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Würzburg
Spielfreudig, präzise, kreativ: Wie viel der Chor am Würzburger Mainfranken Theater zum Erfolg der Oper beiträgt
Probenbesuch in der Blauen Halle für Donizettis blutiges Drama "Lucia di Lammermoor": Regisseur Matthew Ferraro und der Opernchor pflegen seit Jahren eine Freundschaft.
Präzises Singen hinter Schlachthaus-Vorhängen: Regisseur Matthew Ferraro (links) tüftelt mit dem Männerchor an einer Szene.
Foto: Thomas Obermeier | Präzises Singen hinter Schlachthaus-Vorhängen: Regisseur Matthew Ferraro (links) tüftelt mit dem Männerchor an einer Szene.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 18.04.2023 02:37 Uhr

Irgendjemand hat mal gesagt, jede italienische Oper lasse sich wie folgt zusammenfassen: Der Sopran liebt den Tenor, aber der Bariton hat was dagegen. Das trifft auch auf das musikalische Drama "Lucia di Lammermoor" von Gaetano Donizetti zu, das am Samstag, 25. März, am Mainfranken Theater in der Blauen Halle Premiere feiert.

Matthew Ferraro: 'Es soll ein unterhaltsamer Abend werden, kein schmerzhafter Blick tief in die Seele.'
Foto: Thomas Obermeier | Matthew Ferraro: "Es soll ein unterhaltsamer Abend werden, kein schmerzhafter Blick tief in die Seele."

Das 1835 uraufgeführte Stück ist einer der Hits des Belcanto. Grob vereinfacht: Es ist die Zeit bis etwa 1840, als schöner Gesang in der Oper das Allerwichtigste war. Ein hochdramatisches Stück voll Hass, Eifersucht und Gewalt, dargestellt meist in den trutzigen Mauern finsterer schottischer Burgen.

Die aufregende Geschichte einer Frau, die ihr Leben selbst gestalten will

Ein düsteres Stück? Regisseur Matthew Ferraro widerspricht vehement: "Nein, überhaupt nicht. Es ist ein Abenteuer, ein Thriller." Auch dass zum Schluss Liebespaar wie Zwangsehemann tot sind, lässt er nicht gelten: "Es ist nicht Hamlet. Es ist die aufregende Geschichte einer Frau, die ihr Leben selbst gestalten will. Aber das geht nicht in der Welt, in der sie lebt – sie wird zwangsverheiratet, tötet ihren Ehemann und verliert den Verstand."

Solorepetitorin Silvia Vassallo Paleologo liefert am Flügel  in der Probe den Orchesterpart.
Foto: Thomas Obermeier | Solorepetitorin Silvia Vassallo Paleologo liefert am Flügel  in der Probe den Orchesterpart.

Matthew Ferraro sieht Lucia als komplexe Persönlichkeit, die eher ins 20. Jahrhundert passen würde, umgeben vom Standardpersonal des Melodramas des 19. Jahrhunderts. Aber all das sei gar nicht so wichtig: "Es ist eine blutrünstige Oper mit sehr klaren Szenen, deren Grusel wir genießen. Mit wunderschöner Musik, die keine psychologischen Kommentare abgibt – das kommt erst viel später. Es soll ein unterhaltsamer Abend werden, kein schmerzhafter Blick tief in die Seele."

An diesem gruselig-unterhaltsamen Abend wird neben den Solisten der bekanntermaßen spielfreudige Würzburger Opernchor großen Anteil haben. In "Lucia di Lammermoor" hat er einiges zu tun: Als Hochzeitsgesellschaft, als Eskorte des bösen Baritons, als bewegliche Masse, die Lucias Wahnvorstellungen illustriert. Ferraro sieht den Chor hier als monolithischen Block, der als eigene Figur agiert - ähnlich dem Chor im antiken Drama.

Matthew Ferraro zeigt, wie Lucias Liebhaber Edgardo in den Sessel sinkt. Der Männerchor um Solist Hinrich Horn (links) stellt dazu die Drohkulisse.
Foto: Thomas Obermeier | Matthew Ferraro zeigt, wie Lucias Liebhaber Edgardo in den Sessel sinkt. Der Männerchor um Solist Hinrich Horn (links) stellt dazu die Drohkulisse.

Probenbesuch in der Blauen Halle: Es gibt schon ein Bühnenbild (Pascal Seibicke), aber noch keine Kostüme. Der Chor und Matthew Ferraro sind seit der "Sizilianischen Vesper" (2018) und "Evita" (2019) alte Bekannte, Freunde sogar: "Die Sängerinnen und Sänger gehören zu meinen Lieblingsmenschen. Wir sind über die Jahre in Kontakt geblieben", sagt der Regisseur.

Die erste Problemstellung macht sofort klar, wie komplex Regiearbeit mit einem Opernchor ist

Vor der Bühnenprobe steht eine kurze Auffrischungsprobe der Männer im eher engen Einsing-Zimmer, das sich der Chor mit den Klopapierbeständen des Hauses teilt. Chordirektor Sören Eckhoff ruft wichtige Details in Erinnerung: "Die Achtelpause an der Stelle höre ich gerade nicht." Korrigiert den Akzent: "Bitte ein italienisches O und keine deutsches." Und ermutigt: "Im Orchester ist da gerade nicht viel los, da könnt ihr wirklich Pianissimo singen."

Auffrischungsprobe mit Chordirektor Sören Eckhoff: Der Chor teilt sich das enge Einsing-Zimmer in der Behelfsspielstätte mit den Klopapier-Vorräten des Hauses.
Foto: Thomas Obermeier | Auffrischungsprobe mit Chordirektor Sören Eckhoff: Der Chor teilt sich das enge Einsing-Zimmer in der Behelfsspielstätte mit den Klopapier-Vorräten des Hauses.

Dann geht es auf die Bühne. Die erste Problemstellung macht sofort klar, wie komplex Regiearbeit mit einem Opernchor ist: In einer Szene stehen die Männer hinter den schweren Bahnen eines milchigen Plastikvorhangs, wie man ihn aus Kühlhäusern kennt, und beleuchten ihre Gesichter von unten mit Taschenlampen. Ein gruseliger Effekt, aber sie können dabei weder Kapellmeister Carlo Benedetto Cimento im Graben sehen, noch die Monitore an der Decke. Das erschwert die Koordination erheblich. Sören Eckhoff lobt und rät: "Ihr wart aber zusammen, das hat geklappt. Ihr müsst überdeutlich artikulieren."

Nach Szenen mit den Widersachern Enrico (Hinrich Horn) und Edgardo (Roberto Ortiz), also Lucias Bruder und ihrem Geliebten, geht es an die berühmte Wahnsinnsszene. Akiho Tsujii singt die Titelrolle – eine Partie, mit der etwa Maria Callas Triumphe feierte. Und auch wenn beide denkbar unterschiedliche Persönlichkeiten sind, in Sachen Präsenz und eisernem Willen steht Akiho Tsujii der Callas in nichts nach.

Akiho Tsujii (links) singt die Lucia. Der Chor umgibt sie wie ein eigener Organismus.
Foto: Thomas Obermeier | Akiho Tsujii (links) singt die Lucia. Der Chor umgibt sie wie ein eigener Organismus.

Matthew Ferraro lässt den Chor wie eine Art Schwarm agieren, als flexiblen Organismus, der Lucia mal schützend umgibt, mal bedrohlich auf sie zu rückt. Man sieht sofort, dass die Mitglieder von Chor und Extrachor es gewohnt sind, als Gemeinschaft zu agieren. Ferraro kennt jede Sängerin, jeden Sänger beim Namen, korrigiert Abstände und sich selbst ("I was wrong"), positioniert Einzelne neu, überprüft das Timing, legt Laufwege fest, geht auf Vorschläge ein. Jede Änderung wird sofort ohne Gedränge umgesetzt, auch in den Momenten, in denen alle dicht an dicht stehen.

Und ganz nebenbei wird klar, dass alle ganz selbstverständlich die Partitur komplett im Kopf haben. Vom Solisten bis zum Inspizienten Dominik Greguletz, der haarklein jedes neu festgelegte szenische und technische Detail notiert und so den Fahrplan für den ganzen Abend erstellt. Wann wer auf- und abtritt, wann der Vorhang auf- und zugeht und natürlich wann der Chor wo bereitzustehen hat. Jedes Mal, wenn jemand ruft, "Dominik, hast du das?", kommt nur ein knappes, ruhiges "Ja!" aus der Kulisse.

"Lucia di Lammermoor",  Oper von Gaetano Donizetti in drei Akten. In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Premiere am 25. März, 19.30 Uhr, Theaterfabrik Blaue Halle. Weitere Vorstellungen: 31. März, 6., 12., 30. April. Karten auf dem Vorplatz des Theater-Neubaus, unter Tel. (0931) 3908-124 oder www.mainfrankentheater.de

 
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