Heimat – das Motto für die kommende Saison im Mainfranken Theater. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher Diskussionen hat es sich förmlich aufgedrängt. „Wir haben neuerdings ja sogar zwei Ministerien dazu, eins im Bund, eins im Freistaat“, sagte Intendant Markus Trabusch am Mittwoch bei der Vorstellung der Spielzeit 2018/2019, „da kann man sich jetzt fragen, welche Heimat denn gemeint sein könnte.“
Heimat, das hat mit Kindheit, Landschaft, Geborgenheit, Vertrautheit und dem Zustand vor der Vertreibung aus dem Paradies zu tun, auch wenn es dieses Paradies möglicherweise nie gegeben hat. Heimat, das kann aber auch der Kampfbegriff sein, mit dem Franz Xaver Kroetz gearbeitet hat. Und: Heimat ist für jeden Menschen etwas anderes. Trabusch: „Wie soll es einem syrischen Flüchtlingsmädchen gehen – was wird für diese junge Frau später die Heimat sein?“ Nochmal anders: „Heimat ist da, wo ich mein Kopfkissen hinlege.“ Ein Satz des israelisch-palästinensischen Autors Taher Nahjib, den Trabusch im Programmheft zitiert.
Nachkommen des fahrenden Volkes
Im Übrigen, so der Intendant, seien Theaterleute besonders mit dem Thema vertraut: „Weil wir letztlich immer noch die Nachfahren des fahrenden Volkes sind und uns gezwungenermaßen immer wieder mit neuen Heimaten beschäftigen.“
Die radikalste Form der Auseinandersetzung mit Heimat findet sicher in Wagners „Götterdämmerung“ statt, der prominentesten Neuproduktion im Bereich Musiktheater (Premiere am 26. Mai 2019), schließlich fliegt den Göttern zum Schluss ihre Heimat um die Ohren. Operndirektor Berthold Warnecke sieht das Stück, das ja ganz nebenbei auch die überkommene Form der historischen Oper beerdigt, als Abschluss der Reihe zum Thema Grand Opéra, nach den „Hugenotten“ von Meyerbeer und der „Sizilianischen Vesper“ von Verdi.
Fernsehabendtaugliche Opernlängen
Auch wenn der Schwerpunkt etwa mit Richard Strauss' „Ariadne auf Naxos“ (ab 26. Januar) und Humperdincks „Hänsel und Gretel“ (ab 7. Juli 2019) künftig stärker auf dem deutschen Repertoire liegen wird, „La Boheme“ (ab 13. Oktober) muss trotzdem sein. Warnecke: „Das ist das Ensemblestück unter den Puccini-Opern schlechthin. Wir verstehen uns ja als Start-up-Haus: Junge lyrische Stimmen können sich hier im schwereren musikalischen italienischen Fach ausprobieren.“ Dem Kitsch-Verdacht, dem Puccini mitunter ausgesetzt ist, begegnet der Operndirektor gelassen: „Wenn man in die Libretti schaut, ist der Kitsch sehr schnell sehr weit weg und man kommt an schonungslose Wirklichkeiten.“
Die „Götterdämmerung“ ist auch in Sachen Dauer die herausragende Oper der kommenden Spielzeit. Alle anderen liegen mit einer „Netto-Musikzeit“ deutlich unter zwei Stunden, verspricht Warnecke. „Also das verträgliche Format eines Fernsehabends.“
Die Rache der alten Dame an der Heimat
Auch im Schauspiel liegen die Bezüge zum Spielzeitmotto auf der Hand: „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt schildert einen Racheakt nicht nur an einem ehemaligen Geliebten, sondern an der gesamten ehemaligen Heimat. Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“, inszeniert von Trabusch selbst, greift einen übergeordneten Heimatbegriff auf: „Heimat kann auch ,wir und die anderen' bedeuten. Es geht um Aspekte von Gehorsam, um die Entstehung von Gemeinsamkeiten, um Nationen und Nationenbildung.“
Eine von drei Uraufführungen ist „Sisyphos auf Silvaner“ (ab 4. April). Autor ist der erste Leonhard-Frank-Stipendiat Gerasimos Bekas. Der Heimatbezug wird zumindest dem Unterfranken schon im Titel offensichtlich, Würzburger wiederum werden sich im Schauplatz wiederfinden, der Straßenbahn der Linie 4.
Einstand einer komplett neuen Ballettcompagnie
Normalerweise gibt es in jeder Saison fünf Neuproduktionen im Schauspiel, diesmal steht eine zurück, zugunsten des Einstands für die neue Ballettdirektorin Dominique Dumais. Dumais und Artist in residence Kevin O'Day haben eine komplett neue Compagnie zusammengestellt, wobei sie Wert auf eine Zusammenstellung aus möglichst unterschiedlichen Charakteren, Schulen und Hintergründen gelegt haben. Dumais eröffnet mit ihrer Mannheimer Choreografie „Chanson“ (ab 29. September) einem Stück zu Chansons von Brel, Barbara, Bruni und Piaf. „Ludwigs Leidenschaften“ (ab 3. November) wird sich mit Beethovens Auflehnen gegen seine körperlichen Grenzen befassen, und mit „TanzXperiment“ (ab 10. Januar) entsteht ein neues Format, das die Tänzerinnen und Tänzer gemeinsam mit den Choreografen entwickeln.
Die Saison der Sinfoniekonzerte, die ihren Fokus auf Zeitgenössischem und ganz großer Sinfonik haben, endet diesmal bereits im April, wie Generalmusikdirektor Enrico Calesso, der sich seit 2001 einen „Ring“ in Würzburg gewünscht hatte, mit sichtlicher Erregung bekannt gab – der Grund: die Proben für die „Götterdämmerung“. „Ich bin der Meinung, dass das Orchester nach der ,Götterdämmerung‘ nicht mehr das gleiche sein wird – im positiven Sinne. Es hat in den letzten Jahren gewaltiges Potenzial entwickelt.“
Kommt irgendwann der komplette „Ring“?
Nach „Jesus Christ Superstar“ gibt es auch in der kommenden Saison eine Produktion, an der alle Sparten mitwirken: Henri Purcells „King Arthur“, der große Mythos über die Entstehung der britischen Nation, nachdem sich Angeln und Sachsen zusammengerauft haben.
Apropos Mythos: Die Frage, ob denn irgendwann ein ganzer „Ring“ kommen werde, hing die ganze Zeit im Raum, und Intendant Markus Trabusch gab denn auch zu, dass ihm Calesso und Warnecke damit seit zwei Jahren in den Ohren lägen. Trabusch wies darauf hin, dass mit der Sanierung eine Zeit lang kein Großes Haus zur Verfügung stehen werde, Berthold Warnecke wiederum gab eine absolut politiktaugliche Auskunft: „Es gibt ganz konkrete Überlegungen, sich da weitere Gedanken zu machen.“