der Nähe mitverfolgt. Die verlief ganz ohne mächtige Fürsprecher. „Die Musikratsszene hat ihn immer ausgegrenzt, weil er keine Lobby hatte“, erzählt Fischer. Tatsächlich passte ein quasi autodidaktisches Wunderkind aus dem toskanischen Hinterland nicht ins Idealbild einer medienwirksamen Karriere innerhalb des üblichen Fördersystems. Dennoch: Für die Jahre nach dem Debüt birgt das Archiv allein dieser Zeitung viele euphorische Kritiken von Auftritten Augustins in der Region. Dreimal noch trat er mit den Philharmonikern auf, er spielte die Konzerte von Elgar, Brahms und Bartók. Mit elf erhielt er - wie zuvor Anne-Sophie Mutter - den "European Prix d'espoir Menuhin".
Und dann kam Ende 1999 der Einschnitt: Augustin erlitt bei einem Unfall schwere Brandverletzungen, es war nicht klar, ob er überleben würde, geschweige denn, je wieder Geige würde spielen können. Doch er kämpfte sich zurück – viele Klinikaufenthalte und Operationen später nahm er ein Studium bei Joel Smirnoff an der berühmten Juilliard School in New York auf. Bald stand er wieder auf der Bühne. Im November 2002 schrieb der Kritiker dieser Zeitungüber ein Konzert in Schweinfurt: „So verzaubert er im ausverkauften Theater sein Publikum wie zuvor: mit seinem bravourösen Spiel, bei dem sich Brillanz und Innigkeit verbinden.“
Augustin Hadelich spielt heute eine Stradivari
Heute spielt Augustin Hadelich keine Geige aus dem Supermarkt mehr, sondern die Stradivari „Ex-Kiesewetter“ von 1723, eine Leihgabe der Stradivari Society in Chicago. Der Sieg der Goldmedaille beim bedeutenden Internationalen Geigenwettbewerb von Indianapolis 2006 eröffnete ihm eine Weltkarriere, er arbeitet weltweit mit bedeutenden Orchestern, Dirigenten und Kammermusikpartnern zusammen. „Die nächsten Stationen dürften Berliner und Wiener Philharmoniker sein“, prophezeit Franz Peter Fischer.
Nach Würzburg kommt Hadelich aus alter Verbundenheit. Am Donnerstag, 31. Mai, ein weiteres Mal. Mit dem Philharmonischen Orchester, diesmal unter Enrico Calesso, spielt er im Mainfranken Theater das Beethoven-Violinkonzert. „In Würzburg zu spielen ist für mich etwas sehr Besonderes, weil es viele Erinnerungen an damals gibt. Und die lange Freundschaft zu Franz und den Musikern des Orchesters“, sagt Augustin Hadelich. „Ich freue mich sehr, alle wiederzusehen. Und Beethoven ist natürlich das Stück überhaupt.“
Heute gibt es kaum mehr solche Zufallsbegegnungen
Seine Karriere als (Wunder-)Kind und die als Erwachsener haben fast gar nichts miteinander zu tun, sagt der Geiger, der heute in Manhattan lebt. „Ich komme nur sehr selten an Orte, wo ich damals gespielt habe. Das ist wie ein ganz anderes Leben jetzt.“ Dabei meint er nicht den Einschnitt durch den Unfall: „Das Phänomen kennen viele, die schon als Kind erfolgreich waren. Wenn man mit zwölf oder 13 irgendwo spielt, wird man verglichen mit anderen 13-Jährigen. Als Erwachsener wird man mit allen Geigern jeden Alters verglichen, auch mit solchen der Vergangenheit. Das ist ein ganz anderes Maß.“
Zufallsbegegnungen wie die mit Franz Peter Fischer waren damals übrigens gar nicht so selten, erzählt Hadelich: „Viele Musiker machen ja in der Toskana Urlaub. Heute wäre das gar nicht mehr möglich. Man verfährt sich ja nicht mehr. Heute fährt jeder ohne Umwege genau da hin, wo ihn das Navi schickt.“
Nach der Fingerarbeit kommt die Arbeit im Kopf
Woran arbeitet ein Musiker noch, der bereits als Neunjähriger das Repertoire draufhatte? Hadelich: „Natürlich muss ich immer auch die Fingerarbeit machen, wenn ich ein Stück vorbereite. Aber das wird jedes Mal weniger.“ Dafür wird die Arbeit im Kopf mehr, das Studium der Partitur, das Überdenken früher getroffener interpretatorischer Entscheidungen. „So verändert sich nach und nach ein Stück. Früher hatte ich manches noch nicht verstanden. Da habe ich vieles instinktiv entschieden, und später erkannte ich, so ist es vom Komponisten eigentlich nicht gewollt.“ Bei Werken, die er schon als Kind gelernt habe, muss er dann alte Angewohnheiten, etwa bei der Phrasierung, abschütteln, entlernen sozusagen. „Das war bei allen großen Stücken so.“
Das Konzert: „Neue Welten“ – Ludwig van Beethoven, Violinkonzert, Anton Dvoøák, Sinfonie Nr. 9, „Aus der Neuen Welt“. Mainfranken Theater, Donnerstag, 31. Mai, 19.30 Uhr. Augustin Hadelich, Violine, Philharmonisches Orchester Würzburg unter der Leitung von Enrico Calesso. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124 karten@mainfrankentheater.de