Der Würzburger Günter Cisek hat ein Buch über Künstliche Intelligenz (KI) geschrieben. Eine seiner Thesen: Es ist absehbar, dass uns die neuen Techniken eines Tages unsterblich machen. Passend dazu läuft ab Sonntag, 30. Januar, am Mainfranken Theater die Oper "Die Sache Makropulos" von Leoš Janácek. Deren Heldin, Emilia Marty, ist dank eines geheimnisvollen Dokuments unsterblich.
Enrico Calesso, Generalmusikdirektor des Mainfranken Theaters, wird das Stück dirigieren. Calesso hat auch Philosophie studiert und Cisek bei seinem Buch beraten. Wir baten beide zum Streitgespräch: Was wird aus dem menschlichen Miteinander, wenn wir alle unsterblich werden? Und was wird aus der Kunst, wenn Maschinen genauso kreativ sein können wie Menschen?
Herr Cisek, Sie widmen Ihr Buch Ihren Enkeln und hoffen, dass diese "zur ersten Generation der Unsterblichen gehören" werden. Was meinen Sie damit?
Günter Cisek: Man muss sich überlegen, ob das überhaupt wünschenswert ist, aber ich glaube wirklich, dass es technisch möglich sein wird, noch in deren Lebenszeit einen sogenannten digitalen Zwilling zu generieren. Aber man müsste sich zwischendurch mal abschalten können, sonst ist es eine furchtbare Vision, ewig zu leben.
Man könnte aber auch sagen: Ewiger Urlaub, ich liege bis ans Ende der Zeit unter Palmen.
Cisek: In der Unendlichkeit unter Palmen liegen, ist verdammt langweilig. Ich habe lange in den Tropen gelebt, das verliert sehr schnell seinen Reiz. Eine andere Anwendung des Zwillings wäre, sich an ganz anderen Orten umzuschauen. Zum Beispiel im Weltall: Wie lebt sich's denn so auf dem Mars?
Was muss bis dahin technisch und medizinisch gelöst werden?
Cisek: Es ist eigentlich überschaubar. Um unser geistiges Vermögen zu spiegeln, braucht man sehr viel Speicherkapazität. Dazu braucht man den Quantencomputer. Alle Vernetzungen im Gehirn abzubilden, wird sicher eine technische Herausforderung, aber wir haben schon so viel geschafft, dass das irgendwann machbar sein sollte. Das andere Problem ist der Körper. Da habe ich keine Zweifel: Das Tissue Engineering, also Gewebezüchtung, gib es ja schon. Früher hat man der Maus ein menschliches Ohr angezüchtet, heute machen die das mit synthetischer Biologie schon im 3-D-Drucker.
Herr Calesso, Sie sind Musiker und Philosoph – was würde es geistig bedeuten, wenn wir alle ewig leben würden?
Enrico Calesso: Wir wissen aus der Philosophie, dass sich die Lücke zwischen dem, was man erfährt, und dem, was man erfahren könnte, nie schließen lässt. Das heißt, es wird auch in der Unendlichkeit nie einen Moment geben, wo das Werden der Dinge, wie es Nietzsche nennt, aufhört. Wir sind laut Nietzsche gemacht, immer aufs Neue zu wollen, denn wenn es keinen Willen mehr gibt, ist das der Tod.
In der Oper "Die Sache Makropulos" wird die Heldin aber ihrer Unsterblichkeit überdrüssig.
Calesso: Die Heldin Emilia Marty sagt, je länger die Beschäftigung mit dem Sein andauert, und in ihrem Fall sind das 300 Jahre, desto unmenschlicher wird man, weil nur die Sterblichkeit den Dingen ihren Wert gibt. Wenn ich weiß, ich kann ewig leben, dann wird alles unbedeutend. Das ist auch die Botschaft des Librettisten der Oper, Karel Capek: Wenn unsere Zeit unbegrenzt ist, gibt es nur noch Gleichgültigkeit.
Die Erfahrung zeigt, dass das, was man machen kann, auch gemacht wird. Ist die Entwicklung noch aufzuhalten?
Cisek: Wenn ein Lebenswunsch da ist, wird er auch umgesetzt. Denken Sie zum Beispiel ans Fliegen. Und wenn ich mir die Datenschutzverordnung der EU-Kommission anschaue: Das ist alles weitgehend vergeblich, da kümmert sich kein Amazon oder Facebook drum. Sie sehen es ja bei Telegram, die antworten nicht mal auf Briefe. Das wird wie bei Oppenheimer werden: Er hat die Atomspaltung erkannt, aber den Abwurf der Atombombe konnte er nicht aufhalten.
Wir benutzen KI längst in vielen Lebensbereichen. Sie komponiert, und sie malt Bilder. Was bedeutet das für die Kreativität?
Calesso: Es gibt keine moralische Grenze für Technologie, und schon gar nicht, um die Kunst zu schützen. Die Technik ist längst eine eigene Macht aus sich selbst heraus. Die Dialektik zwischen Werkzeug und Ziel hat sich gedreht: Nicht wir lassen uns beim Erreichen unserer Ziele von der Technik helfen, sondern unterwerfen unsere Ziele der Technik. Aber eines wird bleiben: Die Angst, das alles wieder zu verlieren. Emilia Marty, die Heldin der Oper, ist davon besessen, das Manuskript wiederzufinden, das sie unsterblich macht – auch wir werden keine Ruhe finden.
Wir sind also wieder beim ewig Unerreichbaren?
Calesso: Genau, und die Beschäftigung damit, das ist die Kunst. Die Befragung der Lücke zwischen Erreichtem und Unterreichbarem ist die Quelle der Kreativität. Und die Ausdrucksform dafür ist laut Richard Wagner nicht das Wort, sondern die Musik. Die Sprache der Töne. Ich bin also weit weg davon zu behaupten, dass die KI die Gefühle in der Kunst kaputtmachen wird.
Cisek: Wenn die Technik gesellschaftliche Entwicklungen bestimmt, dann gilt das auch für die Kunst. Ich verweise nur auf die Zehnte von Beethoven. Ich habe sie angehört, das klingt nach Beethoven. Man hat die ersten neun Sinfonien genommen und daraus die zehnte gemacht. Aber ich muss sagen: Die Neunte wäre nach diesem Muster mit KI nicht entstanden, weil sie völlig unvorhersehbar mit allem Vorherigen brach, was Beethoven komponiert hatte.
Wie sieht es mit Literatur aus?
Cisek: Auch das wird längst gemacht. Sie geben dem Programm ein paar Stichworte, und es schreibt eine Geschichte. Ist das schon kreativ? Wobei, wenn ich bedenke, sind einige lebendige Schriftsteller auch nicht sehr kreativ...
Inzwischen schlägt die KI uns via Algorithmen vor, was wir hören sollen, die Streamingdienste bieten es sogleich an. Was sagt diese Allverfügbarkeit über den Wert von Musik aus?
Calesso: Einmal finde ich es wunderschön, dass man so viel hören kann. Das ist eine unglaubliche Erweiterung des Horizonts. Aber man muss sich klarmachen: Das sind andere Klänge, als die, die man live hört. Das sind unterschiedliche Hörerlebnisse. Die Aufnahme klingt heute manchmal sogar echter, mindestens aber perfekter als live, aber live ist nicht reproduzierbar, und dieser Reiz des Imperfekten wird immer bleiben. So wie es etwas völlig anderes ist, wenn ich die Sixtinische Kapelle in maximaler Auflösung auf meinem Rechner sehe, oder ob ich tatsächlich dort bin.
Cisek: Aber das geht mit Augmented Reality, also digital ergänzter Realität – ich kann bei "Aida" als Avatar mit in die Grabkammer steigen und hören, wie es da klingt.
Calesso: Aber der Klang wird dennoch eine Reproduktion sein.
Können Maschinen irgendwann Künstler sein?
Cisek: Dein Beruf, Enrico, meinst Du, den gibt's noch in 20 Jahren?
Calesso: Das ist die große Frage. Der Dirigentenberuf ist ja ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts. Und derzeit ändert sich das Bild des allmächtigen Autokraten sowieso. Es kann also sehr gut sein, dass es irgendwann ganz mit ihm vorbei ist.
Cisek: Aber dann hören auch die Interpretationen auf.
Calesso: Es kann auch irgendwann mit der Geige vorbei sein. Aber beim Pop gibt es eine hochinteressante Entwicklung: Da gab es die Disco-Phase, als fast alles elektronisch gemacht wurde. Heute ist handgemachte Musik wieder in, und die Leute gehen in Konzerte. Warum wohl?