
Er besitzt mehrere Tausend Bücher - zu viele, um eines sein liebstes zu nennen. Er liest nahezu täglich - privat gerne Krimis der Spielart noir, (Auto)Biografien und politische Sachbücher. Er hat mehr als 1000 Literaturkritiken verfasst - für die "Süddeutsche Zeitung", "Die Welt", die "taz" und andere renommierte Zeitungen. Und er hat selbst Literatur publiziert - unter anderem einen Roman und Gedichte. Durch seine Arbeit im Literaturbetrieb seit den 1990er Jahren hat sich Thomas Kraft (60) ein umfassendes Netzwerk aufgebaut - von dem auch das erste mainfränkische Literaturfestival MainLit vom 26. Februar bis 19. März in und um Würzburg profitiert. Der gebürtige Bamberger mit eigener Veranstaltungsagentur am Ammersee hat das Programm dafür zusammengestellt und Zugpferde wie Sebastian Fitzek, Axel Hacke, Gregor Gysi, Dunja Hayali und Hajo Seppelt gewonnen. In einem Telefonat verriet der promovierte Literaturwissenschaftler, was ein gelungenes Festival ausmacht, wie Autoren im Umgang sind und was ihm Literatur persönlich bedeutet.
Thomas Kraft: Vertrauen.
Kraft: Es ist nicht so, dass alle Autoren jubeln, wenn sie eingeladen werden. Manche sind schüchtern, manche treten grundsätzlich nicht auf, manche schreiben unter Pseudonymen, wie Elena Ferrante. Gerade prominente Autoren sind wählerisch in der Auswahl ihrer Auftritte. Also muss man gute Argumente haben, um sie für sich zu gewinnen.
Kraft: Auch mit der Attraktivität des Ortes, aber vor allem mit eben diesem Vertrauen. Die Autoren, die zur MainLit kommen, können sich sicher sein, dass man sich um sie kümmert und dass der Veranstalter seriös ist und den Vertrag erfüllt.
Kraft: Wenn ein Festival noch nicht etabliert ist, tut man gut daran, zunächst Autoren einzuladen, die die inhomogenen Interessen des Publikums erfüllen. Wir versuchen, jeden Leser mit "seinem" Autor zu locken, indem wir möglichst alle Genres, Altersgruppen, Themen abdecken und eine Balance zwischen Belletristik und Sachbuch, zwischen anspruchsvoller Literatur und Unterhaltungsliteratur finden. Wir achten auch darauf, dass der Anteil der Frauen passt, dass eine gewisse Prominenz da ist, dass ein paar Newcomer dabei sind. Ratsam ist zudem, die Spezifika einer Stadt im Blick zu haben. So liest in Würzburg Thomas Pletzinger aus seinem Nowitzki-Buch.
Kraft: Nicht unbedingt, da sie ja immer am Ort präsent sind. Bei der MainLit wollte sich die lokale Autorenszene einbringen und den Aufmerksamkeitsstrudel des Festivals nutzen. Ich verstehe den Wunsch in diesem Fall, da es sonst in der Stadt keine zentrale Präsentationsplattform wie ein Literaturhaus gibt. Wie das Publikum diese Veranstaltungen goutieren wird, darauf bin ich selbst gespannt.
Kraft: Grundsätzlich ist bei der Auswahl der Spielorte die Größe, Atmosphäre, technische Ausstattung und Erreichbarkeit zu berücksichtigen; auch der Stellenwert, den die Orte in der Stadt oder im Landkreis haben, ist nicht unerheblich. Außerdem muss mit den Autoren besprochen werden, welche Form der Präsentation sie wünschen: eine reine Lesung, ein Gespräch, einen Vortrag, eine Multivisionsshow. Es gilt zu klären, ob es eine Moderation oder Musik dazu gibt, und schließlich praktische Dinge im Drumherum: Wer bringt die Autoren wann wohin, wer kümmert sich um sie, wie viele Pressetermine möchten sie, wo übernachten sie, was essen und trinken sie, bringen sie Partner, ganze Familien oder gar Haustiere mit? Das müssen Sie alles wissen.
Kraft: Autoren sind ja auch nur Menschen. Wie überall, gibt es unter ihnen die Bescheidenen, die Dankbaren, die Sympathischen, die Freundlichen - aber natürlich auch die Durchgeknallten, die Diven, die Exzentriker, die Radaumacher. Grundsätzlich scheinen mir die Sonderwünsche von Autoren nicht gar so seltsame Blüten zu treiben. Doch viele kommen ursprünglich aus anderen Berufen, sind Politiker, Schauspieler, Musiker. Unter ihnen findet man eher schillernde Persönlichkeiten, die das, was sie sonst gewohnt sind, auch in ihrem Autorendasein fordern. Wenn ein Musiker bei einem Konzert vor Tausenden von Leuten auftritt, kann er für eine Lesung mit im besten Fall ein paar Hundert Zuhörern nicht die gleiche hohe Gage verlangen. Das muss man manchem solcher Künstler erst klar machen. Es gibt aber auch angenehme Gegenbeispiele.
Kraft: Ich hatte mal Umberto Eco zu Gast. Er sagte: 'Ich will kein Honorar, weil ihr das, was ich verlangen könnte aufgrund meiner Prominenz, sowieso nicht zahlen könnt.' Stattdessen hat er sich ein schönes Abendessen, eine gute Flasche Wein und eine Rundum-Sorglos-Betreuung gewünscht. Er hatte verstanden, dass Lesungen eine Promotiontour für sein Buch sind. Das ist nicht allen Autoren so bewusst. Manche glauben nach Erscheinen ihres ersten Buchs, dass sie bereits Weltstars sind.
Kraft: Ich hatte mal mit einer Journalistin eines Fernsehsenders zu tun, die ein Börsenbuch rausgebracht hatte und tatsächlich einen Hubschrauber wollte, um zur Lesung anzufliegen. Das werde ich nie vergessen. Aber so eine extreme Forderung kommt sehr selten vor. In diesem Fall wurde sie auch nicht erfüllt. Die Frau kam dann mit dem Taxi.
Kraft: Als Autor muss man die Bereitschaft haben, sich einem Publikum zu präsentieren und eine Art von Gespräch mit einem Gegenüber zu wollen. Ich würde nicht sagen, dass das immer mit Eitelkeit oder Narzissmus zu tun hat. Schreiben ist ein einsamer Job, natürlich ist es da für die meisten Autoren interessant, eine Resonanz auf teils jahrelange Arbeit zu bekommen. Ich persönlich bin allerdings der Meinung, es werden zu viele Bücher produziert.
Kraft: Das einzelne Buch bekommt oft kaum Aufmerksamkeit, weil ständig das Hamsterrad der Novitäten angekurbelt wird, nach dem Motto: Wir machen jetzt 100 Bücher, und eines wird's schon schaffen, den Rest mitzufinanzieren.
Kraft: Natürlich gibt es den großen Betrieb, an dem neben den Autoren als kreative Schöpfer auch alle anderen Anteil haben, die an der Wertschöpfungskette von Literatur beteiligt sind: Agenten, Verlage, Buchhändler, Veranstalter, das Publikum. Und dann gibt es kleinere, oft sehr eng vernetzte Unterbetriebe wie eine Krimi-Gemeinde, eine Fantasy-Community und gewisse Zirkel im Umkreis von Universitäten und Kulturinstituten. Extraordinär und nicht vergleichbar mit Herrn und Frau Meier, die irgendwo sitzen und Romane schreiben, sind Autoren wie Joanne K. Rowling, die von einer weltweiten Fangemeinde verehrt werden. Ansonsten gilt für den Literaturbetrieb das Gleiche wie für alle anderen Arbeits- und Lebensbereiche: Sämtliche menschlichen Eigenschaften kommen darin zum Tragen, es wird charmiert und intrigiert und Einfluss genommen. Der Literaturbetrieb ist nichts moralisch Höherstehendes, gar nicht. Er bringt nur ein sehr schönes, sehr kreatives, sehr künstlerisches Produkt hervor, das bei vielen Menschen im Privatesten endet: auf dem Nachttischchen.
Kraft: Gar keines. Da ich ein professioneller Leser bin, lese ich meist am Schreibtisch.
Kraft: Sie ist ständiger Lebensbegleiter, der mir viel Freude macht, Erkenntnisse verschafft, mich in andere Welten führt. Und mit dem ich auch meine Brötchen verdiene.
Kraft: ...und bleibt zwar ein Minderheiten-Programm. Aber sie ist so gültig und wertvoll wie immer.