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„Solche Einkommen sind absurd“
Das Gespräch führte Michael Deppisch
 |  aktualisiert: 01.04.2012 15:29 Uhr

Seit zwei Wochen beschäftigt eine Frage die Nation: Wie gerecht oder ungerecht sind die Einkommen verteilt? Ausgangspunkt der Debatte – die rund 17 Millionen Euro, die VW-Vorstandschef Martin Winterkorn für das vergangene Jahr erhalten hat. Wir sprachen darüber mit dem Würzburger Wirtschaftsprofessor Günter Cisek.

Frage: Herr Cisek, verdienen Topmanager zu viel?

Günter Cisek: Diese Einkommen sind nach meiner Überzeugung absolut nicht gerechtfertigt. Mehr noch: Die sind absurd.

Diese Ansicht können Sie uns sicher auch belegen?

Cisek: Ja, und das sogar wissenschaftlich. Etwa 80 Prozent der 500 weltweit größten Unternehmen nach der Liste des US-Magazins „Fortune“ bewerten ihre Stellen nach dem Hay-System. Bevor Sie fragen, was das ist: Dieses System zur Gehaltsfindung hat ein Herr Hay vor vielen Jahren von der Columbia University gekauft. Es basiert auf drei Hauptkriterien – Wissen und Erfahrung, geistige Belastung und materielle Verantwortung. Ich habe auf Basis von Hay mein eigenes System entwickelt. Und da liegt der Wert für eine durchschnittliche Stelle bei exakt 356 Punkten. Unser Durchschnittsgehalt in Deutschland liegt derzeit bei etwa 41 000 Euro brutto im Jahr. Sie bekommen also einen Einkommenswert pro Punkt, rund 115 Euro. Und da die absolut höchste erreichbare Punktzahl bei 33 000 liegt, entspricht das einem maximalen Jahreseinkommen von rund vier Millionen Euro. Alles, was darüber hinaus geht, ist unartig.

Wie kommt es denn dann zu zweistelligen Millioneneinkommen im Management?

Cisek: Das ist in der Regel an die Entwicklung des Börsenkurses gekoppelt. Der Aktienmarkt aber hat mit dem eigentlichen Unternehmenserfolg oft gar nicht so viel zu tun. Sehen Sie sich die Entwicklung in den vergangenen Jahren an.

Wer legt denn die Gehälter für den Vorstand fest?

Cisek: Das tut bei dem Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft – und das sind nun mal die allermeisten Konzerne – der Aufsichtsrat. Und hier genau liegt auch das Problem. Denn neben amtierenden oder ehemaligen Topmanagern auf der einen Seite sitzen da immer auch Arbeitnehmervertreter, also Gewerkschafter. Und die sind mit schuld an der Entwicklung.

Aber gerade die müssten doch dagegensteuern . . .

Cisek: Nun, die werden eben auch gut bedient. Da geht es jetzt nicht um persönliche Bereicherung. Die winken so ein Vorstandschefeinkommen durch, weil sie damit erreichen, dass auch die Mitarbeiter irgendein Goodie erhalten. Denn ob ein Herr Winterkorn 17 oder 7 oder 3,5 Millionen Euro erhält, das macht für einen Konzern wie die Volkswagen AG beim Betriebsergebnis nichts aus. Dennoch hätte man die Debatte über das Winterkorn-Gehalt kommen sehen müssen. Es war klar, dass das in der Öffentlichkeit Ärger gibt.

Die Menschen auf der Straße verstehen solche Gehälter längst nicht mehr. Ein Thema für die Politik?

Cisek: Ich glaube, dass das ein politisches Risiko ist. Denn es ist schon so, dass viele Menschen, die in dieser Gesellschaft nicht mehr mitkommen, das jetzt satthaben. Übrigens kann man den Beginn dieser ganzen Entwicklung sehr gut zeitlich fixieren – nämlich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Seitdem muss sich der Großkapitalismus nicht mehr scheuen und kann sein wahres Gesicht zeigen.

Das sagt ein Wirtschaftsprofessor . . .

Cisek: Man muss sich jedenfalls nicht wundern, dass die Linke Zulauf erhält. Die Einkommensschere zwischen Normal- und Topverdiener ist extrem auseinandergegangen: Früher hat ein Vorstandschef das 40-Fache eines durchschnittlichen Arbeitnehmers verdient. Heute ist es eben das 400-Fache. Das steht in keinem Verhältnis.

Zumal auch ein Vorstandschef Angestellter ist.

Cisek: Richtig. Bei einem Unternehmer, der ja ins persönliche Risiko geht, sieht die Sache schon noch mal ganz anders aus.

Derzeit laufen ja wichtige Tarifverhandlungen, etwa im öffentlichen Dienst oder der Metallbranche...

Cisek: Und auch hier geht ja die Schere auseinander. Ob ich eine prozentuale Erhöhung auf ein Einkommen von 2000 oder 6000 Euro bekomme, das macht über die Jahre schon einen Unterschied. Dieses Auseinanderdriften können auch Sockelbeträge nicht wirklich aufhalten.

Zumal ja immer mehr Arbeitnehmer in Berufen und Branchen ohne Tarifbindung mit oft weitaus niedrigeren Einkommen auskommen müssen.

Cisek: Das ist die größte Ungerechtigkeit. Wenn ein Manager der Aussage widerspricht, dass man von einer Vollzeitstelle auch leben können muss, dann sage ich dem: Mach Deinen Laden zu, Dein Geschäftskonzept stimmt nicht.

Lassen Sie uns anders an die Sache herangehen. Es gibt Studien, die sagen, dass ein höheres Gehalt ab einer gewissen Einkommensstufe gar nicht mehr wirklich motiviert. Die aktuelle Entwicklung scheint dem aber zu widersprechen, oder?

Cisek: In der Tat ist ein höheres Gehalt ab einem bestimmten Einkommenslevel nur noch Hygiene. Eine Sache des Kopfes, wenn Sie so wollen, des in einer Zahl auf dem Gehaltszettel ausgedrückten persönlichen Wertes.

Bei Managern ist ja ein Großteil des Einkommens variabel. Macht das auch bei Tarifeinkommen Sinn?

Cisek: Aber sicher! Es gibt da gute Beispiele. Allerdings muss man unterscheiden, ob der Betreffende direkten Einfluss auf das Unternehmensergebnis hat – also etwa im Vertrieb – oder nicht. Wenn nicht, dann kann man variabel nur über die Leistung bezahlen. Die aber kann sehr gut sein, und das Unternehmen rutscht dennoch in die roten Zahlen. Nach der üblichen Formel – also persönliche Leistung mal Unternehmenserfolg – kann da eine Null oder gar ein Minus rauskommen. Und damit wird der engagierte Mitarbeiter sogar noch bestraft, obwohl er überdurchschnittliche Leistung gebracht hat.

Kritik gibt es ja immer wieder auch an den Einkommen unserer Politiker. Zu Recht?

Cisek: Jeder Bundeskanzler bisher hätte doch mühelos ein großes mittelständisches Unternehmen oder einen Konzern führen können – und wesentlich mehr dafür bekommen als die 460 000 Euro, die Frau Merkel im Jahr erhält. Also ich halte diese immer wieder gern geäußerte Kritik an den Bezügen unserer Politiker für völlig daneben. Ich möchte den Job nicht machen.

Günter Cisek

„Die Knete macht's“, so heißt das aktuelle Buch von Günter Cisek. Darin erläutert der Gehaltsfindungsexperte, wie sich Mitarbeiter durch die richtige Vergütung motivieren lassen. Cisek lehrt Betriebs-, und Personalwirtschaft an der Fachhochschule (FH) Würzburg-Schweinfurt. FOTo: MD

„Die Knete macht's“, Günter Cisek, weConsult Verlag, Rimpar/Würzburg, 167 Seiten, 39,80 Euro.

 
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Kommentare
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  • Du_di_ned_oo
    Den obersten 0,5% gehören 31,2% des Vermögens (2007)
    und die unteren 50% besitzen 1,4% des gesamten Nettovermögens.

    Infos zum Thema:
    Was hat es mit der Spreizung der Vermögensschere und der Steigerung der Kapitaleinkommen auf sich?
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=12782
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  • Du_di_ned_oo
    Die zehn reichsten Italiener besitzen so viel wie ärmsten drei Millionen, geht aus einer neuen Studie der italienischen Notenbank hervor. Die zehn reichsten Menschen des Landes, angeführt vom Chef des Süßwarenproduzenten Ferrero, Michele Ferrero - Hersteller des weltbekannten Schokoladen-Aufstrichs Nutella - besitzen insgesamt ein Vermögen von 50 Milliarden Euro.
    Reichtum hängt in Italien mehr vom Familienvermögen und weniger vom Einkommen ab. Zudem werden die Wohlhabenden immer älter. Für jüngere Italiener sei es immer schwieriger, ein Vermögen anzuhäufen, geht aus der Studie hervor.
    http://derstandard.at/1333185017584/Milliardaere-trotz-Krise-Zehn-Italiener-so-reich-wie-drei-Millionen-Arme

    Vergleichbare Artikel finden sich seit Jahrzehnten sie häufen sich jedoch immer mehr.
    Die Folge dieser Umverteilung von den Armen zu den Reichen wird eine große Depression wie in den zwanziger Jahren sein.

    Wenn zusätzlich eine 1,2% Partei regiert die es zur Ideologie erhebt,
    dass jegliche Steuern nur eine andere Form vom "Diebstahl" durch den Staat
    seien - Steuerhinterziehung demnach berechtigte Selbstverteidigung -
    gebiert das eben solche Auswüchse.
    Dann werdenin der Schweiz im Vorfeld einer Steueramnestie für Steuerflüchtlinge
    auch schon einmal für deutsche Steuerfahnder Haftbefehle erlassen.
    Eine FDP findet das dann "verständlich" und auch ein deutscher Finanzminister zeigt dafür Verständniss.

    Ein weiterer dieser Auswüchse ist daß das leistungslose Einkommen für richtig Vermögenden - wenn sie denn unbedingt wollen - mit nur 25% besteuert wird.

    Das Einkommen aus Arbeit wird dagegen durch Steuern und Abgaben im Schnitt um etwa 50% reduziert. Von dem was dann übrig bleibt sind für den Verbrauch indirekte Steuern wie Mehrwertsteuer und Mineralölsteuer, Versicherungssteuer, Kraftfahrzeugsteuer ... zu entrichten.
    Auch in den verbrauchtenProdukten selbst steckt indirekt
    ein Zinsanteil zwischen 30% (z.B. Bier) und 80 % (Mieten)

    Die Geschichte vom Zinsgewinner (und die vom Zinsverlierer)
    Wussten Sie dass jeder Zinsen bezahlt? Auch derjenige, der keine Schulden bei den Banken hat?
    Klar, nicht direkt sondern eingepackt und versteckt in den Produktpreisen und Steuern.
    Wussten Sie dass Zinsen ausschließlich von Arbeitnehmern (dazu zähle ich alle die durch irgend eine Art Tätigkeit Geld verdienen) erwirtschaftet werden.
    http://www.geldsyndrom.de/Zinsproblem.htm
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  • Du_di_ned_oo
    George Monbiot ist Amerika-Kolumnist des Guardian
    Übrigens: Auch der hier in Forum gut bekannte 'OPS'
    bezieht sich sehr gern auf diesen Monbiot.

    Das große Würfelspiel

    Wer sind die 1 Prozent, gegen die sich weltweit Proteste regen? George Monbiot über den Mythos vom Wohlstandserzeuger und die Erfolgsquote schlechter Eigenschaften

    Wenn Reichtum das zwangsläufige Ergebnis von harter Arbeit und Unternehmergeist wäre, müsste jede Frau in Afrika Millionärin sein. Was die Superreichen für sich in Anspruch nehmen – dass sie über herausragende Intelligenz, Kreativität oder Antriebskraft verfügen – ist ein Beispiel für den Fehlschluss, sich selbst Ergebnisse anzurechnen, die man nicht herbeigeführt hat. Viele der heute Reichen sind in dieser Positiont, weil sie sich bestimmte Jobs ergattern konnten. Das wiederum hat weniger mit Talent oder Intelligenz zu tun, als mit der skrupellosen Ausnutzung anderer und dem Zufall der Geburt. Solche Jobs werden überproportional häufig von Menschen übernommen, die an bestimmten Orten in bestimmte gesellschaftliche Schichten hineingeboren wurden.
    ...
    Boni belohnen Glück

    Die Forschungsergebnisse des Psychologen und Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahneman erschüttern die Vorstellungen, die finanzielle Überflieger gerne über sich selbst pflegen. Kahneman entdeckte, dass der vermeintliche Erfolg dieser Menschen eine kognitive Täuschung ist. Kahneman untersuchte er über acht Jahre hinweg die Resultate der Arbeit von 25 Vermögensberatern. Dabei kam heraus, dass die Konsistenz ihres Tuns gleich Null war. „Die Ergebnisse entsprachen eher dem, was man von einem Würfelwettbewerb erwarten würde, als einem Geschicklichkeitsspiel, bei dem es um Fertigkeiten geht.“ Diejenigen mit den größten Boni hatten einfach Glück gehabt.

    Diese Ergebnisse wurden von anderen Studien bestätigt. Sie zeigen, dass die Händler und Fondsmanager an der Wallstreet immense Gehälter dafür erhalten, dass sie kaum etwas anderes tun, als ein Schimpanse, der eine Münze wirft.
    ...
    Knast oder Business-School

    In einer im Journal Psychology, Crime and Law veröffentlichten Studie testeten Belinda Board und Katarina Fritzon 39 Direktoren und Geschäftsführer führender britischer Unternehmen. Die Ergebnisse verglichen sie mit denen von Patienten eines Krankenhauses, in dem Leute untergebracht sind, die wegen eines Schwerverbrechens verurteilt wurden und mit denen sie die gleichen Tests durchgeführt hatten. Bei bestimmten Indikatoren der Psychopathie schnitten die Unternehmensbosse entweder genauso ab wie diese Patienten oder übertrafen sie – tatsächlich übertrafen sie sogar die Untergruppe von Patienten, bei denen psychopathische Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert wurden.
    ...
    http://www.freitag.de/politik/1145-das-grosse-wuerfelspiel
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